Cottbus

Experimentierfeld für Rechte?

Ein Samstagvormittag. Im Regionalzug von Berlin nach Cottbus nehmen drei Männer Platz. Die Stimmung ist ausgelassen. Bei einer Flasche Bier erzählen sie sich Anekdoten, über »Kanaken« und »Neger«. Auch mehrere Sitzreihen weiter sind ihre Worte gut zu verstehen. Im nächsten Moment stehen die technischen Probleme eines Pfandflaschenautomaten im Fokus ihres Gesprächs, »der nimmt die Flaschen immer erst nach dem dritten Mal an«, beschweren sie sich.

»Cottbus, Hauptbahnhof«, hallt es durch die Lautsprecher. Die Männer packen ihre Sachen zusammen und steigen aus. Auf dem Vorplatz blicken sie sich skeptisch um. »Wo ist denn hier die Demo heute?«, fragen sie laut. Hinweisschilder, die den Weg zum Altmarkt beschreiben, hätten sie erwartet. Doch zu sehen ist von alldem nichts. So fragen sie sich bei Passanten durch.

parolen Beim Überqueren der Straße in Richtung Altstadt kommen sie mit anderen Fußgängern ins Gespräch. Sie würden aus der Nähe von Königs Wusterhausen kommen, erzählen sie. Sie seien Familienväter, Selbstständige, Unternehmer. »Wir sind ganz normale Männer«, beteuern sie.

»Wir wollen heute nicht unseren rechten Arm oder so heben.« Sondern lediglich ihrem Frust Luft machen. Was sie so frustriert, wollen die Gesprächspartner wissen. Sie hätten Angst um ihre spätere Rente, sagen sie. Um ihre Töchter, die womöglich von Flüchtlingen belästigt werden könnten. Ob denn schon einmal etwas in der Art passiert sei? »Nein, aber ...«

Auf dem Altmarkt angekommen, blicken sich die Männer zufrieden um. Der Platz ist gut besucht, Deutschlandflaggen werden geschwenkt, Plakate hochgehalten. Darauf zu lesen sind Parolen wie »Widerstand fürs Heimatland« und »Der Islam kann bleiben, wo der Pfeffer wächst«. Neugierig stellen sich die drei Männer aus Königs Wusterhausen mit an den Rand. Es sei ihr erster Ausflug nach Cottbus, sagen sie. Ihr Anliegen: »Wir wollen die Gruppe unterstützen.«

Die »Gruppe« – das ist an jenem Samstag eine bunte Mischung aus Frauen und Männern, Kindern, Jugendlichen und Senioren. Birgit Bessin, AfD-Landtagsabgeordnete in Brandenburg, steht am Rednerpult – und schimpft über Angela Merkel, die EU und misslungene Flüchtlingspolitik. Bei jedem dieser Schlagworte setzt Jubel ein. Alles wirkt wie einstudiert. Die Menge skandiert immer wieder »Abschieben, abschieben« und die Parole der rechtsextremen »Identitären Bewegung«: »Festung Europa, macht die Grenzen dicht«. Nach geraumer Zeit setzen sich die Teilnehmer, mehrere Hundert sind es, in Bewegung. Ein Umzug durch die Innenstadt ist geplant.

brennpunkt Vor einem knappen Jahr fand in Cottbus die erste Demonstration dieser Art statt. Früher dienstags, seit einigen Monaten samstags. Organisiert werden die Kundgebungen vom rechtspopulistischen Verein »Zukunft Heimat«, dessen Sitz sich im mehr als 60 Kilometer entfernten Spreewald-Städtchen Golßen befindet, dem Wohnsitz von Vereinschef Hans-Christoph Berndt, Personalrat der Berliner Universitätsklinik Charité. Bis 2016 war er dort sogar Personalratschef. Doch als die Klinikleitung durch linke Aktivisten von seinen Vereinsaktivitäten erfuhr, distanzierte sie sich von ihm. Den Chefposten musste Berndt daraufhin räumen.

Seit gut zwei Jahren organisiert sein Verein Demonstrationen im Landkreis Dahme-Spreewald. Cottbus ist dabei im Mai 2017 zum Hauptaustragungsort erklärt worden, die Initiatoren ernannten die Stadt kurzerhand zu einem »Brennpunkt« der Flüchtlingspolitik.

Eine Behauptung, die Teil einer wohlgeplanten Kampagne ist. Das lässt sich einem Bericht des Moses-Mendelssohn-Zentrums für europäisch-jüdische Studien vom Januar 2018 entnehmen. Mehrere politische Akteure kooperierten auf dem Altmarkt, heißt es in der Veröffentlichung: »Zukunft Heimat«- und AfD-Mitglieder, NPD-Funktionäre, Mitglieder der extrem rechten Organisation »Ein Prozent« und Vertreter der rechtsextremen »Identitären Bewegung«.

