Lech Lecha

Vater des Glaubens

Juden beim Gebet in der Machpela-Höhle in Hebron: Dort soll Abraham laut der Überlieferung begraben sein. Foto: Flash 90

An diesem Schabbat beginnen wir mit der Lesung der Geschichte von unserem Erzvater Awraham aus Sefer Bereschit, dem ersten Buch Mose. Diese Erzählung gewinnt auch heute durch die politischen Entwicklungen im Nahen Osten eine besondere Aktualität.

Awraham hatte von zwei verschiedenen Frauen, Hagar und Sara, zwei Söhne: Jischmael und Jizchak. Der Erzvater hatte, wie es im alten Orient üblich war, zwei Ehefrauen. Sollte jemand in dieser Familienstruktur eine Art Patriarchat erblicken, das zulasten der Frau geht, so wird er im Laufe der Erzählung eines Besseren belehrt werden.

patriarchat Nach der Erzählung der Tora war Awrahams erste Frau, Sara, vermutlich eifersüchtig auf die andere Frau. Sara hatte zwar ihren Mann dazu veranlasst, Hagar zur Frau zu nehmen, damit sie Awraham an ihrer statt einen Sohn schenkt. Doch nachdem Hagar schwanger geworden war, verachtete sie ihre Herrin Sara, die sie daraufhin aus dem Hause vertreiben wollte. Wohlgemerkt, nicht der Patriarch Awraham, sondern Sara spricht das Machtwort gegen den Gatten, das zu Hagars Verstoßung führte.

Der Bote des Herrn, so die Tora, findet die leidende, vertriebene Hagar bei einer Quelle in der Wüste und tröstet sie: »Deine Nachkommen will ich so zahlreich machen, dass man sie gar nicht mehr zählen kann. (...) Du wirst einen Sohn gebären und ihn Jischmael nennen, denn der Herr hat in deinem Leid auf dich gehört« (1. Buch Mose 16, 10–11). Der Vers enthält ein hebräisches Wortspiel, denn der Name Jischmael bedeutet »G’tt erhört«.

Doch noch bedeutender ist, dass Awrahams Sohn Jischmael der Urahn aller Muslime ist. Und wir Juden betrachten uns als leibliche Kinder Awrahams, Jizchaks und Jakows.
Viele namhafte Exegeten des Mittelalters haben Saras Verhalten kritisiert. Rabbi Mosche ben Nachman, der Ramban (1194–1270), schreibt in seinem Kommentar: »Unsere Mutter Sara hat wegen der schlechten Behandlung Hagars Schuld auf sich geladen. Jedoch auch Awraham trägt Schuld, weil er das Unrecht duldete. Daher lohnte G’tt das ungerechte Leiden Hagars und ihres Sohnes Jischmael. Dieser wurde der Stammvater jenes Volkes, das später die Nachfahren Saras und Awrahams grausam behandelte.«

Nicht wenige von uns lesen diesen Kommentar mit einem Seufzer. Sollte wirklich alles, was sich bis auf den heutigen Tag zwischen unseren Völkern zuträgt, wegen der unmenschlichen Tat einer einzigen Frau, Sara, geschehen sein? Ich weiß es nicht. Doch das jüdische Volk begann sehr früh, sich den Sinn für die historische Gerechtigkeit einzuschärfen. Vielleicht wird dies eines Tages dabei helfen, dass die jahrhundertelang verfeindeten Cousins, Juden und Muslime, letzten Endes doch zueinander finden.

götzen Es ist Awrahams Verdienst, dass er als erster Mensch den einzigen G’tt erkannt und allen Menschen den Glauben an diesen Einzigen gebracht hat. Daher bezeichnen ihn Angehörige der monotheistischen Religionen als »Vater des Glaubens«.
Der Glaube früherer Menschen beruhte nicht auf Ausführungen von Religionswissenschaftlern. Sie verließen sich auf schlichte, für sie fassbare Überlieferungen oder Legenden.

