Mitzvah Day

Zeit für Mizwot

Teilnehmer des Mitzvah Day 2016 in Berlin
Teilnehmer des Mitzvah Day 2016 in Berlin

Das dunkle Novemberwetter kann einem ganz schön aufs Gemüt schlagen. Obwohl wir uns mit Blick auf den jüdischen Kalender bereits im Monat Kislew befinden, uns schon auf Chanukka freuen können, ist der November nicht wirklich eine Wohlfühlzeit. Alles etwas grau. Da passt vielleicht ein Ratschlag, wie Sie Ihre Stimmung aufhellen können: Machen Sie eine Mizwa!

Das hebräische Wort Mizwa bedeutet Pflicht oder Befehl, manche übersetzen es als gute Tat. Und das hat direkt mit unserer Stimmung und unserem Wohlbefinden zu tun. Denn wenn wir anderen etwas Gutes tun, tun wir auch uns selbst etwas Gutes. Das ist auf den ersten Blick vielleicht schwer zu verstehen.

Mizwot können unserem Leben Bedeutung verleihen. Sie leiten uns in Richtung Moral und Menschlichkeit.

Die Vorstellung, eine Pflicht zu erfüllen oder einen Befehl auszuführen, macht nicht jeden besonders glücklich. Wir wollen frei sein in unseren Entscheidungen. Die Freiheit des Menschen und die freie Wahl, die das Judentum auch in unserem religiösen Leben vorsieht, scheinen dem entgegenzustehen.

Doch Mizwot sind eher eine Bereicherung als eine Einschränkung des Lebens. Sie können unserem Leben Bedeutung verleihen, uns Orientierung geben. Sie leiten uns in Richtung Moral und Menschlichkeit, wenn wir zum Beispiel in einem Streit Frieden stiften, wenn wir das Verbot achten, andere Menschen zu beleidigen, wenn wir Ältere ehren, anderen Menschen helfen, Tiere in Schutz nehmen und gut behandeln. Die eigene Moral wird dadurch nur gestärkt.

Das Wort Mizwa deutet auch auf eine Verbindung hin. Der Körper strebt nach materieller Befriedigung, die Seele nach Geistigkeit und Spiritualität. So ist die Mizwa zunächst die Verbindung zwischen Seele und Körper.

PFLICHTEN Darüber hinaus ist die Mizwa eine Verbindung des Menschen mit G’tt, indem wir Seinen Willen erfüllen. Die Tora erwähnt insgesamt 613 Mizwot. Wir sollen nicht stehlen oder lügen, diese Gebote kennt jeder. Bekannt sind auch die religiö­sen Pflichten, zum Beispiel den Schabbat zu halten oder auf die Kaschrut zu achten. Dann gibt es viele Pflichten, die wir heute nicht ausüben können, weil sie direkt mit dem Tempel in Jerusalem zu tun haben.

Und dann gibt es noch Pflichten, wie die der Roten Kuh, die wir uns nicht erklären können. Können und wollen wir religiöse Traditionen und Riten akzeptieren, die wir nicht einmal verstehen? Ich habe hier in dieser Zeitung vor einiger Zeit geschrieben, dass das recht schwierig ist, schließlich leben wir in modernen Zeiten, sind vernünftige Menschen, die alles wissen und durchdringen wollen.

Manche Rabbiner meinen, ein Mensch könne mit seinem Verstand den Sinn der Mizwot nicht nachvollziehen. Andere sind der Auffassung, dass die einzige Erklärung dafür, warum wir die Mizwot erfüllen, darin besteht, dass G’tt sie befohlen hat. Punkt.

Das stimmt. Nur gibt es noch einen ganz praktischen und vielleicht sogar etwas eigennützigen Grund, warum wir Mizwot erfüllen sollten. Auf jeden Fall gilt dies besonders für die Mizwot, die die Beziehungen zwischen den Menschen regeln und die wir als gute Taten bewerten können.

