Anleger

Einer gegen die Bank

Ivar Buterfas hat durch die Lehman-Pleite viel Geld verloren – und es sich wiedergeholt. Jetzt soll er schweigen. Doch der 77-Jährige denkt gar nicht daran. Ein Hausbesuch

von Frank Keil  04.02.2010 00:00 Uhr

»Wenn ich die Dresdner Bank vor dem Kadi habe, wird ganz Europa hinschauen«: Ivar Buterfas Foto: Christian Burkert

Ivar Buterfas hat durch die Lehman-Pleite viel Geld verloren – und es sich wiedergeholt. Jetzt soll er schweigen. Doch der 77-Jährige denkt gar nicht daran. Ein Hausbesuch

von Frank Keil  04.02.2010 00:00 Uhr

Der Mann ist ein Tausendsassa. Das sieht er selbst auch so. Ivar Buterfas sitzt auf einem braunen Sofa in seinem Haus bei Jesteburg in der Südheide. Und es sprudelt nur so aus ihm heraus: »Ich habe 463 Städte bereist und zwei Bücher geschrieben«, sagt er und fährt sich dabei durch sein immer noch dichtes Haar. »Manchmal habe ich in Sälen vor 2.000 Schülern gesprochen.« Das Bundesverdienstkreuz nennt der alte Herr sein Eigen, den Weltfriedenspreis auch. Mindestens 20 Millionen Euro Spenden hat er für das Mahnmal St. Nikolai in Hamburg eingeworben und geholfen, die Gedenkstätte des ehemaligen KZ-Auffanglagers Sandbostel aufzubauen. Ja, Ivar Buterfas ist umtriebig, hartnäckig. Nun aber möchte der 77-Jährige sich zur Ruhe setzen, eigentlich.

Ivar Buterfas wurde im Januar 1933 in Hamburg geboren. Sein Vater ist Jude, die Mutter Christin. Trotz aller Schikane und Gefahren bleibt sie bei ihrem Mann. Sie versteckt sich mit den acht Kindern zunächst in Polen, dann bis Kriegsende in Hamburg, während der Vater erst in Schutzhaft kommt und dann das KZ überlebt. Buterfas bleibt in der Hansestadt, auch wenn der von den Nazis zum Staatenlosen Erklärte bis 1961 alle drei Monate zur Ausländerbehörde muss, um sich die Aufenthaltserlaubnis in den Fremdenpass stempeln zu lassen: »Das war nach dem Judenstern die zweite Diskriminierung, die ich erfahren habe.«

aufklärer Was ihm hilft, all das zu überstehen, ist sein Wunsch, die Jugend aufzuklären. Über das, was in der Nazizeit und danach geschah. Zum Beispiel, wie der Standesbeamte von seiner künftigen Frau einen Ariernachweis verlangte, weil doch ihr Geburtsname »Frankenthal« so wenig deutsch klinge. Das alles ist nicht spurlos an ihm vorübergegangen. »Nachts kommen die Dämonen«, sagt er und senkt die Stimme. »Dann steht die Vergangenheit vor mir, schlimm ist das.« Neulich ist er drei Mal hintereinander nach Hamburg gefahren, zu dem Haus, in dem sie nach dem Einmarsch der Briten endlich in Frieden leben konnten: »Ich musste einfach sehen, ob das alles wirklich so war, wie ich es in Erinnerung hatte, die Freitreppe, die Haustür, die Fenster. Erst danach war ich wieder ruhig.« Buterfas überlegt, sich therapeutisch helfen zu lassen, so wie es ihm der Arzt geraten hat: »Ich muss das abbauen. Ich möchte mit meiner Frau ja noch ein paar schöne Dinge erleben.«

Aber eines soll vorher noch zu Ende geführt werden – sein Kampf mit der Dresdner Bank. Dabei wollte er mit dem Geldinstitut nie etwas zu tun haben. Wegen dessen NS-Vergangenheit, die eng mit seiner Familiengeschichte verknüpft ist: »Mein Großvater väterlicherseits hatte in Dresden eine Zigarettenfabrik. Die wurde 1936 von den Nazis arisiert; viel zu gering geschätzt auf 100.000 Reichsmark. Und von den 10.000 Reichsmark, die er erhalten hat, haben diese Verbrecher noch 4.000 Reichsmark Judenfluchtsteuer einbehalten. Und wer war bei diesen Sachen vornean? Die Dresdner Bank!«

Als das Geldinstitut in Ivar Buterfas’ Leben tritt, ist er schwer krank, kämpft mit dem Krebs, gilt als austherapiert. »Da regelt man alles, was man regeln kann«, erwähnt er fast beiläufig. Ein Vertreter der Allianz kündigt sich an, und der will jemanden mitbringen, einen Kollegen. Doch der Kollege ist nicht von der Allianz, sondern von der Dresdner Bank: »Ich war plötzlich wieder hellwach und gesund, als ich das mitkriegte«, erzählt Buterfas. Er konfrontiert den Bankberater mit der Vergangenheit seines Auftraggebers zwischen 1933 und 1945, will von einem Geschäft nichts wissen. Doch sein Gegenüber lässt nicht locker und verweist darauf, dass die Dresdner Bank jetzt zur Allianz gehöre: »Ich erlahmte langsam – na, und dann machte ich einen Vorschlag: keine Aktien, kein Risiko. Das Geld wird konservativ angelegt! Und alles bitte schriftlich, in drei verständlichen Sätzen abgefasst.« Nach nur vier Tagen findet er die Unterlagen im Briefkasten vor. Es geht um 150.000 Euro.

