Budapester Rabbinerseminar

Frischer Wind und neue Fächer

Das Rabbinerseminar in der Budapester Josefstadt Foto: László Mudra

Das Rabbinerseminar in der ungarischen Hauptstadt bekommt zum 1. Juli einen neuen Rektor. Dieser wird zum ersten Mal in der fast 150-jährigen Geschichte der Hochschule selbst kein Rabbiner sein. Der Budapester Germanist, Literatur- und Religionswissenschaftler Károly Vajda soll Erneuerung und mehr akademischen Schwung in die Rabbinerausbildungsstätte bringen, so die Begründung der Entscheidung.

Der 49-jährige Vajda hat in seiner Geburtsstadt Budapest, aber auch in Jena und Heidelberg Philologie studiert und später zu verschiedenen Werken der ungarischen und deutschsprachigen Literatur geforscht. Zuletzt war er als Dozent an mehreren ungarischen Universitäten tätig. In seinen akademischen Schriften befasste er sich unter anderem mit dem neologen Judentum, einer ungarischen Strömung, die man am ehesten mit dem konservativen Judentum vergleichen kann.

Vorgänger Vajda löst Rabbiner Alfréd Schöner (69) ab, der mehr als 20 Jahre lang als Rektor des Seminars amtierte. Ungarns jüdischer Dachverband Mazsihisz entschied sich im April im Rahmen eines Auswahlverfahrens für Vajda. Die Entscheidung überraschte viele. Beobachter sehen darin einen – für Mazsihisz eher untypischen – Traditionsbruch.

Kurz nachdem die Entscheidung bekannt wurde, trat Ungarns Oberrabbiner Róbert Frölich (52) zurück, ohne genaue Gründe für seinen Rücktritt zu nennen, was zu zahlreichen Gerüchten und Spekulationen führte. Mitte Mai veröffentlichte Mazsihisz-Chef András Heisler eine Stellungnahme, in der viel vom Bedarf an frischem Wind in einer modernen, sich stets verändernden Welt die Rede ist.

Modernisierung Es bleibt weiterhin unklar, ob zwischen der Neubesetzung der Rektorenstelle und dem Rücktritt Frölichs ein Zusammenhang besteht. Klar ist hingegen, dass sich die Mazsihisz-Führung eine Modernisierung des Rabbinerseminars wünscht. »Zahlreiche Rabbinerschulen weltweit werden nicht von Rabbinern geleitet«, heißt es dort zur Begründung. »Dies ist auch ein wichtiger Teil unserer Erneuerung: Stellen werden auf Basis des benötigten Fachwissens besetzt, Beziehungen und langjährige Traditionen können nicht mehr zählen.«

Solche für Mazsihisz-Verhältnisse ziemlich brisante Äußerungen kommen auch vor dem Hintergrund eines alten Streits innerhalb der Budapester jüdischen Gemeinden zwischen einem konservativen, eher »isolationistischen« und einem liberalen, weltgewandten Lager. Vor allem junge, urbane Hauptstadtjuden, die sich in den alten Gemeindestrukturen nicht mehr wiederfinden, setzten in den vergangenen Jahren direkt oder indirekt die Mazsihisz-Führung unter starken Auffrischungsdruck.

Heisler betont zwar immer wieder, dass sein Dachverband als Garant des Zusammenhalts neutral bleiben müsse, doch gleichzeitig könne dieser die Langzeitentwicklungen der Gesellschaft nicht einfach ignorieren, ohne irrelevant zu werden.

Károly Vajda will das Rabbinerseminar umstrukturieren. Er plant die Einführung neuer Fächer sowie die Einstellung jüngerer, an internationalen jüdischen Schulen ausgebildeter Dozenten.

CEU Inwiefern diese gerade im heutigen politischen Kontext die Lust verspüren könnten, in Ungarn zu leben, ist allerdings fraglich. Vor dem Hintergrund des erneuten Wahlsiegs des Rechtspopulisten Viktor Orbán scheint das Gegenteil der Fall zu sein: Die prestigereiche, von dem Mäzen George Soros gegründete Graduiertenhochschule Central European University (CEU), die auch eine Facheinrichtung für Jüdische Studien hat, sitzt im Moment auf gepackten Koffern und zieht höchstwahrscheinlich demnächst nach Wien, weil die Orbán-Regierung sie loswerden möchte.

Ein ebenso wahrscheinliches Aus für diverse zivilgesellschaftliche Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen wird nicht nur die Attraktivität Budapests als akademisches Zentrum dauerhaft zerstören, sondern auch den Auswanderungsdruck noch einmal erhöhen. Gerade junge, gut ausgebildete Juden haben in den vergangenen Jahren in großer Zahl Ungarn verlassen, weil sie sich nicht mehr wirklich willkommen fühlen.

Chile

Backlash nach Boykott

Mit israelfeindlichem Aktionismus schadet das südamerikanische Land vor allem sich selbst

von Andreas Knobloch  16.04.2024

Kiew

Ukraine bittet um gleichen Schutz wie für Israel

Warum schützt der Westen die Ukraine nicht so wie Israel? Diese Frage stellt der ukrainische Staatschef Selenskyj in den Raum

von Günther Chalupa  16.04.2024

Statement

J7 Condemn Iranian Attack on Israel

The organization expressed its »unwavering support for Israel and the Israeli people«

von Imanuel Marcus  15.04.2024

«Library of Lost Books»

Mehr als 4000 verschollene jüdische Bücher aus Berlin in Prag gefunden

Eine Rückkehr der Bücher ist »derzeit nicht geplant«

 12.04.2024

Antisemitismus

»Strudel absurder Verschwörungstheorien«

Der Schweizer Regisseur Samir unterstellt Israel, die Massaker des 7. Oktober mit verursacht zu haben

 11.04.2024

Schweiz

Können Judenwitze lustig sein?

Ein Muslim und ein Jude scheren sich nicht um Political Correctness – und haben damit Riesenerfolg. Kein Witz

von Nicole Dreyfus  11.04.2024

USA

Heimatlos und kämpferisch

Wie der Hamas-Terror in Israel die Identität jüdischer Amerikaner verändert. Ein Ortsbesuch in Atlanta

von Katja Ridderbusch  10.04.2024

Russland

Nach den Toten kommt die Hetze

Als Reaktion auf den Terroranschlag auf die Crocus City Hall nahe Moskau grassieren antisemitische Verschwörungstheorien

von Alexander Friedman  09.04.2024

Argentinien

Was von der Mileimanía übrig bleibt

Nach 100 Tagen im Amt ist der Israel-affine, libertäre Präsident Javier Milei umstrittener denn je

von Victoria Eglau  09.04.2024