Mathematik

Der perfekte Buchstabensalat

Entschlüsselt ergibt dies vielleicht ein Shakespeare-Sonett. Foto: Fotolia

Als Teenager begeistert er sich für Amateurfunk und Kryptografie. Irgendwann stößt er zum ersten Mal auf eine geheimnisvolle Chiffriermaschine namens »Chaocipher«. Mit 16 verschlingt Moshe Rubin in der Jewish National and University Library Jerusalem die Autobiografie des Chaocipher-Erfinders John Francis Byrne – und zwar das Exemplar, das Byrne persönlich an Albert Einstein geschickt hatte. Heute arbeitet Rubin als Entwickler in einer Softwarefirma bei Tel Aviv. Jetzt hat er das Rätsel von Chaocipher gelöst.

Über 90 Jahre lang sagte das »Chaocipher«-Verfahren nur einer Handvoll Kryptologen überhaupt etwas: ein Verschlüsselungsprinzip aus dem Jahre 1918, fast ebenso alt wie die berühmte Enigma-Maschine, die im Zweiten Weltkrieg zur Verschlüsselung militärischer Nachrichten verwendet wurde. Angeblich ließen sich mit Chaocipher Texte so chiffrieren, dass sie chaotischen Buchstabensalaten gleichen. Doch im Gegensatz zu Enigma kam Chaocipher nicht nur nie zum Einsatz, sondern wurde auch nie geknackt, und wie das System genau funktionierte, das wussten lange Zeit nur wenige Eingeweihte, denen der Erfinder John Francis Byrne das Geheimnis verraten hatte. Als er 1960 starb, hinterließ er der Öffentlichkeit an Informationen kaum mehr als seine Autobiografie, deren Kapitel 21 ein Preisrätsel enthielt: Wer sagen konnte, wie Byrne unter anderem die amerikanische Unabhängigkeitserklärung verschlüsselt hatte, sollte einen Preis von 5.000 Dollar erhalten. Nie hat sich jemand das Geld abgeholt, auch Einstein nicht, obschon die zahlreichen Anstreichungen in seinem Exemplar der Autobiografie darauf schließen lassen, dass er das Thema Chaocipher intensiv studiert hat.

lebensthema »Wir wissen heute, dass Chaocipher eine Chiffriermethode war, deren Zeit noch lange nicht gekommen war«, sagt Moshe Rubin. »Chaocipher ist wohl das früheste Beispiel für eine dynamische Substitution, von der wir heute wissen, dass sie extrem schwer zu knacken ist.« Rubin hat es über 30 Jahre lang probiert, seit er als 13-Jähriger mit seinen Eltern aus Brooklyn nach Jerusalem gezogen war. »1975 ließ ich mir Fotokopien von den Seiten mit dem Code in Byrnes Autobiografie machen. Wir hatten keine PCs, und ich hatte noch nicht einmal gelernt, einen Computer zu programmieren. Also suchte ich mit Papier und Bleistift im Code nach Mustern«, erinnert er sich. Die Kopien begleiten ihn in den folgenden Jahrzehnten. Rubin studiert Informatik in Jerusalem, heiratet Ende der 80er-Jahre, gründet eine Familie und vernachlässigt auch nicht seine anderen Hobbys, darunter das Spielen der Konzertina, eines kleinen Akkordeons. Doch all die Jahre lässt ihm Chaocipher keine Ruhe.

Im Juli 2008 packt es ihn aufs Neue. Der Software-Entwickler ist inzwischen 51 Jahre alt und Vater von acht Kindern – da kramt er seine Chaocipher-Unterlagen wieder hervor. »Ich habe mir gesagt: Das Leben ist sehr kurz. Wenn du was tun willst, dann tue es. Genau das habe ich getan.« Er gründet das virtuelle »Chaocipher Clearing House«, eine Internetseite, auf die er alles hochlädt, was er an Informationen über Chaocipher gesammelt hatte.

Und es hatte sich einiges getan in den 30 Jahren, die seit Rubins erster Begegnung mit Byrnes Codes vergangen waren. Louis Kruh und Cipher A. Deavours, zwei namhafte amerikanische Kryptologen, hatten den Sohn von Byrne ausfindig gemacht. Dieser hatte den beiden Wissenschaftlern unter dem Siegel der Verschwiegenheit tatsächlich verraten, wie Chaocipher funktionierte. Kruh und Deavors hatten begeistert einen Artikel über das System geschrieben – ohne das Prinzip zu verraten.

nachlass Doch Rubin war sich sicher: »Wenn eines gewiss ist, dann, dass die Stärke eines Verschlüsselungssystems nicht im Geheimhalten des Systems liegen kann.« Er begann gemeinsam mit anderen Amateur- Kryptologen, Modelle für Chaocipher zu entwickeln und zu verwerfen und ließ die Welt per Internet am Fortgang der Arbeiten teilhaben. Doch die Modelle passten nicht auf die Codes, die Byrne hinterlassen hatte.

