Neulich beim Kiddusch

»Wir brauchen Wundschnellverband!«

Was einem in der Synagoge alles passieren kann

von Beni Frenkel  25.05.2010 07:12 Uhr

Für den Notfall ein Pflaster Foto: JA

Was einem in der Synagoge alles passieren kann

von Beni Frenkel  25.05.2010 07:12 Uhr

Das Arche-Noah-Motiv gehört bei den Malern sicher nicht zu den unbeliebtesten Steilvorlagen. Häufig sieht man das Gleiche: Ein bärtiger Noah schreitet bedächtig dem Holzschiff entgegen, hinter ihm watscheln zwei Enten, zwei Elefanten, zwei Tiger und so weiter.

Kürzlich aber habe ich ein altes Kinderbuch entdeckt, das mit einem Detail aufwartete, das mir so noch nie bewusst war. Auch hier sieht man Tierpärchen geduldig in der Warteschlange stehen. Interessanter sind aber die Frauen. Noahs Frau und die Weiber seiner drei Söhne stolzieren mit einem Handtäschchen in das bauchige Schiff. Handtaschen! Dass mir das vorher noch nie aufgefallen war? Aber es macht Sinn. So wie es eines göttlichen Wunders bedurfte, all das Getier in der kleinen Fähre unterzubringen, braucht es jedes Mal ein Wunder, um die Unmengen Frauenzeugs in so eine kleine Tasche hineinzupressen.

holzbox Ich möchte heute allerdings gerne etwas von mir preisgeben und den Fokus wieder auf mich lenken: Ich bin ein Mann mit sehr femininen Zügen. Zwar besitze ich keine Handtaschen, dafür aber eine Holzbox an meinem Synagogenplatz. Dort habe ich ganz viele Sachen verstaut: einen Siddur, einen Tallit, Machsorim und einen Pentateuch. Das nenne ich die Grundausstattung. In meiner Box befinden sich aber auch noch: Taschentücher, Münzen, Briefmarken und Wundschnellverband. Manchmal träume ich davon, dass plötzlich der Rabbiner schreit: »Wir brauchen Wundschnellverband, wir brauchen Wundschnellverband!« Ich habe schon hundertmal meine Reaktion eingeübt: Sofort werde ich auf meinem Sitz hochspringen und zurückschreien: »Ich habe Wundschnellverband!«

Das ist aber noch nicht alles. In meiner Box habe ich einen kleinen Notvorrat an Süßigkeiten und eine Flasche Wasser. Die Süßigkeiten esse ich manchmal heimlich während der Tora-Vorlesung. Man glaubt es kaum, aber in der Box befinden sich auch ein paar frische Socken. Wozu? Die brauche ich beim Ausgang von Jom Kippur, wenn meine Füße stinken wie Sau.

deodorant Aber natürlich habe ich auch ein gut riechendes Deo neben den Socken liegen. Mein zweiter Traum verläuft nämlich so: »Der Synagogendiener ruft verzweifelt: Wir brauchen ein Deo, wir brauchen ein Deo!«

Manchmal mache ich Inventur. Wenn etwas fehlt, flüstere ich mir zehnmal halblaut vor: »Neue Süßigkeiten kaufen!« Nur in seltenen Fällen vergesse ich nach Schabbat diese Einkäufe.

Meine Zauberbox ist natürlich längst kein Geheimnis mehr. Wenn ich sie aufmache, spüre ich die Kinderblicke hinter mir. Ein paar Micky-Maus-Taschenbücher liegen ja auch noch drin. Und ein Übersetzungsbuch Hebräisch–Deutsch, ein Fahrplan, eine Koscherliste, zwei Batterien und ein altes Exemplar der Jüdischen Allgemeinen. Darin gibt es einen seltsamen Artikel von einem Spinner, der in seinem Synagogenfach Taschentücher, Briefmarken und Wundschnellverband hortet. Mit was für Quatsch die Zeitungen ihre Zeilen füllen.

Tasria

Ein neuer Mensch

Die Tora lehrt, dass sich Krankheiten heilsam auf den Charakter auswirken können

von Yonatan Amrani  12.04.2024

Talmudisches

Der Gecko

Was die Weisen der Antike über das schuppige Kriechtier lehrten

von Chajm Guski  12.04.2024

Meinung

Pessach im Schatten des Krieges

Gedanken zum Fest der Freiheit von Rabbiner Noam Hertig

von Rabbiner Noam Hertig  11.04.2024

Pessach-Putz

Bis auf den letzten Krümel

Das Entfernen von Chametz wird für viele Familien zur Belastungsprobe. Dabei sollte man es sich nicht zu schwer machen

von Rabbiner Avraham Radbil  11.04.2024

Halacha

Die Aguna der Titanic

Am 14. April 1912 versanken mit dem berühmten Schiff auch jüdische Passagiere im eisigen Meer. Das Schicksal einer hinterbliebenen Frau bewegte einen Rabbiner zu einem außergewöhnlichen Psak

von Rabbiner Dovid Gernetz  11.04.2024

Berlin

Koscher Foodfestival bei Chabad

»Gerade jetzt ist es wichtig, das kulturelle Miteinander zu stärken«, betont Rabbiner Yehuda Teichtal

 07.04.2024

Schemini

Äußerst gespalten

Was die vier unkoscheren Tiere Kamel, Kaninchen, Hase und Schwein mit dem Exil des jüdischen Volkes zu tun haben

von Gabriel Rubinshteyn  05.04.2024

Talmudisches

Die Kraft der Natur

Was unsere Weisen über Heilkräuter lehren

von Rabbinerin Yael Deusel  05.04.2024

Sucht

Hör auf zu scrollen!

Wie kommen wir vom Handy los? Eine religiöse Sinnsuche

von Rabbiner David Kraus  05.04.2024