Kinneret

Wann kommt »The Big One«?

Haus in Tiberias, das bei den Beben am 9. Juli beschädigt wurde Foto: Flash 90

Um vier Uhr morgens rüttelte das Bett so sehr, dass sie davon aufwachte. In der nächsten Nacht, am Donnerstag, dasselbe: Alles schien sich zu bewegen. »Doch das waren stärkere Beben, etwa drei, vier Minuten lang.«

Einat Aharonov hat die jüngsten Erdstöße in Israel vor wenigen Tagen persönlich erlebt. Dabei erforscht sie Beben gewöhnlich nur theoretisch. Die Professorin am Institut für Geowissenschaft der Hebräischen Universität Jerusalem war mit ihrer Familie in Kfar Nachum am nördlichen Ende des Sees Genezareth zu Besuch, als die Erde bebte.

Epizentrum »Wir waren direkt über dem Epizentrum, das in etwa vier Kilometern Tiefe lag«, erzählt sie. Das erste Beben sei relativ kurz, aber deutlich spürbar gewesen, doch das in der darauffolgenden Nacht mit 4,5 auf der Richterskala wesentlich stärker. »Es hat sich ganz anders angefühlt.« Hatte sie Angst? »Das nicht. Aber ich habe mir schon Gedanken gemacht, was hier gerade geschieht, bin durch die Zimmer gegangen und habe geschaut, was im Ernstfall auf uns herabfallen könnte.« Auch in Tiberias, Safed und anderen Ortschaften waren die Stöße zu spüren. Schaden gab es nach Behördenangaben dabei nicht.

In den vergangenen Tagen bebte es insgesamt mehr als 20 Mal unterhalb des Kinneret. Der stärkste gemessene Stoß waren jene 4,5, von dem Aharonov berichtete. Experten sprechen dabei von einem mittelschweren Beben. Der Großteil sei mit Stärken zwischen zwei und drei auf der Richterskala unbedeutend gewesen.

Israel liegt an der aktiven syrisch-afrikanischen Erdspalte, die sich vom Roten Meer bis in die Türkei zieht. In Israel verläuft sie vom Toten Meer durch den Kinneret bis in den Norden des Landes. In der Geschichte hat es hier schon oft starke Beben gegeben, etwa 1837 in Galiläa mit einer Stärke von 6,5, bei dem Tausende von Menschen starben. Vor rund 90 Jahren kamen in der Gegend um Jericho etwa 500 Bewohner ums Leben, als 6,2 gemessen wurden.

Vorbereitung Im vergangenen Jahr veranstaltete das Verteidigungsministerium die größte Übung aller Zeiten in Vorbereitung auf ein Beben. »Wir haben dabei viel gelernt«, gab Verteidigungsminister Avigdor Lieberman anschließend bekannt und verkündete die Einrichtung eines Mehrjahresplanes, um die Sicherheitskräfte der Heimatfront und des Nordens entsprechend vorzubereiten.

Experten sind sich sicher, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ein großes Beben – »The Big One« – kommt. Wie lange es dauern wird oder wie stark es sein kann, vermag indes niemand vorherzusehen. Nur dass es kommen wird, da sind sich alle einig. »Im Durchschnitt geschieht es alle 100 Jahre. Es kann aber schon nach 80 Jahren oder erst nach 150 geschehen«, sagt Aharonov. »Es ist definitiv schon überfällig.« Kleine Beben könnten Vorboten eines großen sein. »Zwar ist es meist nicht so, doch die Möglichkeit besteht durchaus.« Besonders auffällig sei gewesen, dass die Stöße als Bündel an einer der von Experten als »verdächtige Punkte« bezeichneten Stelle, dem Kinneret, auftraten.

»Ich habe mir dabei schon Gedanken gemacht, ob jetzt das große Beben folgt, und natürlich gleichzeitig gehofft, dass es nur reguläre Justierungen der Erdplatten sind, die von ganz allein wieder aufhören«, sagt Aharonov. Anschließend sei sie in Gesprächen mit Kollegen, vor allem von der amerikanischen Columbia-Universität, zu dem Schluss gekommen, dass es wahrscheinlich Beben waren, die von Wasserbewegungen verursacht wurden, da das Epizentrum nicht besonders lief lag. »Und das hat mit ›The Big One‹ nichts zu tun.« Hundertprozentig sicher aber sei das nicht.

Denn niemand kann ein Erdbeben sicher voraussagen, Warnsysteme existieren nicht. Zwar gebe es Signale, so Aharonov, doch auch die seien nicht verlässlich und würden nicht auf alle Szenarien zutreffen. Das Geological Survey of Israel, ein Institut, dass die seismischen Bewegungen am Kinneret und am Toten Meer überwacht, arbeitet an einem System, das bis zu 20 Sekunden Vorwarnung gibt. Allerdings würden nur die Bewohner in vom Epizentrum entfernteren Gegenden diese Zeit haben, um sich in Sicherheit zu bringen.

Weckruf Daher sollten die Israelis wachsam sein und sich vorbereiten, besonders jene, die an der oder um die Spalte herum leben, macht die Geologin klar. »Wenn ich in der Region des Kinneret in einem alten Haus wohnen würde, würde ich mir jetzt wohl überlegen, umzuziehen«, gibt sie zu. Zwar gibt es in Israel Bauverordnungen, nach denen antiseismisch gebaut wird, doch die gelten erst seit Ende der 70er-Jahre. Alle Häuser, die davor errichtet wurden, sind nicht erdbebensicher.

»Und das ist ein großer Unterschied zu anderen Gegenden, in denen Erdbeben regelmäßig auftreten, etwa Kalifornien oder Japan«, weiß die Expertin. »In Japan macht sich niemand Sorgen, wenn das Gebäude hin- und herwackelt. Sie vertrauen darauf, dass es sicher gebaut ist.« In Israel unterstützen die Behörden jene, die ihre Häuser im Nachhinein umrüsten wollen, doch das Bewusstsein im Land sei nicht sonderlich ausgeprägt.

»Dabei sollte sich jeder, der an der Spalte lebt, vorbereiten und sein Gebäude auf Erdbebensicherheit prüfen lassen«, rät Aharonov. Ihrer Meinung nach sollten die Menschen sogar gepackte Taschen in greifbarer Nähe haben, falls sie ins Freie rennen müssen, sowie Vorräte von Taschenlampen, Batterien und ähnlichem für einen Stromausfall anschaffen. Prävention sei in jedem Fall angeraten. »Denn diese Beben waren auf jeden Fall ein Weckruf.«

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