Sachbuch

Von wegen glückliches Zusammenleben

»La question interdit«: Der Untertitel des Buches lautet auf Deutsch »Die verbotene Frage« Foto: PR

Sachbuch

Von wegen glückliches Zusammenleben

Der Pariser Historiker Georges Bensoussan setzt sich kritisch mit der Geschichte der Juden in der arabischen Welt auseinander

von Karl Pfeifer  15.01.2018 16:13 Uhr

Provokation zum Rassenhass lautete die Anklage, wegen der sich der Historiker und Direktor des Pariser Mémorial de la Shoah, Georges Bensoussan, in Paris vor Gericht verantworten musste. In einem Radiogespräch hatte er aus dem Gedächtnis den algerischen Soziologen Smain Laacher zitiert, der sagte: »Es ist eine Schande, dieses Tabu aufrechtzuerhalten, zu wissen, dass man den Antisemitismus in den arabischen Familien in Frankreich – und die ganze Welt weiß es, aber keiner will es sagen – mit der Muttermilch einsaugt.«

Am 7. März 2017 wurde Bensoussan freigesprochen. In sei­nem jüngsten Buch Les Juifs du monde arabe (»Die Juden der arabischen Welt«) scheut er sich nicht, »verbotene Fragen« zu beantworten und die von der kulturellen Linken postulierten Glaubenssätze über das angeblich glückliche Zusammenleben von Muslimen und Juden in Nordafrika vor dem französischen Kolonialismus als Halbwahrheiten oder gar Lügen zu entlarven: zum Beispiel, dass die Juden erst nach dem Sechstagekrieg 1967 massiv die arabischen Länder verlassen hätten und dass für den Exodus von ungefähr 900.000 Juden binnen nur einer Generation der Zionismus und der Staat Israel verantwortlich sind.

Diskriminierung Die in Bensoussans Buch nachgewiesene Diskriminierung und der Mord an Juden bereits Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte vor der Entstehung des Zionismus zeigen, wie verbreitet die Verachtung der Juden und der Hass gegen sie in der arabischen Welt waren – und leider noch immer sind. Der Autor zeigt ein nuanciertes Bild. Die Einrichtung moderner Schulen und die Begegnung mit der Aufklärung führten zur Auflehnung vieler Juden gegen ihren Status als »Dhimmi«, als unterworfene »Schutzbefohlene«.

Bensoussan verweist auch auf die oft wiederholte Legende, die Große Moschee in Paris hätte Tausenden Juden das Leben gerettet. Jüdische und arabische Intellektuelle erwähnen das oft als Beweis dafür, wie gut das Zusammenleben früher funktionierte.

Die Wahrheit ist: Es gab einzelne Fälle, in denen Juden geholfen wurde. So gibt es ein Dokument vom 24. September 1940, das darauf hinweist, dass die Moschee »Menschen jüdischer Rasse betrügerische Dokumente ausgestellt hat, sie würden der muslimischen Religion angehören«.

Si Kaddour Benghabrit, der Rektor der Moschee, erhielt nach dem Krieg die Medaille der Résistance, obwohl der Résistance-Nationalrat ihm 1944 vorgeworfen hatte, »mit dem Feind paktiert zu haben«.

Wie sehr gute Absichten in die Irre führen, zeigt der Autor anhand des »Projekts Aladin«, dessen Ziel es ist, eine »interkulturelle Annäherung zwischen der jüdischen Welt und den Muslimen zu schaffen«.

Scharia In einem Text dieses Projekts, »Juden und Muslime in Palästina und Israel«, liest man, dass sie »lange Zeit in Harmonie zusammengelebt haben. Nach der Teilung 1947 wurde diese Koexistenz brutal beendet. (…) Im Ottomanischen Imperium lebten Juden und Muslime friedlich miteinander nach Bestimmungen der Scharia. Ende des 19. Jahrhunderts verschwanden diese Traditionen nach der Ankunft der ersten jüdischen Siedler.«

Diese Sätze ignorieren viele Zeugenaussagen und Dokumente aus Archiven – und das nur, um die Narrative und die Illusionen der kulturellen Linken zu bestätigen.

Dabei schrieb schon Karl Marx im April 1854 in der New York Daily Tribune: »Nichts gleicht dem Elend und dem Leiden der Juden in Jerusalem (…), die ständiger Unterdrückung und Intoleranz durch die Muselmanen ausgesetzt« sind.

Weshalb begrüßten wohl die meisten Juden die Ankunft der europäischen Kolonisatoren? Warum wollten so viele Juden europäische Pässe haben? Aus welcher Bedrängnis flüchteten so viele nach Europa, das damals massiv antisemitisch war?

Islamisten sowie die kulturelle Linke in Frankreich und anderswo halten es für skandalös, wenn ein seriöser Historiker solche Fragen stellt. Doch man muss wissen: Die Geschichte der Juden in der arabischen Welt wurde lange Zeit von Hofjuden geschrieben. Georges Bensoussans spannendes Buch würde es verdienen, auch ins Deutsche übersetzt zu werden.

Georges Bensoussan: »Les Juifs du monde arabe. La question interdite«. Odile Jacob, Paris 2017, 166 S., 21,90 €

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