Rosenmontag

Heine und koschere Kamellen

»Was die Protestanten können, schaffen wir auch«: Heine wird am 12. Februar für die Jüdische Gemeinde durch die jecken Straßen rollen. Foto: Michael Szentei-Heise

Hunderttausende Zuschauer des Düsseldorfer Rosenmontagszuges werden am 12. Februar Zeugen einer Premiere: Zum ersten Mal ist eine jüdische Gemeinde bei einem der großen rheinischen Karnevals­umzüge mit einem eigenen kunstvollen Wagen dabei. Noch läuft eine Spendensammelaktion zur Finanzierung – der Wagen ist jedoch schon fertig.
Hingucker auf dem Wagen wird eine große Pappmaschee-Figur von Heinrich Heine sein. Der Dichter (1797–1856) kam in Düsseldorf als Sohn einer liberalen jüdischen Familie zur Welt.

Sein Abbild auf dem närrischen Wagen knüpft daran deutlich sichtbar an, der Karnevals-Heine trägt neben seiner roten Jacke eine Kippa, über die Schultern hat er einen Gebetsschal gelegt. Daneben erläutert eine Tafel: »Wir feiern den größten jüdischen Sohn unserer Stadt.« Heine lehnt sich an zwei Wahrzeichen der Landeshauptstadt von Nordrhein-Westfalen, die hier jedes Kind kennt: den Schlossturm und die Lambertuskirche in der Altstadt. Seine Knie werden von dem Abbild der 1958 eröffneten Synagoge am heutigen Paul-Spiegel-Platz gestützt. Der Wagen trägt gut sichtbar das Logo und den Schriftzug der Jüdischen Gemeinde.

wagenbauer Das von Wagenbauer Jacques Tilly in gut einmonatiger Arbeit angefertigte Gefährt wartet wie diverse andere Wagen der Karnevalsgesellschaften zurzeit in einem Straßenbahndepot auf den großen Einsatz. Kosten soll die Aktion rund 35.000 Euro. 20.000 davon steuert die Gemeinde aus ihrem Etat bei, 15.000 Euro sollen durch Spenden finanziert werden, berichtet Gemeindegeschäftsführer Michael Szentei-Heise. Die Spendensammlung laufe sehr gut, verkündete er. Ende vergangener Woche waren bereits zwei Drittel der Summe in Form von Überweisungen und festen Zusagen eingegangen.

Der Wagen wird am Rosenmontag aber nicht nur einfach mehrere Kilometer durch die von feiernden Massen gesäumten Innenstadt-Straßen gezogen – auf der Plattform ist Platz für Mitfahrer, die fleißig mit vollen Händen Kamelle, Süßigkeiten, Bälle und kleine Geschenke unters närrische Volk werfen. »Wir haben extra dafür eine Tonne koschere Bonbons aus Israel geordert«, sagt Szentei-Heise. »Die Bonbons sind vegan, ohne tierische Gelatine«, erklärt er. Hinzu kommen noch Tempo Taschentücher mit dem Aufdruck »Jemeend met Hähz« und Tausende Luftballons. Fünf der begehrten Mitfahrer-Plätze versteigert gerade die »Rheinische Post«, die auflagenstärkste Zeitung der Stadt, für die Gemeinde.

Auf die Idee mit dem Heine-Wagen kam Szentei-Heise beim Zug im vergangenen Jahr, als er Wagen zum 500.
Reformationsjubiläum durch die Straßen ziehen sah. »Wenn die Protestanten mitfahren können, warum nicht auch die jüdische Gemeinde?«, fragte er sich. Beim Düsseldorfer Karnevals-Komitee, das den Zug organisiert, rannte Szentei-Heise mit seiner Idee offene Türen ein. »Schön, dass Sie im Zug mitfahren«, sagte CC-Geschäftsführer Hans-Jürgen Müllmann jetzt bei einem Pressetermin in der Wagenbauhalle und betonte, dass beim Karneval eben jeder dabei sein könne, egal welche Religion oder Nationalität er habe.