Rubin versuchte einen neuen Ansatz: Er begann die Nachkommen Byrnes zu suchen – und hatte hierbei mehr Glück: Die Schwiegertochter John Francis Byrnes, Patricia Byrne, war noch am Leben. Wochenlang versuchte Rubin, die über 90-jährige Witwe davon zu überzeugen, die Pappkartons mit den Chaocipher-Hinterlassenschaften ihres Schwiegervaters einem Museum zu vermachen. Es klappte – und das National Cryptologic Museum in Maryland überließ Rubin einige Kopien aus dem Material. »Es war sehr schwierig, aber schließlich konnte ich daraus herleiten, wie Chaocipher funktionierte«, erzählt Rubin stolz. Nach über 90 Jahren knackte er im Sommer 2010 das Chaocipher-Problem. »Ich wollte die Sache endgültig klären, um in der Nacht ruhig schlafen zu können.« Das kann er nun.

**************************************************************

so funktioniert caocipher
Man beginnt mit zwei Alphabeten, die durcheinander gewürfelt und übereinander geschrieben werden. Sie dienen zugleich als Schlüssel.

*
NHISXMABZEGVYQTWLJDCFKROUP
YAFLIXGRJZQTMENBWHCSOPKDUV

Die 14. Stelle wird markiert (*). Angenommen, die Worte JUEDISCHEALLGEMEINE sollen verschlüsselt werden. Dazu sucht man zunächst den ersten Buchstaben (J) in der ersten Zeile. Der Buchstabe darunter gibt den verschlüsselten Buchstaben (H).

*
NHISXMABZEGVYQTWLJDCFKROUP
YAFLIXGRJZQTMENBWHCSOPKDUV

Bevor man den nächsten Buchstaben verschlüsselt, werden die beiden Alphabete neu gemischt. Chaocipher ist eine dynamische Substitution, das heißt: die Mischung hängt vom vorangehenden Text ab, in diesem Fall von dem soeben erzeugten Buchstabenpärchen aus Klartext (J) und Chiffre (H). Das macht ein Knacken des Codes deutlich schwieriger.

1. Permutiere die erste Zeile zyklisch, bis J ganz hinten steht.

*
DCFKROUPNHISXMABZEGVYQTWLJ
YAFLIXGRJZQTMENBWHCSOPKDUV

2. Entferne den dritten Buchstaben in der ersten Zeile (F) und füge ihn an der Stelle * ein. Alle Buchstaben zwischen Position 4 und Position * wandern dadurch eine Stelle nach links.

*
DCKROUPNHISXMFABZEGVYQTWLJ
YAFLIXGRJZQTMENBWHCSOPKDUV

3. Permutiere nun die zweite Zeile zyklisch, bis H ganz vorne steht.

*
DCKROUPNHISXMFABZEGVYQTWLJ
HCSOPKDUVYAFLIXGRJZQTMENBW

4. Entferne den zweiten Buchstaben (C) in der zweiten Zeile und füge ihn an der Stelle * ein. Alle Buchstaben zwischen Position 2 und Position * wandern eine Stelle nach links.

*
DCKROUPNHISXMFABZEGVYQTWLJ
HSOPKDUVYAFLICXGRJZQTMENBW

Nun kann der nächste Buchstabe verschlüsselt werden. Die Worte JUEDISCHEALLGEMEINE ergeben so chiffriert HDRBDDENLZZRAPEVMYO.

Potsdam

Chronist der neuen Weiblichkeit

Das Museum Barberini zeigt Modiglianis Menschenbilder in neuem Licht

von Sigrid Hoff  25.04.2024

München

Ausstellung zeigt Münchner Juden im Porträt

Bilder von Franz von Lenbach und anderen sind zu sehen

 25.04.2024

Wien

Spätwerk von Gustav Klimt für 30 Millionen Euro versteigert

Der Künstler malte das »Bildnis Fräulein Lieser« kurz vor seinem Tod

 25.04.2024

Los Angeles

Barbra Streisand: Lovesong als Zeichen gegen Antisemitismus

Für die Serie »The Tattooist of Auschwitz« singt sie das Lied »Love Will Survive«

 25.04.2024

Kommentar

AfD in Talkshows: So jedenfalls nicht!

Die jüngsten Auftritte von AfD-Spitzenpolitikern in bekannten Talk-Formaten zeigen: Deutsche Medien haben im Umgang mit der Rechtsaußen-Partei noch viel zu lernen. Tiefpunkt war das Interview mit Maximilian Krah bei »Jung & Naiv«

von Joshua Schultheis  24.04.2024

Meinung

Der Fall Samir

Antisemitische Verschwörungen, Holocaust-Relativierung, Täter-Opfer-Umkehr: Der Schweizer Regisseur möchte öffentlich über seine wirren Thesen diskutieren. Doch bei Menschenhass hört der Dialog auf

von Philipp Peyman Engel  22.04.2024

Essay

Was der Satz »Nächstes Jahr in Jerusalem« bedeutet

Eine Erklärung von Alfred Bodenheimer

von Alfred Bodenheimer  22.04.2024

Sehen!

Moses als Netflix-Hit

Das »ins­pirierende« Dokudrama ist so übertrieben, dass es unabsichtlich lustig wird

von Sophie Albers Ben Chamo  22.04.2024

Immanuel Kant

Aufklärer mit Ressentiments

Obwohl sein Antisemitismus bekannt war, hat in der jüdischen Religionsphilosophie der Moderne kein Autor mehr Wirkung entfaltet

von Christoph Schulte  21.04.2024