Argentinien

»Unterstes Niveau«

Viele jüdische Eltern in Buenos Aires sehen ihre Kinder derzeit lieber auf anderen Schulen. Foto: Henriette Kaiser

Agustín Zbar schlägt Alarm. »Die jüdischen Bildungseinrichtungen befinden sich in einer realen Krise«, warnt der Präsident der argentinischen Wohltätigkeitsvereine (AMIA). Die Analyse Zbars, der seit einem Jahr im Amt ist, erschüttert die jüdische Gemeinschaft Argentiniens. »Wir haben nicht genügend Lehrer für die Fächer Hebräisch und Judentum. Und diejenigen, die wir haben, sind nicht ausreichend qualifiziert«, konstatiert Zbar schonungslos die Defizite. Die derzeitige Qualität in diesen Fächern sei »unterstes Niveau«.

Auf Abhilfe durch qualifizierte Lehrer aus dem eigenen Land hofft der AMIA-Chef anscheinend nicht. In einem Brandbrief nach Jerusalem hat er deshalb den israelischen Ministerpräsidenten Benja­min Netanjahu gebeten, Argentiniens jü­dische Gemeinschaft mit qualifizierten und pä­dagogisch geschulten Lehrern zu unterstützen. Ziel müsse es sein, diejenigen jüdischen Schüler zurückzugewinnen, die den Hebräischunterricht und die Jüdischen Studien abgewählt haben, weil diese Fächer ihnen zu langweilig erscheinen oder andere Privatschulen attraktivere Unterrichtsangebote machen.

Es gebe eine große Konkurrenz unter den privaten Schulen in Argentinien, sagt Zbar. Vor allem englischsprachige Schulen seien für Schüler attraktiv, die ein Studium im Ausland planten. »Jüdische Schüler werden davon angezogen, weil unsere Schulen einfach nicht gut genug sind.«

Zahlen Insgesamt 40 jüdische Schulen gibt es in ganz Argentinien, Grundschulen ebenso wie weiterführende Schulen, die auf das Studium vorbereiten. Rund 20.000 Schüler gehen auf diese Schulen. Die zum Teil angesehenen Bildungseinrichtungen werden auch von nichtjüdischen Kindern und Jugendlichen besucht.

In dem Land zwischen Rio de la Plata und Feuerland leben heute rund 200.000 Juden. Allerdings sind nur 36.000 als offizielle Gemeindemitglieder registriert, und davon wiederum sind knapp die Hälfte Mitglied in einer der zahlreichen jüdischen Organisationen.

Die Schuld an der Unterrichtsmisere in Sachen Hebräisch und Judentum gibt der neue AMIA-Präsident einer schon seit Längerem praktizierten und in seinen Augen absolut verfehlten dreijährigen Lehrerausbildung.

In den vergangenen Jahrzehnten war das sogenannte Centro de Formación Judía (CFJ) für diese Ausbildung zuständig. Sie wurde von der Jewish Agency und dem bekannten konservativen Rabbiner Sergio Bergman ins Leben gerufen. Bergman ist heute Umweltminister in der Regierung von Staatspräsident Mauricio Macri. Nach drei Jahren wurde den Studenten angeboten, für jüdische Organisationen zu arbeiten. Doch viele hätten die Möglichkeit nicht ergriffen, »da sie kein Interesse an einer pädagogischen Tätigkeit hatten«, so Zbar.

Die CFJ habe die Studenten nicht umfassend ausgebildet und auf ihre künftige Aufgabe vorbereitet. »In den letzten zehn Jahren hat es kaum mehr Studenten gegeben«, kritisiert Zbar. »Deshalb haben wir als AMIA beschlossen, die Verantwortung selbst zu übernehmen: Wir kümmern uns ab diesem Jahr in Eigenregie selbst um die Lehrerausbildung und hoffen auf rund 100 Kursteilnehmer.« Das reiche zwar noch immer nicht, »aber es wird zweifellos die Situation verbessern«.

Brandbrief Mit seinem öffentlichen Brandbrief nach Jerusalem verbindet Zbar die Hoffnung, dass Israels Regierung und die Jewish Agency Lehrerausbilder in das lateinamerikanische Land schicken werden. »Uns fehlen moderne Mittel und geeignete Methoden für das Studium spezifisch jüdischer Inhalte. Wir brauchen die Hilfe Israels, um uns mit pädagogischen und fachdidaktischen Studientechniken für den Hebräisch- und Judentumsunterricht auszurüsten.«

In Vorgesprächen zwischen der AMIA und der Jewish Agency wurde bereits ein Pilotprojekt in Aussicht gestellt. Es soll an fünf jüdischen Schulen in Argentinien beginnen. »Doch es gibt weitere 35 Schulen, die Hilfe benötigen«, sagt Zbar. »Wir hoffen, dass auch dies klappen wird.« Eine feste Zusage steht zwar noch aus, doch kürzlich konnte Zbar verkünden, dass die Jewish Agency signalisiert habe, weitere finanzielle und personelle Hilfe für die jüdischen Gemeinden in Argentinien bereitzustellen.

Chile

Backlash nach Boykott

Mit israelfeindlichem Aktionismus schadet das südamerikanische Land vor allem sich selbst

von Andreas Knobloch  16.04.2024

Kiew

Ukraine bittet um gleichen Schutz wie für Israel

Warum schützt der Westen die Ukraine nicht so wie Israel? Diese Frage stellt der ukrainische Staatschef Selenskyj in den Raum

von Günther Chalupa  16.04.2024

Statement

J7 Condemn Iranian Attack on Israel

The organization expressed its »unwavering support for Israel and the Israeli people«

von Imanuel Marcus  15.04.2024

«Library of Lost Books»

Mehr als 4000 verschollene jüdische Bücher aus Berlin in Prag gefunden

Eine Rückkehr der Bücher ist »derzeit nicht geplant«

 12.04.2024

Antisemitismus

»Strudel absurder Verschwörungstheorien«

Der Schweizer Regisseur Samir unterstellt Israel, die Massaker des 7. Oktober mit verursacht zu haben

 11.04.2024

Schweiz

Können Judenwitze lustig sein?

Ein Muslim und ein Jude scheren sich nicht um Political Correctness – und haben damit Riesenerfolg. Kein Witz

von Nicole Dreyfus  11.04.2024

USA

Heimatlos und kämpferisch

Wie der Hamas-Terror in Israel die Identität jüdischer Amerikaner verändert. Ein Ortsbesuch in Atlanta

von Katja Ridderbusch  10.04.2024

Russland

Nach den Toten kommt die Hetze

Als Reaktion auf den Terroranschlag auf die Crocus City Hall nahe Moskau grassieren antisemitische Verschwörungstheorien

von Alexander Friedman  09.04.2024

Argentinien

Was von der Mileimanía übrig bleibt

Nach 100 Tagen im Amt ist der Israel-affine, libertäre Präsident Javier Milei umstrittener denn je

von Victoria Eglau  09.04.2024