Hinzu kämen Personen aus dem regionalen, parteiunabhängigen Neonazismus, aus der Rechtsrock-Szene und aus dem rechtsextremen Teil der Fanszene des FC Energie Cottbus. Zudem kooperiere der Verein eng mit »Pegida« in Dresden. Cottbus sei zu einem Experimentierfeld für rechte Kräfte geworden, schreiben die Verfasser. Ausgang ungewiss.

synagoge Vadim Feldmann beobachtet die Samstagsdemo vom Straßenrand aus. Er hält sich an Tagen wie diesen normalerweise aus der Innenstadt fern. »Mir reichen die Bilder auf YouTube«, sagt er. Bei einem Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen macht er eine Ausnahme. Im Café nahe der Synagoge, die früher eine Kirche war und entwidmet am 9. November 2015 der Jüdischen Gemeinde Cottbus übergeben wurde, nimmt er Platz.

Seit knapp 16 Jahren lebt er mit seiner Familie in Deutschland. Cottbus ist nach Russland sein zweites Zuhause geworden. Als Kontingentflüchtling ist er damals eingereist. Heute arbeitet der 37-Jährige als Lehrer auf Honorarbasis. Er unterrichtet Englisch, Russisch – und seit vier Jahren vor allem Deutsch als Fremdsprache in Integrationsklassen.

Vadim Feldmann versucht, Menschen aus Eritrea, Tschetschenien, Syrien, Afghanistan und Polen die deutsche Sprache und Kultur näherzubringen. 90 Prozent seiner Schüler seien integrations- und lernwillig, meint er. Doch viele hätten es auch schwer, seien Analphabeten. Jene, die am Ende die Prüfung bestehen, hätten es weiterhin nicht leicht. »Viele finden weder eine Ausbildung noch einen Job. Andere werden trotz guter Sprachkenntnisse abgeschoben«, meint Feldmann.

Dass in Cottbus seit einem Jahr regelmäßig rechtsgerichtete Demos stattfinden, ärgert ihn. Nicht alle in der Jüdischen Gemeinde reagieren wie er. Es gebe einige, die die Anti-Flüchtlings-Kundgebungen befürworteten, für Feldmann und viele andere in der Gemeinde unverständlich. Die Juden seien die Nächsten, gegen die gehetzt werde. Davon ist er und seien auch andere Gemeindemitglieder überzeugt, sagt der jüdische Lehrer.

bürgerdialog Mit der Stadt hätten die Demonstrationen wenig zu tun, meint der 37-Jährige. »Die Leute hier sind nett, locker, eigentlich hat sich nichts geändert. Cottbus ist doch eine Provinz.« Von einem »Klima der Angst«, wie es in Medienberichten oft heißt, spüre er nichts.

Daran hätten auch die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen deutschen und syrischen Jugendlichen sowie ein Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft nichts geändert – Vorkommnisse, die bundesweit für Schlagzeilen sorgten. Sobald die Flüchtlingskrise überstanden sei, würden auch die Demonstranten verschwinden, ist er sicher.

Doch wer weiß, was bis dahin noch alles passiert. Aktuell versucht die Stadt, einen Bürgerdialog in Cottbus zu etablieren. Denn die rechte Kampagne hat ihre Spuren hinterlassen. Die Schere zwischen Integrationsbefürwortern und -gegnern gehe immer weiter auseinander, schreibt die »Lausitzer Rundschau« im April. Wären am kommenden Sonntag Landtagswahlen – 29 Prozent der Cottbuser würden laut einer Umfrage des Meinungs- und Wahlforschungsinstituts Infratest dimap ihre Stimme der AfD geben. Bei der Wahl 2014 waren es noch 10,7 Prozent.

medien Es ist mittlerweile früher Abend in Cottbus. Die Lage in der Innenstadt ist ruhig. Auf dem Bahnsteig Richtung Berlin warten Demonstrationsteilnehmer auf den Regionalzug. Der Zug fährt ein. Die Gruppe von etwa 15 Männern und Frauen im Alter von 40 bis 70 Jahren steigt ein. Einer von ihnen schlägt die rechtskonservative Zeitung »Junge Freiheit« auf. Auf der Titelseite heißt es in der Überschrift »Der Frühling der AfD«.

Die anderen unterhalten sich angeregt. Sie sind im halben Waggon zu hören. »Habt ihr gesehen – RBB und ZDF waren heute da, mal gucken, ob was kommt von denen«, sagt einer voller Vorfreude. Dann entbrennt eine Diskussion über Türken. »Ich würde keinen mit Migrationshintergrund hier dulden«, sagt ein Mann. Weder die Elterngeneration, die als Gastarbeiter ins Land gekommen sei, noch deren Kinder, die in Deutschland geboren wurden. »Die bleiben immer Türken.«

Dann wird über Pegida-Chef Lutz Bachmann diskutiert und über die umstrittene Björn-Höcke-Rede in Dresden. Die Medien würden die Aussagen beider Männer stets falsch wiedergeben. Da ist sich die Gruppe einig. Kurz vor Berlin macht sich ein Teil zum Ausstieg bereit. Zum Abschied sagen sie: »Bis bald.«

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