Finale

Der Rest der Welt

Jutebeutel und selbst gestrickte Socken: Mein Coming-out als Biodeutsche

von Naomi Bader  14.08.2018 11:05 Uhr

Halten warm, sind aber soooo deutsch: Wollsocken Foto: Getty Images/iStockphoto

Jutebeutel und selbst gestrickte Socken: Mein Coming-out als Biodeutsche

von Naomi Bader  14.08.2018 11:05 Uhr

Neulich fragte mich eine jüdische Freundin, ob ich eigentlich mein eigenes Deo mische. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe mich tatsächlich schon mit Rezepturen für Hygiene-Artikel befasst, aber sie stellte die Frage trotzdem etwas unvermittelt – zwischen Gottesdienst und Kiddusch. Meine erste Reaktion fiel denn auch dementsprechend aus – leicht panisch, leicht beleidigt: »Wieso? Stinke ich?!«

Zu meiner Erleichterung lautete ihre hastige Antwort: »Nein, nein, keineswegs.« Die Begründung stimmte mich dennoch nicht versöhnlich: »Weil du so eine Biodeutsche bist!« Wie bitte? Sie verwies auf meine selbst gestrickten Socken und meine Jutebeutel. Damit fiele ich auf, denn Umweltschutz, so wurde ich aufgeklärt, sei ganz und gar keine jüdische Sache.

arche Aber warum denn nicht? Sind wir Juden einfach zuversichtlich, dass wir – mit Blick auf steigende Meeresspiegel – wieder einen Noah haben, der diesmal eine Arche für uns alle baut? Oder hoffen wir auf einen Moses, der uns – hoffentlich etwas kompetenter als letztes Mal – durch die neu entstandenen Wüsten zu einer fruchtbaren Oase führt?

Das allen Ernstes zu glauben, wäre ein Wahnsinn, den ich selbst gläubigen Juden nicht zutraue. Meine Theorie lautet deshalb: Wir Juden leben unbewusst umweltschonend, weil die Elemente fest verankerter Teil unserer Religion sind. Da wäre zum Beispiel Schabbat – wer sich daran hält, verzichtet einen Tag lang aufs Autofahren und spart Strom. Und: Kaschrut – zumindest in Deutschland bedeutet das für die meisten Juden, dass sie nur ganz selten oder gar kein Fleisch essen.

Bei meinem letzten Besuch in der Hauptstadt wollte ich meine These an hippen und dynamischen jüdischen Bekannten testen. Vielleicht waren meine Freunde aus der Heimat einfach zu provinziell. Doch erneut wurde ich enttäuscht, wieder musste ich mir anhören: Das ist kein jüdisches Thema!

umweltbilanz Meine Argumente, die das Judentum zur umweltfreundlichsten der monotheistischen Weltreligionen machten, wurden abgeschmettert. Ich könnte mich ein ganzes Jahr lang vegetarisch ernähren – ein Besuch bei den Verwandten in Amerika, und die gute Umweltbilanz wäre wieder dahin, hieß es. Wir seien einfach zu kosmopolitisch. Ich war enttäuscht und verzweifelt – wollte ich doch eigentlich meinen nächsten Artikel über das Thema schreiben. Ob ich nichts Besseres, Jüdischeres hätte?

Mein Alternativ-Vorschlag war ein Beitrag zur #MeTwo-Debatte. Juden würden schließlich sehr oft gefragt, woher sie ur­sprünglich kämen. Ich erntete gelangweilte Blicke. Antisemitismus und Rassismus, komplett ausgelutschte Themen, nicht recycelbar. Außerdem, so merkten meine Freunde an, würden sie am häufigsten von türkischen Taxifahrern nach ihren Wurzeln gefragt.

»Ihr fahrt Taxi?«, fragte ich entgeistert in die Runde. Die genervten Blicke zeigten mir: Meinen Ruf als Biodeutsche hatte ich, ganz ohne ökologischen Fußabdruck, erfolgreich mit nach Berlin gebracht.

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  28.03.2024

Sachbuch

Persönliches Manifest

Michel Friedman richtet sich mit seinem neuen Buch »Judenhass« bewusst an die allgemeine Öffentlichkeit, er appelliert aber auch an den innerjüdischen Zusammenhalt

von Eugen El  28.03.2024

USA

Daniel Kahneman ist tot

Der Wissenschaftler Daniel Kahneman kombinierte Erkenntnisse aus Psychologie und Ökonomie

 28.03.2024

Bildung

Kinderbuch gegen Antisemitismus für Bremer und Berliner Schulen

»Das Mädchen aus Harrys Straße« ist erstmals 1978 im Kinderbuchverlag Berlin (DDR) erschienen

 27.03.2024

Bundesregierung

Charlotte Knobloch fordert Rauswurf von Kulturstaatsministerin Roth

IKG-Chefin und Schoa-Überlebende: »Was passiert ist, war einfach zu viel«

 26.03.2024

Kultur

Über die Strahlkraft von Europa

Doku-Essay über die Theater-Tour von Autor Bernard-Henri Levy

von Arne Koltermann  26.03.2024

Projekt

Kafka auf Friesisch

Schüler der »Eilun Feer Skuul« in Wyk auf Föhr haben ihre friesische Version des Romans »Der Verschollene« vorgestellt

 25.03.2024

Berlin

Hetty Berg als Direktorin des Jüdischen Museums bestätigt

Ihr sei es gelungen, die Institution »als Leuchtturm für jüdisches Leben« weiterzuentwickeln, heißt es

 25.03.2024

Judenhass

Wie der Historikerstreit 2.0 die Schoa relativiert

Stephan Grigat: Der Angriff auf die »Singularität von Auschwitz« kommt nun von links

 25.03.2024