Aus mehreren Erzählungen über Awrahams Weg zum Glauben erwähne ich hier nur eine: Terach, Awrahams Vater, war ein Kaufmann, der mit Götzenskulpturen handelte. Als er einmal unterwegs war, zerstörte sein Sohn mehrere der Götzen und legte einem von ihnen einen Hammer in die Hand. Als der Vater heimkehrte, erzählte ihm Awraham, der große Götze habe sich mit den anderen gestritten und sie alle zerschlagen. Da wurde Terach wütend: »Was erzählst du mir? Die können sich doch gar nicht bewegen!« Awraham antwortete: »Und du, Vater, ein ehrwürdiger Mann, verbeugst dich vor ihnen und hoffst auf ihre Hilfe?«

Ob dieser Dialog zwischen Vater und Sohn wirklich den Weg für den Monotheismus ebnete und als ein entscheidender Wendepunkt in der Geschichte des Glaubens angesehen werden kann, vermag ich an dieser Stelle nicht zu sagen. Aber auch König David verkündet im Psalm 115 die Ohnmacht der Götzen: »Jene aber sind aus Silber und Gold, von Menschenhänden gemacht. Sie haben Mäuler und reden nicht; sie haben Augen und sehen nicht; sie haben Ohren und hören nicht; sie haben Nasen und riechen nicht; sie haben Hände und greifen nicht; Füße haben sie und gehen nicht; sie reden nicht durch ihren Hals« (4–8).

einwanderung Für die Welt des Judentums ist Awraham der erste Jude. Er hatte die Botschaft G’ttes erhalten und zog als erster Oleh (Neueinwanderer) in das Land der Verheißung. Er leistete dem Wort G’ttes, seines Herrn, Folge und ließ Babylon, das führende Land der antiken Zivilisation, hinter sich. Er zog in ein karges Land an der Küste, in dem er geizige, gierige Hirten vorfand und in dem die Gewalt allgegenwärtig war. Er tat es, ohne aufzubegehren und ohne zu murren.

Martin Buber (1878–1965), der große jüdische Gelehrte, preist G’tt und unseren Vater Awraham, wenn er feststellt: »Er (G’tt) macht einen zum Nomaden des Glaubens.«

Unter den vielen Versuchungen und Herausforderungen unserer Welt scheint mir, dass es uns oft schwerfällt, dem Beispiel Awrahams zu folgen. Sein Glaube kannte kein Anspruchsdenken. Awraham verließ sich darauf, dass sein G’tt »schützt, wie Er schützen will, und führt, wohin Er führen will. Er führt einen, wohin er einen schickt« (Buber, Stationen des Glaubens, 1956).

Der Autor ist emeritierter Landesrabbiner von Württemberg.

inhalt
Der Wochenabschnitt Paraschat Lech Lecha erzählt, wie Awram und Sarai ihre Heimatstadt Charan verlassen und nach Kena’an ziehen. Awrams ägyptische Magd Hagar schenkt ihm einen Sohn, Jischmael. Der Ewige schließt mit Awram einen Bund und gibt ihm einen neuen Namen: Awraham. Als Zeichen für den Bund soll von nun an jedes männliche Neugeborene am achten Lebenstag beschnitten werden.
1. Buch Mose 12,1 – 17,27

Berlin

Koscher Foodfestival bei Chabad

»Gerade jetzt ist es wichtig, das kulturelle Miteinander zu stärken«, betont Rabbiner Yehuda Teichtal

 18.03.2024

Pekudej

Ort des Gebens

Die Tora lehrt, warum »das jüdische Haus« von so grundlegender Bedeutung ist

von Rabbiner Bryan Weisz  15.03.2024

Talmudisches

Die Eule – Symbol der kommenden Zeit

Was unsere Weisen über den nachtaktiven Vogel lehren

von Chajm Guski  15.03.2024

Kino

So jüdisch ist »Dune«

Das erfolgreiche Science-Fiction-Drama ist voller Referenzen

von Lorenz Hegeler  13.03.2024

Jerusalem

Angehörige israelischer Geiseln hoffen auf päpstliche Hilfe

Papst Franziskus möge sich weiter für ihre Angehörigen einsetzen, schreiben die Familien

 10.03.2024

Mainz

Rabbinerin Elisa Klapheck erhält Marie-Juchacz-Frauenpreis

Gewürdigt wird das Engagement der Chefin der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK)

 08.03.2024

Wajakhel

Gʼttliches Licht

Was die Schöpfung, das tragbare Heiligtum und die Zahl 40 miteinander zu tun haben

von Vyacheslav Dobrovych  07.03.2024

Talmudisches

Jeschajahus Tod

Was unsere Weisen über das Lebensende des Propheten lehren

von Rabbiner Avraham Radbil  07.03.2024

Vegetarismus

Die Tiere werden es uns danken

Das Judentum ist keine fleischlose Religion – die pflanzliche Ernährung aber ein Ideal

von Daniel Neumann  07.03.2024