Position

Ihr Bekenntnis

Es ist politisch nicht ohne Risiko, in Deutschland eindeutig für Israel Stellung zu beziehen, zumal als Bundeskanzlerin. Angela Merkel tut es dennoch immer wieder. Warum?

von Margaret Heckel  13.07.2010 15:06 Uhr

Hebräisch zum Anfang und zum Ende: Angela Merkel 2008 vor der Knesset Foto: dpa

Es ist politisch nicht ohne Risiko, in Deutschland eindeutig für Israel Stellung zu beziehen, zumal als Bundeskanzlerin. Angela Merkel tut es dennoch immer wieder. Warum?

von Margaret Heckel  13.07.2010 15:06 Uhr

Direkte Kritik hört sich anders an. Dennoch waren nicht wenige überrascht über die Worte Angela Merkels beim Besuch des libanesischen Ministerpräsidenten Fuad Siniora Mitte Juni in Berlin. Die UN-Resolution 1701 müsse »von allen Seiten« umgesetzt werden, sagte sie bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit ihrem Gast. Der Beschluss sieht den Rückzug Israels auf sein Staatsgebiet vor, während Soldaten der internationalen Friedenstruppe Unifil und die libanesische Armee in den Süden des Landes einrücken. Ein starker Libanon sei im Interesse Israels, argumentierte die Kanzlerin: »Wir helfen dem Libanon, und damit leisten wir einen Beitrag, dass die Existenz Israels besser und sicherer wird.«

Rätselraten Bereits Anfang Juni hatte Merkel in Jerusalem für Irritationen gesorgt, als sie sich der weltweiten Kritik an der missglückten Enterung des »Gaza-Friedens-Schiffs« Mavi Marmara anschloss. Die deutsche Regierungschefin telefonierte deshalb mit Israels Premier Benjamin Netanyahu, »weil das aus humanitären Gründen nicht in Ordnung ist«, wie sie in einem Fernsehinterview sagte. Dass Merkel sich diese kritischen Worte erlaubt, erlauben kann, hat damit zu tun, dass sie sich Israel fest verbunden fühlt. Niemand zieht ihre Position als treue Verbündete der Juden in Zweifel. Drei Momente sind es, die Angela Merkels Verhältnis zu Israel am besten beschreiben. Einer davon hat in ihrer eigenen Partei für viel Rätselraten gesorgt, und so lohnt es sich, damit anzufangen.

Oft wird der Kanzlerin vorgeworfen, sie gebe den Kurs nicht klar genug vor. Auf diesen Tag trifft das nicht zu. »Es geht hier darum, dass vonseiten des Papstes und des Vatikans sehr eindeutig klargestellt wird, dass es keine Leugnung geben kann und dass es natürlich einen positiven Umgang mit dem Judentum insgesamt geben muss«, sagte sie Ende Januar 2009 bei einer Pressekonferenz. Zuvor hatte Papst Benedikt XVI. die Exkommunikation des Holocaust-Leugners und Lefebvre-Bischofs Richard Williamson zurückgenommen. Von großen Teilen der Öffentlichkeit – und vor allem von vielen CDU-Mitgliedern – wurde dies als eine ungehörige Einmischung in die Politik des Vatikans angesehen. Für die Kanzlerin jedoch war es eine notwendige Klarstellung, die sie als Regierungschefin zu treffen hatte: allem entgegenzutreten, was den Holocaust leugnen könnte. In der Tat präzisierte der Papst seine Äußerungen am folgenden Tag.

Dass Merkel sich damit den Zorn und das Unverständnis vieler Katholiken zuziehen würde, war der Kanzlerin klar. Aber es spielte in ihren Überlegungen keine oder nur eine sehr untergeordnete Rolle. Denn das Existenzrecht des Staates Israel und die immerwährende Verantwortung Deutschlands für die Schoa sind unverhandelbare Grundüberzeugungen der Protestantin aus Ostdeutschland. Merkel lässt daran keinen Zweifel, weder im Hintergrundgespräch noch in der öffentlichen Diskussion.

