Hamburg

Schwierige Heimreise

»Es ist schwierig, aber ich komme«: Am 1. Februar wurde Lucille Eichengreen 85. Foto: dpa

Es ist ein paar Jahre her, Lucille Eichengreen ist offiziell eingeladen vom Hamburger Senat. In einem kleinen Saal im Rathaus berichtet sie über ihr Leben: Wie das war, als die Nachbarskinder sie plötzlich als »Drecksjude« beschimpften; wie die Synagoge brannte, wie der Vater nach Dachau kam. Als sie erzählt, wie die Gestapomänner ihrer Mutter in der Küche einen Pappkarton mit der Asche ihres Mannes überreichen, stürzt eine ältere, hagere Frau nach vorne. Sie fällt vor ihr auf die Knie: »Ich möchte mich hier für alles entschuldigen, was wir Ihrem Volk angetan haben«, sagt sie mit aufgeregter Stimme.

»Bitte stehen Sie auf«, sagt Lucille Eichengreen leicht verlegen. Die Frau erhebt sich langsam, mehr zufällig schaut sie auf ihre Armbanduhr: »Der Bus!«, ruft sie: »Helmuth, unser Bus!« Und sie springt auf, greift sich einen gleichfalls älteren Herrn mit Hut und beide zwängen sich hektisch durch die Reihen nach draußen.

Nach Fahrplan Es hat lange gedauert, bis Lucille Eichengreen, die am 1. Februar in Hamburg geboren wurde und die gerade ihren 85. Geburtstag feierte, ihre Geburtsstadt wieder besucht. 1991 war es soweit, 50 Jahre, nachdem sie auf der Moorweide auf einen LKW kletterte: Es ging zum Hannoverschen Bahnhof, einem Güterbahnhof, dort, wo heute die Hafencity gebaut wird. Von hier aus werden bis zum Februar 1945 mehr als 7.600 Menschen deportiert. Nach Fahrplan, ordentlich mit Kelle und Pfeife von Hamburger Bahnbeamten abgefertigt.

Lucille Eichengreen überlebt das Ghetto von Lodz, wo ihre Mutter und ihre Schwester umkommen; sie überlebt Auschwitz. Sie kommt von dort in ein weiteres Lager, mitten im Hamburger Freihafen. Sie muss mit bloßen Händen verbogene Stahlträger bergen und Schutt räumen. Man bringt sie ins nächste Lager, im Nordosten von Hamburg, dort wird sie auch im Büro eingesetzt: »Denn ich konnte Deutsch, die anderen Häftlinge haben nur Polnisch gesprochen. Ich habe mir die 40 SS-Leute, die dort gearbeitet haben, alle Hamburger, gemerkt. Wozu, wusste ich nicht.«

zeugin Sie wird es wieder wissen, als sie nach Kriegsende für die Briten als Übersetzerin arbeitet – und sich plötzlich an die Namen erinnert: Die Männer werden verhaftet und vor Gericht gestellt. Lucille Eichengreen ist als Zeugin geladen. Abends, als sie in ihr Zimmer zurückkehrt, findet sie kleine Zettel vor: »Wir werden dich finden; wir werden dich umbringen«, steht drauf. Und sie beschließt Deutschland zu verlassen: »Ich habe geheiratet und nach und nach ein neues Leben begonnen.«

»Am Anfang war es schlimm, zurückzukommen«, sagt sie: »Aber seit ich vor Studenten spreche und in Schulen gehe, wird es leichter.« Jüngst hat sie dafür die Ehrenmedaille der Stadt Hamburg bekommen, überreicht vom Hamburger Bürgermeister. Für den Mai ist sie wieder zu Gesprächen eingeladen. »Es ist schwierig, aber ich komme«, sagt sie: »Doch leben könnte ich in Deutschland nicht.«

Pessach

Vertrauen bewahren

Das Fest des Auszugs aus Ägypten erinnert uns daran, ein Leben in Freiheit zu führen. Dies muss auch politisch unverhandelbare Realität sein

von Charlotte Knobloch  22.04.2024

Pessach

Das ist Juden in Deutschland dieses Jahr am wichtigsten

Wir haben uns in den Gemeinden umgehört

von Christine Schmitt, Katrin Richter  22.04.2024

Bayern

Gedenkveranstaltung zur Befreiung des KZ Flossenbürg vor 79 Jahren

Vier Schoa-Überlebende nahmen teil – zum ersten Mal war auch der Steinbruch für die Öffentlichkeit begehbar

 21.04.2024

DIG

Interesse an Israel

Lasse Schauder über gesellschaftliches Engagement, neue Mitglieder und die documenta 15

von Ralf Balke  21.04.2024

Friedrichshain-Kreuzberg

Antisemitische Slogans in israelischem Restaurant

In einen Tisch im »DoDa«-Deli wurde »Fuck Israel« und »Free Gaza« eingeritzt

 19.04.2024

Pessach

Auf die Freiheit!

Wir werden uns nicht verkriechen. Wir wollen uns nicht verstecken. Wir sind stolze Juden. Ein Leitartikel zu Pessach von Zentralratspräsident Josef Schuster

von Josef Schuster  19.04.2024

Sportcamp

Tage ohne Sorge

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin und Makkabi luden traumatisierte Kinder aus Israel ein

von Christine Schmitt  18.04.2024

Thüringen

»Wie ein Fadenkreuz im Rücken«

Die Beratungsstelle Ezra stellt ihre bedrückende Jahresstatistik zu rechter Gewalt vor

von Pascal Beck  18.04.2024

Berlin

Pulled Ochsenbacke und Kokos-Malabi

Das kulturelle Miteinander stärken: Zu Besuch bei Deutschlands größtem koscheren Foodfestival

von Florentine Lippmann  17.04.2024