»National Geographic«

Plädoyer gegen Rassismus

Chefredakteurin Susan Goldberg stellt sich der Vergangenheit des Magazins

von Katja Ridderbusch  23.04.2018 19:36 Uhr

»In den 50er- und 60er-Jahren ist National Geographic zu Recht angreifbar«: Susan Goldberg Foto: Getty Images

Chefredakteurin Susan Goldberg stellt sich der Vergangenheit des Magazins

von Katja Ridderbusch  23.04.2018 19:36 Uhr

Susan Goldberg hat ein sicheres Gespür für Themen und Timing. Das sollte sie auch haben, schließlich ist sie Chefredakteurin eines der erfolgreichsten Foto- und Reportage-Magazine der Welt: »National Geographic«, vor 130 Jahren als Journal der National Geographic Society in Washington gegründet, einem elitären Klub von Wissenschaftlern, Philanthropen und Entdeckern. »Einem Klub weißer Männer«, sagt Goldberg.

Das Magazin, das über Wissenschaft und Geografie, über ferne Länder und Kulturen, über Umwelt und Nachhaltigkeit berichtet, wird heute in 43 Sprachen übersetzt und in 172 Ländern verkauft.

Aktuelle Schlagzeilen machte National Geographic dagegen bislang selten. Bis Susan Goldberg entschied, die April-Ausgabe dem Thema Rasse und Rassismus zu widmen – passend zum 50. Jahrestag der Ermordung des schwarzen Bürgerrechtsführers Martin Luther King jr. und in einer Zeit, in der anschwellende Polizeigewalt gegen Afroamerikaner immer neue Protestwellen auslöst.

Geschichte Das eigentlich Brisante an der April-Ausgabe ist jedoch der Leitartikel. »Jahrzehntelang war unsere Berichterstattung rassistisch«, konstatiert Goldberg. Als sie und ihr Team die Ausgabe über Rasse und Rassismus planten, hätten sie entschieden: »Wir sollten zuerst unsere eigene Geschichte durchleuchten, bevor wir den Fokus auf andere richten.«

Goldberg beauftragte den Historiker John Edwin Mason von der Universität Virginia, in den Archiven von National Geographic zu recherchieren. Das Ergebnis: Bis in die 70er-Jahre hinein ignorierte das Magazin weitgehend die Existenz von Schwarzen in den USA; stellte sie – wenn überhaupt – als Arbeiter und Hausangestellte dar. Zugleich zeichneten Fotostrecken und Reportagen die Ureinwohner ferner Länder als Exoten, gerne und häufig unbekleidet, »glückliche Jäger, edle Wilde – die gesamte Bandbreite der Klischees«, schreibt Goldberg.

Für Goldberg, 58, hat die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ihres Blattes auch eine persönliche Komponente. Sie ist die erste Frau und die erste jüdische Person auf dem Posten des Chefredakteurs. Damit gehöre sie »zwei Gruppen an, die in der Vergangenheit ebenfalls der Diskriminierung ausgesetzt waren«, schreibt sie.

Biografie Goldberg wurde in Ann Arbor im Bundesstaat Michigan geboren. Ihre Großeltern waren Anfang des 20. Jahrhunderts aus Osteuropa eingewandert und ließen sich im jüdischen Viertel von Detroit nieder. »Das Viertel war ein Ghetto«, sagte Goldberg, die auf eine Interviewanfrage der Jüdischen Allgemeinen nicht antwortete, der Nachrichtenagentur JTA. Als ihre Mutter mit fünf Jahren in den Kindergarten kam, »sprach sie kein Wort Englisch. Nur Jiddisch«.

Ihre Eltern beachteten die jüdischen Feiertage, aber insgesamt »waren wir wohl eher Kultur- als religiöse Juden«, meint Goldberg. Als Teenager engagierte sie sich in einer zionistischen Jugendorganisation. Mit 17 ging sie nach Israel, lebte ein halbes Jahr lang im Kibbuz Grofit im Negev.

Das Leben im Kibbuz sei eine intensive Erfahrung gewesen, sagt Goldberg, aber auf Dauer habe sie sich dort eingesperrt gefühlt. »Das war nicht mein Lebensstil.« Sie ging zurück in die USA, studierte Journalismus, bekam eine Stelle als Reporterin bei der Regionalzeitung Seattle Post-Intelligencer, arbeitete später bei Detroit Free Press, USA Today und Bloomberg News. Sie war die erste Nachrichtenchefin der Regionalzeitung San Jose Mercury News und die erste Chefredakteurin des Cleveland Plain Dealer. Und seit 2014 ist sie die erste Chefredakteurin des Magazins, das Generationen von Amerikanern die Augen für die Welt öffnete.

Kolonialismus »Es ist lobenswert, dass sich National Geographic so offen und direkt seiner Vergangenheit stellt«, sagt Maura Jane Farrelly, Historikerin und Journalismus-Professorin an der renommierten Brandeis-Universität in der Nähe von Boston, über die aktuelle Ausgabe zum Thema Rasse und Rassismus. Das sei noch lange nicht die Norm in der amerikanischen Presselandschaft. Doch Farrelly warnt davor, bei der Einordnung der historischen Berichterstattung ausschließlich Werte und Kriterien der Gegenwart anzulegen. So wurde National Geographic im Zeitalter des Kolonialismus gegründet – in einer Welt, die in Kolonialmächte und Kolonien aufgeteilt war.

Das sei keine Entschuldigung, betont Farrelly, »aber es ist wichtig, die Kritik in den Kontext der Zeit zu stellen«. Und in diesem Kontext sei sie vorsichtig, die Berichterstattung aus dem frühen 20. Jahrhundert rundherum zu verdammen. Allerdings: »In den 50er- und 60er-Jahren ist National Geographic zu Recht angreifbar«, sagt sie. »Weil es zur gleichen Zeit Magazine wie LIFE gab, die sich kritisch mit dem Thema Rassismus auseinandergesetzt haben.«

Afroamerikanische Medien reagierten insgesamt positiv auf die Selbstreflexion des Traditionsmagazins. Die April-Ausgabe sei »ein erster Schritt, um eine lange vorherrschende Sichtweise geradezurücken«, schrieb das Web-Journal The Root. Doch genauso wichtig wie eine Neuausrichtung der Berichterstattung sei es, dass mehr farbige Mitarbeiter in den Redaktionen säßen.

Daran will Goldberg arbeiten. Derzeit sind ein Viertel der Mitarbeiter ihres Magazins Schwarze, Latinos oder Asiaten. »Ich gehöre der Baby-Boomer-Generation an, ich komme aus dem Mittleren Westen, ich bin eine Frau, und ich bin Jüdin«, sagt Goldberg. »Der 24-jährige afroamerikanische Fotoredakteur, der für die Online-Ausgabe arbeitet, hat eine völlig andere Perspektive als ich, und das ist großartig.«

In den kommenden Ausgaben will National Geographic auch andere ethnische Minderheiten in den USA beleuchten: Muslime, Latinos, Asiaten und Indianer. Ein Schwerpunkt über Juden, die zwei Prozent der US-Bevölkerung ausmachen, sei derzeit nicht geplant, sagte Goldberg der Times of Israel. »Das heißt aber nicht, dass wir uns nicht in der Zukunft damit befassen.«

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