Fassade So waren die beiden weiteren Momente, von denen hier die Rede sein soll, auch seltene Gelegenheiten, einen Blick auf die »echte« Angela Merkel hinter der Fassade der Kanzlerin zu werfen. Auf beide hat sich Merkel intensiv vorbereitet und die Reden in großen Teilen selbst geschrieben. In der bisher fünfjährigen Regierungszeit Merkels gibt es gut eine Handvoll Ansprachen, die ihr ähnlich wichtig waren: Die Ausrufung der Bildungsrepublik zum 60. Geburtstag der sozialen Marktwirtschaft am 12. Juni 2008. Eine Rede in der Katholischen Akademie am 24. März 2009, bei der sie über ihr Wertefundament Auskunft gab. Der Auftritt vor beiden Kammern des US-Senats und Parlaments am 3. November 2009, als sie von ihrer Zeit in der DDR und der Hoffnung auf Freiheit erzählte. Und eben ihre Rede anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Hebräische Universität Jerusalem am 1. April 2007 sowie die Rede vor der Knesset ein knappes Jahr später.

Merkel kommt aus Yad Vashem, als ihr Wagen am Sonntag um 10 Uhr 20 vor dem Haupteingang der Hebrew University auf Mount Scopus hält. »Menschlichkeit wächst aus der Verantwortung für die Vergangenheit«, hat sie zuvor ins Gästebuch der Gedenkstätte geschrieben. Es ist Sonntag, der 1. April 2007, ein warmer, fast schon sommerlicher Tag. Die Kanzlerin ist ein wenig aufgeregt. Nicht nur, weil es ihre erste Ehrendoktorwürde ist, sondern eben auch, weil es ein so besonderer Anlass ist. Sie verschwindet in ein Nebenzimmer zu einem kurzen Gespräch mit dem Universitätspräsidenten Menachem Magidor. Er wird wenige Minuten später eine wahre Eloge auf Merkel halten. Mit dem Ehrendoktor würde »eine der herausragenden Führungsgestalten ihrer Generation« geehrt, sagt er und nennt Merkel ein »hervorragendes Beispiel dafür, wie man die goldene Mitte in rivalisierenden Meinungen findet«. Dass die Kanzlerin nervös ist, zeigt sich, nachdem Magidor ihr die hellblaue Ehrenkette mit der Medaille umgelegt und diese mit einer Urkunde überreicht hat. Immer wieder während des folgenden Musikstücks nestelt Merkel an der Schleife herum, auf dass sie ordentlich sitzt.

Als sie sich schließlich bedankt, kommt sie sofort zur Sache. Sie empfinde diese Auszeichnung nicht nur als eine große Ehre, sondern auch als Verpflichtung. Zwei Versprechen wolle sie deshalb abgeben – »immer dem Ziel verpflichtet zu sein, dass Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus in Deutschland und Europa nie wieder eine Chance bekommen dürfen« und »dass es heute und in Zukunft eine Konstante deutscher Außenpolitik ist und bleibt, für das Existenzrecht Israels und für unsere gemeinsamen Werte und Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einzutreten«.

Staatsräson Nun sind diese Sätze an sich nichts Besonderes aus dem Mund eines deutschen Politikers, sondern übliche Bekenntnis-Rhetorik. Merkel aber meint, was sie sagt. Wie ein langjähriger Wegbegleiter analysiert, hat das möglicherweise auch damit zu tun, dass sie die ersten 35 Jahre ihres Lebens in dem deutschen Staat zugebracht hat, für den weder das transatlantische Bündnis noch die soziale Marktwirtschaft und eben auch nicht die Versöhnung mit Israel zur Staatsräson gehörten. Angela Merkel hat sich alle drei Themen freiwillig intellektuell angeeignet. Sie hat sich damit beschäftigt, darüber gelesen, mit anderen mehr heimlich als offen darüber diskutiert. Einen derart intensiven Annäherungsprozess haben nur die wenigsten westdeutschen Politiker hinter sich, für die alle drei Themen doch eher zum ritualisierten und selten reflektierten Traditionsgut Westdeutschlands gehören.

Vor diesem Hintergrund sind auch Merkels schnelle Interventionen in der Causa Hohmann und dem Fauxpas des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günter Oettinger zu sehen. In beiden Fällen zauderte die Frau, der man so oft Zaudern vorwirft, überhaupt nicht. Besonders bei dem CDU-Abgeordneten Martin Hohmann wusste die damalige Unions-Fraktionschefin, dass ihr der Ausschluss innerparteilich sehr viel Ärger einhandeln würde. Und Merkel war zum Zeitpunkt der antisemitischen Äußerungen Hohmanns zwar seit drei Jahren Parteichefin, doch zumindest als Fraktionsvorsitzende längst nicht unumstritten in ihrem Amt. Viele trugen ihr noch nach, dass sie gemeinsam mit dem gescheiterten Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber nach der Bundestagswahl im Herbst 2002 Unionsfraktionschef Friedrich Merz kühl abserviert hatte.