GLÜCK Und da sind wir wieder am Beginn unseres Gedankenganges: Wenn wir anderen etwas Gutes tun, tun wir uns auch selbst einen Gefallen. Der ehemalige britische Oberrabbiner Jonathan Sacks zitiert in diesem Zusammenhang den großen jüdischen Psychotherapeuten Viktor Frankl mit dem Satz: »Die Tür zum Glück geht nach außen auf.«

»Glück ist ansteckend. Und jemanden anderen glücklich zu machen, bringt dir viel mehr, als deinen eigenen Bauch zu pinseln.«

Diese Erkenntnis haben wir Juden nicht exklusiv für uns gepachtet. Man muss nicht einmal religiös sein, um auf diesen Gedanken zu kommen. Eckart von Hirschhausen zum Beispiel hat »7 Dinge über Glück« aufgeschrieben. Ein Tipp lautet: »Wenn du wirklich was für dich tun willst, tu was für andere.« Er meint: »Glück ist ansteckend. Und jemanden anderen glücklich zu machen und glücklich zu sehen, bringt dir viel mehr, als deinen eigenen Bauch zu pinseln. Dafür haben wir sogar eigene Nervenzellen im Kopf, die Spiegelneuronen.« Und Eckart von Hirschhausen muss es wissen, denn er ist nicht nur Moderator, Comedian und Buchautor – sondern auch Mediziner.

Wenn Sie also etwas für andere tun wollen: Der Mitzvah Day bietet dafür eine gute Gelegenheit. 40.000 Menschen in 22 Ländern haben sich zum Beispiel im vergangenen Jahr an dieser weltweiten Aktion beteiligt. Sie haben Zeit und Energie gespendet, Kranke oder Senioren besucht, Obdachlose mit Lebensmitteln versorgt oder etwas mit Flüchtlingen unternommen. Also: Machen Sie mal eine Mizwa – der kommende Sonntag wäre ein guter Anlass, damit zu beginnen.

Und wenn wir an andere denken, kommen uns gerade jetzt und vor allem unsere Brüder und Schwestern im Süden Israels in den Sinn. Wir sollten für sie beten, für Frieden und Sicherheit in Sderot, Aschkelon und der ganzen Region.

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Frankfurt/Main und Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD).

Mezora

Die Reinheit zurückerlangen

Die Tora beschreibt, was zu tun ist, wenn Menschen oder Häuser von Aussatz befallen sind

von Rabbinerin Yael Deusel  18.04.2024

Tasria

Ein neuer Mensch

Die Tora lehrt, dass sich Krankheiten heilsam auf den Charakter auswirken können

von Yonatan Amrani  12.04.2024

Talmudisches

Der Gecko

Was die Weisen der Antike über das schuppige Kriechtier lehrten

von Chajm Guski  12.04.2024

Meinung

Pessach im Schatten des Krieges

Gedanken zum Fest der Freiheit von Rabbiner Noam Hertig

von Rabbiner Noam Hertig  11.04.2024

Pessach-Putz

Bis auf den letzten Krümel

Das Entfernen von Chametz wird für viele Familien zur Belastungsprobe. Dabei sollte man es sich nicht zu schwer machen

von Rabbiner Avraham Radbil  11.04.2024

Halacha

Die Aguna der Titanic

Am 14. April 1912 versanken mit dem berühmten Schiff auch jüdische Passagiere im eisigen Meer. Das Schicksal einer hinterbliebenen Frau bewegte einen Rabbiner zu einem außergewöhnlichen Psak

von Rabbiner Dovid Gernetz  11.04.2024

Berlin

Koscher Foodfestival bei Chabad

»Gerade jetzt ist es wichtig, das kulturelle Miteinander zu stärken«, betont Rabbiner Yehuda Teichtal

 07.04.2024

Schemini

Äußerst gespalten

Was die vier unkoscheren Tiere Kamel, Kaninchen, Hase und Schwein mit dem Exil des jüdischen Volkes zu tun haben

von Gabriel Rubinshteyn  05.04.2024

Talmudisches

Die Kraft der Natur

Was unsere Weisen über Heilkräuter lehren

von Rabbinerin Yael Deusel  05.04.2024