Musik

Nazi-Videos: Sänger aus Dresdner Kreuzchor entlassen

Foto: dpa

Ein 15-Jähriger ist wegen der Verbreitung von Nazi-Videos aus dem Dresdner Kreuzchor ausgeschlossen worden. Der Leiter des Chores, Roderich Kreile, will dem Jugendlichen jedoch eine zweite Chance geben.

Er habe mit dem Sänger persönlich gesprochen und den Eindruck gewonnen, dass dieser die politische Dimension seines Handelns nicht überblickt habe, sagte Kreile am Dienstag in Dresden. Der Jugendliche könne sich zum neuen Schuljahr um eine Wiederaufnahme bewerben.

Der Zehntklässler hatte nach Angaben der Sprecherin des Chores, Nina Bewerunge, bei der Internetplattform Youtube insgesamt fünf Filme mit einer Länge zwischen fünf und neun Minuten eingestellt.

Das Handeln des Jungen sei »so dumm, dass er dafür eine Strafe verdient hat«, sagt der Chorleiter.

Diese bringen den Angaben zufolge den Chor mit dem Nationalsozialismus in Verbindung und zeigen Gewaltfantasien. Zudem seien darin Mitschüler gemobbt sowie Behinderte und Ausländer lächerlich gemacht worden.

Das seien »höchst unschöne Dinge«, sagte Kreile. Das Handeln des Jungen sei »so dumm, dass er dafür eine Strafe verdient hat«. Ihn komplett fallenzulassen halte er aber für falsch. »Man muss mit ihm arbeiten«, sagte der Kreuzkantor.

Für Kreile steht hinter den zusammengeschnittenen Videos mit NS-Inhalten mehr technische Spielerei, weniger ein rechtsradikales Denken. Der Junge habe bei den Videos »keinen Bezug zu sich selbst gesehen«.

Rechtsradikales Denken werde im Kreuzchor keinen Nährboden finden, betonte Kreile. Vielmehr würden Werte wie Offenheit, Respekt und Toleranz vermittelt. Offenbar hatten auch Klassenkameraden von den Videos gewusst. »Niemand hat die Tragweite gesehen, die solche Inhalte nach sich ziehen«, sagte Kreile.

Der Chorleiter kündigt weitere Gespräche mit dem Betroffenen, seinen Eltern sowie mit allen anderen Kruzianern an.

Für ihn sei es keine Lösung, den Jungen für immer aus dem Chor zu verstoßen, sagte er weiter. Er würde es bedauern, falls der Kruzianer von sich aus das Evangelische Kreuzgymnasium verlassen sollte.

Zugleich kündigte er weitere Gespräche mit dem Betroffenen, seinen Eltern sowie mit allen anderen Kruzianern an. Auch in der Kreuzschule, an der rund 800 Schülerinnen und Schüler lernen, soll der Vorfall aufgearbeitet werden.

Begründet wird die mögliche zweite Chance für den Jungen auch damit, dass er als langjähriger Kruzianer sein »gesamtes soziales Umfeld« beim Dresdner Kreuzchor habe. Der Heranwachsende gehörte den Angaben zufolge seit der 5. Klasse dem Chor an. Wegen Stimmbruchs war er zuletzt passives Mitglied.

Bekanntgeworden war der Vorgang eher zufällig am 9. Oktober bei einer Sitzung zwischen Vertretern des Internats und Eltern anderer Kruzianer. Der 15-Jährige hatte den Angaben zufolge in seinen Filmen NS-Aufmärsche mit Ausschnitten aus Kreuzchor-Dokumentationen vermischt. In einer Sequenz sei die Kreuzkirche gesprengt worden. Ein erstes Video soll er bereits vor etwa anderthalb Jahren online gestellt haben. Insgesamt seien die Filme 500 Mal angeklickt worden.

Welche Maßnahmen die Leitung des Kreuzgymnasiums ergreifen wird, ist noch unklar. Mit einem Schulverweis rechnet die Chorleitung aber derzeit nicht.

Der Schüler habe sie inzwischen alle gelöscht. Das Material sei allerdings zuvor durch das Alumnat sichergestellt worden. Es werde derzeit durch das Rechtsamt der Stadt geprüft, sagte Bewerunge. Ob der Vorfall auch juristische Konsequenzen haben wird, sei derzeit noch offen. Der Kreuzchor mit einer mehr als 800-jährigen Tradition ist in städtischer Trägerschaft.

Welche Maßnahmen die Leitung des Kreuzgymnasiums ergreifen wird, ist noch unklar. Mit einem Schulverweis rechnet die Chorleitung aber derzeit nicht. Träger der Kreuzschule sind die beiden Dresdner Evangelisch-Lutherischen Kirchenbezirke. Superintendent Albrecht Nollau sagte dem epd: Über die Bewertung und mögliche weitere Konsequenzen werde die Schulleitung nach den Ferien Anfang November in Abstimmung mit dem Schulträger beraten.

Meinung

Der Fall Samir

Antisemitische Verschwörungen, Holocaust-Relativierung, Täter-Opfer-Umkehr: Der Schweizer Regisseur möchte öffentlich über seine wirren Thesen diskutieren. Doch bei Menschenhass hört der Dialog auf

von Philipp Peyman Engel  22.04.2024

Essay

Was der Satz »Nächstes Jahr in Jerusalem« bedeutet

Eine Erklärung von Alfred Bodenheimer

von Alfred Bodenheimer  22.04.2024

Sehen!

Moses als Netflix-Hit

Das »ins­pirierende« Dokudrama ist so übertrieben, dass es unabsichtlich lustig wird

von Sophie Albers Ben Chamo  22.04.2024

Immanuel Kant

Aufklärer mit Ressentiments

Obwohl sein Antisemitismus bekannt war, hat in der jüdischen Religionsphilosophie der Moderne kein Autor mehr Wirkung entfaltet

von Christoph Schulte  21.04.2024

TV

Bärbel Schäfer moderiert neuen »Notruf«

Die Autorin hofft, dass die Sendung auch den »echten Helden ein wenig Respekt« verschaffen kann

von Jonas-Erik Schmidt  21.04.2024

KZ-Gedenkstätten-Besuche

Pflicht oder Freiwilligkeit?

Die Zeitung »Welt« hat gefragt, wie man Jugendliche an die Thematik heranführen sollte

 21.04.2024

Memoir

Überlebenskampf und Neuanfang

Von Berlin über Sibirien, Teheran und Tel Aviv nach England: Der Journalist Daniel Finkelstein erzählt die Geschichte seiner Familie

von Alexander Kluy  21.04.2024

Glosse

Der Rest der Welt

Nur nicht selbst beteiligen oder Tipps für den Mietwagen in Israel

von Ayala Goldmann  20.04.2024

Frankfurt am Main

Bildungsstätte Anne Frank zeigt Chancen und Risiken von KI

Mit einem neuen Sammelband will sich die Institution gegen Diskriminierung im digitalen Raum stellen

von Greta Hüllmann  19.04.2024