Gesinnung Jemand, der Merkel auf dem Weg in die entscheidende Fraktionssitzung begleitet hatte, erinnert sich an das »bange Gefühl, wie wohl die Fraktion reagieren würde«. Wie das Leben manchmal so spielt, fuhr Merkel sogar zufällig gemeinsam mit Hohmann im Aufzug zur Fraktionssitzung. Doch für die damalige Oppositionsführerin war eben auch klar, dass derartiges Verhalten und eine derartige Gesinnung in der CDU keinen Platz haben dürfen. Ähnlich schnell und deutlich reagierte sie, als der baden-württembergische Ministerpräsident Günter Oettinger in einer Trauerrede seinen Vorgänger Hans Filbinger zum »Gegner des Nationalsozialismus« adelte – eine nachweislich falsche Bezeichnung für den früheren NS-Marinerichter. Ihre Rüge für Oettinger fand sich in wörtlichen Zitaten aus dem vertraulichen Telefongespräch der beiden am nächsten Tag in der BILD-Zeitung wieder, einer der ganz seltenen Fälle, wo die Quelle der Indiskretion vermutlich im Kanzleramt gelegen haben dürfte und bewusst gestreut worden war.

Wie Merkel ihr Verhältnis zu Israel in ihrer historischen Rede vor der Knesset beschreibt, ist deshalb wörtlich zu nehmen. »Ja, es sind besondere, einzigartige Beziehungen: Mit immerwährender Verantwortung für die Vergangenheit, mit gemeinsamen Werten, mit gegenseitigem Vertrauen, mit großer Solidarität füreinander und mit vereinter Zuversicht. In diesem Geist wird Deutschland Israel nie allein lassen, sondern treuer Partner und Freund sein«, sagte sie am 18. März 2008 im israelischen Parlament. Und die Tatsache, dass sie ihre Rede in Hebräisch begann und beendete, war in diesem Fall keine leere Geste, sondern kam von Herzen: »Ich danke Ihnen für die Ehre, hier sprechen zu dürfen«, sagte die Kanzlerin zu Beginn und endete mit einem Glückwunsch zum 60-jährigen Bestehen des Staates Israel.

Sicherheit Auch wenn die kopfgesteuerte Kanzlerin normalerweise nicht viel mit Pathos anfangen kann, war ihr das Besondere dieser Einladung sehr bewusst, als erste Regierungschefin überhaupt vor der Knesset reden zu können. Ihr Bekenntnis zur Verteidigung der Sicherheit Israels ist klar und unmissverständlich: »Diese historische Verantwortung ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar.« Diese Überzeugung bildete auch die Grundlage für Merkels Auseinandersetzung mit den missverständlichen Äußerungen von Papst Benedikt in Sachen Bischof Williamson. Für die bekennende Katholikin und CDU-Vizechefin Annette Schavan waren sie keine Überraschung: Merkel habe hier in ihrer Funktion als Regierungschefin gehandelt, die jedem Versuch, den Holocaust zu leugnen, energisch entgegentreten müsse.

Dreimal war Merkel vor ihrer Wahl zur Bundeskanzlerin bereits in Israel, seitdem noch deutlich öfter. Auch bei ihr hat sich ein gerüttelt Maß an Frustration über die nachhaltig schwierige Lage in Nahost angesammelt. Doch die Frau, die das »Wunder der deutschen Wiedervereinigung« erlebt hat, hat dennoch nicht aufgehört, auch auf andere Wunder zu hoffen. »Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen«, zitiert sie Theodor Herzl in ihrer Dankesrede an der Hebrew University. Als er diesen Satz 1897 in Basel aussprach, hätten ihn viele als Utopisten bezeichnet. Doch sei 25 Jahre später »sein Märchen tatsächlich das geworden, was er sich gewünscht und erträumt hätte: Wirklichkeit«. Ebenso glaube sie an die »Vision einer Zwei-Staaten-Lösung«. Auch Europas Geschichte sei »die Geschichte der Überwindung von Gegensätzen, die man lange für unüberbrückbar gehalten hatte«. Und weiter: »Was heute noch in weiter Ferne zu liegen scheint, kann schneller Wirklichkeit werden, als wir uns vielleicht vorstellen können. Nichts muss so bleiben, wie es ist.«

Margaret Heckel ist Autorin des Bestsellers »So regiert die Kanzlerin«, Piper Verlag, 2009.

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