Urknall Gut zehn Monate später sieht Ivar Buterfas im Fernsehen, wie eine Bank namens Lehman Brothers in New York ihre Büros räumt. Er ruft bei der Dresdner an, will mal hören, was da los ist. Und erfährt, dass er 64 Prozent seiner Einlagen verloren habe, die in Aktien stecken, rund 80.000 Euro. »Nee, Ihre Bank hat Geld verloren, meine Anlage ist dagegen konservativ, also sicher, hab’ ich schriftlich«, erklärt Buterfas dem Mann. Der stammelt etwas von einem Urknall, der die ganze Welt erfasst habe. Buterfas holt tief Luft: »Ich habe dem nur noch gesagt: Sie satteln jetzt Ihr schnellstes Dresdner Pferd, das bei Ihnen im Stall steht und galoppieren mit der Kohle hierher! Und dafür gebe ich Ihnen genau zweimal 24 Stunden. Den Weg kennen Sie ja.« Natürlich kommt der Reiter nicht. Buterfas nimmt sich einen Anwalt, viele Telefonate und Briefe folgen: Erst will ihm die Bank 50 Prozent des Verlustes erstatten, dann 70 Prozent, schließlich alles. Aber er soll unterschreiben, dass niemand davon erfährt. Mit einem solch anrüchigen Vorschlag ist die Bank bei Ivar Buterfas natürlich an der falschen Adresse. Er unterschreibt nicht und bekommt sein Geld dennoch komplett zurück.

Boni Vielleicht hätte der alte Herr nun alles auf sich beruhen lassen. Doch dann melden die Zeitungen, dass verschiedene Manager der Dresdner Bank trotz aller Verluste ihre Boni in Höhe von 250 Millionen Euro einklagen wollen. Und just in diesem Moment ruft erneut ein Vertreter des Geldinstituts an. Ivar Buterfas erinnert sich genau, stellt das Telefongespräch mit veränderten Stimmen nach: die des Managers leicht nuschelig, seine eigene zunächst ganz sachlich, später kraftvoll dröhnend: Ja, hier spricht die Dresdner Bank. Soundso vom Vorstand. Herr Buterfas, ist doch wunderbar gelaufen mit Ihrem Geld. Wunderbar gelaufen? Sie sind die größten Verbrecher, die es gibt! Einen todkranken Mann beschupsen wollen! Herr Buterfas, was sind Sie böse! Da habe ich dem erklärt, dass ich überhaupt nicht böse bin, aber dass in meinem kommenden Buch ein wunderbares Kapitel über seine Bank vorgesehen sei. Sagt der doch glatt: Ja, wie können wir denn Ihr Buch verhindern? Und ich: Sagen Sie, haben Sie einen Knall? Buterfas schüttelt den Kopf, fasst sich aber rasch wieder: »Um die Sache abzukürzen, habe ich ihm einen Vorschlag gemacht: Ihre Bank und ich, wir teilen uns die Boni!« Buterfas lacht ein kehliges Lachen und fährt sich übers Kinn: »Da war das Gespräch beendet.«

Musterklage Also macht er weiter. Dem Verein für Finanzgeschädigte stellt er alle seine Unterlagen zur Verfügung, das Buchmanuskript hat er juristisch prüfen lassen. Der Arbeitstitel: Ich lasse mich nicht zum Schweigen bringen. »Nächsten Mittwoch sitzen dort auf dem Sofa zwei Anwälte«, kündigt Buterfas an. Mit denen wird er eine Musterklage gegen den Bankberater vorbereiten, will ihn persönlich in Haftung nehmen lassen: »Ein Präzedenzfall. Ich will, dass die Banker endlich zur Vernunft kommen.«

Er steht auf, es geht in den ersten Stock, wo in einem Zimmer mit Rüschengardinen auf hellem Teppichboden ein Vitrinenschrank mit all seinen Preisen und Urkunden steht. Er bückt sich kurz, greift nach einem Kabel und knipst das Licht an. »Ich bin vermutlich der Privatmann mit den meisten Auszeichnungen.« Er tritt einen Schritt zurück, legt den Kopf zur Seite: »Aber das jetzt zu fotografieren, wäre ein bisschen protzig, oder?« Er knipst das Licht wieder aus.

Angezählt Dann geht Buterfas in den Keller, in die Bar. Ein beigefarbener Wandteppich hängt im Durchgang, darauf allerlei Zahlen und Daten: 30. Jubiläum seiner Firma für Bausanierung, 40 Jahre Ehe, 60 Jahre Ivar Buterfas, gestickt von Loki Schmidt, auch im Namen ihres Mannes selbstverständlich. Und dann die Wand mit den Fotos aus seiner Zeit als Boxpromoter. Ein Porträt von Max Schmeling, mit dem er befreundet war; der halbseidene René Weller mit seiner Fönfrisur; der junge Axel Schulz, noch mit Bubigesicht. Das Boxen, ja das sei eine tolle Zeit gewesen. Buterfas tritt einen Schritt zurück, blickt auf die Bilder; er, der auch selbst lange im Boxsport aktiv war: »Bin oft zu Boden gegangen, angezählt, manchmal fast ausgezählt – und bin doch immer wieder aufgestanden. Spätestens, wenn die Neun kam.« Er holt tief Luft, fährt sich wieder einmal durchs Haar: »Wenn ich die Dresdner Bank vor dem Kadi habe – da wird ganz Europa hinschauen. Aber hundertprozentig!« Das klingt nach einer Drohung. Und so ist es wohl auch gemeint.

Die Lebenserinnerungen »Sunny Goj« (1995) und »Mut ist nicht Leichtsinn« (2007) sind im Selbstverlag erschienen. Bestellmöglichkeit über www.ivar-buterfas.de

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