NS-Raubkunst

»Das ist beschämend«

Ronald S. Lauder, Präsident des Jüdischen Weltkongresses Foto: dpa

Herr Lauder, am 3. Dezember jähren sich die Washingtoner Prinzipien für den Umgang mit Nazi-Raubkunst zum 20. Mal. Hat die Erklärung etwas erreicht?
Ohne die Washingtoner Prinzipien würde das Thema Nazi-Raubkunst immer noch unter dem Radar fliegen. Es gäbe keine Debatte – und das wäre völlig inakzeptabel. Die Washingtoner Prinzipien können jedoch nur dann ihren Zweck erfüllen, wenn Staaten, Museen und Sammlungen sie ernst nehmen und sich aufrichtig bemühen, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren.

Sie kritisieren häufig und sehr deutlich, dass das nicht der Fall ist.
Ja, nehmen wir zum Beispiel Österreich: Nach der Unterzeichnung 1998 hat Österreich ein eigenes Gesetz erlassen und Tausende Kunstwerke an ihre rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben. Gleichzeitig ist es aber immer noch viel zu einfach, Nazi-Raubkunst auf dem freien Markt zu erwerben.

Und in Deutschland?
Hierzulande hat traurigerweise erst der Fall Gurlitt den Anstoß zum Handeln gegeben. Ich kann nicht verstehen, dass es so lange gedauert hat. Der Kunstraub begann 1933 in Deutschland. Gerade deshalb sollte Deutschland jetzt auch mit gutem Beispiel vorangehen, um das Richtige zu tun. Das ist es, was die Opfer und ihre Erben erwarten.

Wie verfahren andere Staaten bei der Rückgabe von Werken aus ehemals jüdischem Besitz?
Die Aufgabe, das Richtige zu tun, ist nicht nur eine Aufgabe für Deutschland. Auch die Niederlande lehnen heute noch berechtigte Ansprüche ab. In Frankreich ist es für einen Kläger fast unmöglich, eine Restitution zu erreichen. Noch beunruhigender ist die Situation in Ländern wie Ungarn und Polen, die so tun, als gäbe es das Problem der Nazi-Raubkunst überhaupt nicht.

Bemühen sich deutsche Sammler, Museen und Stiftungen genug, um geraubte Kunst in ihren eigenen Sammlungen zu identifizieren und zurückzugeben?
Die einfache Antwort ist: Nein! Deutsche Museen und Sammlungen haben in den vergangenen 20 Jahren viel zu wenig getan. Das habe ich auf der internationalen Konferenz zur NS-Raubkunst in Berlin auch noch einmal deutlich gesagt. Es scheint fast so, als wären viele immer noch geneigt, alles zu tun, um gestohlene Kunstwerke um jeden Preis in ihren Sammlungen zu halten und so die Aufarbeitung der Verbrechen des Nazi-Regimes zu verhindern – das schadet dem Ruf deutscher Museen, und es schadet dem Ruf Deutschlands. Es gibt keinen Grund mehr, dieses unverantwortliche Verhalten fortzusetzen.

Was ist also zu tun?
Vor allem die Kultur- und Kunst-Community sollte sich dieser Aufgabe annehmen. Warum können deutsche Museen ihre Sammlungen nicht digitalisieren und so der Öffentlichkeit zeigen, was sie in ihren Beständen haben? Die dafür nötige Technik ist vorhanden. Ich bin es leid, mir Ausreden anhören zu müssen!

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Erst kürzlich hat Staatsministerin Grütters die Museen erneut aufgefordert, die Provenienzforschung ernst zu nehmen. Ich hoffe, dass sie neben diesem Aufruf zum Handeln auch die entsprechenden Mittel bereitstellt – nicht nur für die Forschung, sondern auch für die digitale Veröffentlichung der Ergebnisse. Wir brauchen mehr Transparenz, nur so kann Vertrauen wiederhergestellt werden.

Wie beurteilen Sie die Arbeit der sogenannten Limbach-Kommission? Und was halten Sie von der jüngsten Erklärung von Staatsministerin Grütters, die Kommission ein weiteres Mal zu reformieren?
Ich denke, die Tatsache, dass die Limbach-Kommission in 15 Jahren nur 15 Fälle bearbeitet hat, spricht für sich selbst – das ist beschämend. Die von Grütters vor zwei Jahren eingeleiteten Reformen waren ein guter erster Schritt, aber ich habe immer gesagt, dass die damals ergriffenen Maßnahmen nicht ausreichen.

Inwiefern?
Die Notwendigkeit der einseitigen Anrufung einer zentralen Anlaufstelle für Anspruchsteller und weiterer Anpassungen der Geschäftsordnung der Kommission sind Punkte, die bei der Reform 2016 nicht berücksichtigt wurden. Diese sind aber entscheidend, um der Limbach-Kommission Gewicht zu verleihen. Grütters’ Ankündigungen, den Reformprozess weiter voranzutreiben, sind ein klares Zeichen dafür, dass sie die Anliegen der Opfer und auch meine sehr ernst nimmt. Ich schätze das sehr ...

Aber?
Leider haben wir schon früher vielversprechende Ankündigungen gehört. Ich werde erst zufrieden sein, wenn die Reformen auch wirklich umgesetzt worden sind.

Auch die FDP hat kürzlich einen Vorschlag in dieser Sache unterbreitet, der sogar noch weiter geht. Welche Vorteile weist dieser Vorschlag auf?
Frau Grütters hat erst vor wenigen Tagen ihre Reformvorschläge veröffentlicht und dabei wichtige Punkte angesprochen. Aber auch der Vorschlag der FDP enthält wertvolle Ideen. Es liegen jetzt zwei Entwürfe auf dem Tisch, und ich erwarte, dass alle Beteiligten auch beide in der Debatte berücksichtigen. Es geht nicht darum, sich für einen zu entscheiden. Je mehr Optionen wir haben, um die bestehenden Probleme lösen zu können, desto besser für die Opfer und ihre Erben.

Gehen Sie davon aus, dass die Politik ihre Ankündigungen diesmal in die Tat umsetzen wird?
Ich muss noch einmal bekräftigen: Diskussionen sind gut und wichtig, aber Worten müssen Taten folgen.

Wenn Sie drei Dinge ändern könnten im Umgang mit der Rückgabe von Nazi-Raubkunst: Welche Punkte wären das?
Auf die Notwendigkeit einer umfassenden Reform der Limbach-Kommission habe ich bereits hingewiesen. Hier brauchen wir konkrete Maßnahmen. Zweitens müssen alle deutschen Institutionen – öffentliche wie private – endlich der historischen Verantwortung Deutschlands Rechnung tragen und ihre gesamten Bestände digitalisieren und online verfügbar machen. Drittens müssen wir uns mit der Frage der privaten Eigentümer, Museen und Sammlungen im Zusammenhang mit der Provenienzforschung befassen. Und noch ein Punkt: In den letzten 20 Jahren habe ich viele Lippenbekenntnisse gehört. Es ist Zeit zu handeln. Die Antragsteller müssen ihr rechtmäßiges Erbe zurückerhalten können. Ich appelliere an alle Verantwortlichen in Deutschland: Tun Sie das Richtige!

Das Interview mit dem Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses führte Philipp Peyman Engel.

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