Sicherheit Natürlich kam im Vorfeld auch das Thema Sicherheit auf den Tisch. Die Polizei weiß Bescheid und gab grünes Licht. Die Sicherheitsvorkehrungen bei den rheinischen Zügen sind nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche 2016 bereits im vergangenen Jahr deutlich verschärft worden. So wird die Zugstrecke zum Beispiel durch Blockade der Nebenstraßen vor Angriffen mit Autos gesichert. Die Polizei ist mit einem Großaufgebot auf der Strecke. Wobei die Zuschauer von den meisten Sicherheitsvorkehrungen gar nichts mitbekommen und unbeschwert feiern können.

Traditionell sind im Zug immer rund 60 Wagen zu sehen. Einige werden von Tilly erst in letzter Minute nach aktuellen Ereignissen gefertigt und bis kurz vor dem Zug geheim gehalten. Auf diese oft frech-provokativen Wagen ist man in der Karnevalsmetropole immer besonders gespannt.

Europäer Die Idee des Heine-Wagens sorgt schon jetzt für großes, positives Medieninteresse. Und sie demonstriert, dass die 7200 Mitglieder starke Gemeinde ein Teil des pulsierenden Lebens der Landeshauptstadt ist. Heinrich Heine als Galionsfigur ist eine beziehungsreiche Wahl. Heine war vieles: ein glänzender Schreiber, ein Mensch mit viel Lebenslust und Humor, der Vordenker eines demokratischen, einheitlichen Deutschlands zur Zeit der zersplitterten Einzelstaaten – und nicht zuletzt ein Europäer, als noch niemand an eine EU dachte. Den Rest seines Lebens verbrachte er im Pariser Exil.

Heinrich Heine ließ sich zwar 1825 taufen. Doch für die Jüdische Gemeinde Düsseldorf bleibt er »einer von uns«. Schließlich war der Übertritt zum Protestantismus wohl in erster Linie eine Formalie, bedingt durch Heines Wunsch, Karriere zu machen. Und das ging im damals preußischen Rheinland eben nur getauft.

Index Der Düsseldorfer Rosenmontags-Heine hat eine Schreibfeder in der Hand und eine Schriftrolle vor sich, auf der ein Satz des bekannten Heine-Werks Deutschland. Ein Wintermärchen zu lesen ist: »Den Himmel überlassen wir den Engeln und den Spatzen.« Der Dichter und Journalist rief in dem Gedicht die Bürger auf, nicht erst auf die Wohltaten eines himmlischen Paradieses zu warten, sondern schon einmal damit zu beginnen, die irdischen Verhältnisse zu ändern (»Wir wollen hier auf Erden schon das Himmelreich errichten«). Ein Gedanke, der den damals restriktiv regierenden Fürsten so gar nicht behagte. Seine Bücher landeten prompt landesweit auf dem Index – ein Verbot, dass die Nationalsozialisten dann wiederholten.

Auf dem Wagen wird auch »Heines Kinderbett« zu sehen sein, eine Art blaues Zelt mit gelbem Sternenkreis: Die Europaflagge – eine Referenz an Heines Blick über die deutschen Grenzen hinaus. Ins Kinderbett schaut eine Löwenfigur. Kein Heine’sches Fabelwesen, sondern das Wappentier des Herzogtums Berg, dessen Hauptstadt Düsseldorf zur Zeit von Heines Geburt war. Der Löwe ziert auch noch das Wappen der Landeshauptstadt.
In Düsseldorf erinnert heute eine wichtige Allee und U-Bahnstation nahe der Altstadt an den Dichter – hier wird auch der Karnevalzug durchkommen –, und die Universität trägt seinen Namen. Die Bahn benannte einen ihrer neuen ICE-4-Züge nach Heinrich Heine.

Die Tage der Heine-Deko aus Maschendraht und Pappmaschee sind übrigens gezählt: Wie schon der rheinische Karnevalsschlager »Am Aschermittwoch ist alles vorbei …« vorhersagt, werden auch die schönsten Wagen-Aufbauten hinterher abgerissen. Die Plattform mit den Rädern ist wiederverwendbar und trägt dann im nächsten Jahr neue Aufbauten.

Berlin

Zeichen der Solidarität

Jüdische Gemeinde zu Berlin ist Gastgeber für eine Gruppe israelischer Kinder

 15.04.2024

Berlin

Koscher Foodfestival bei Chabad

»Gerade jetzt ist es wichtig, das kulturelle Miteinander zu stärken«, betont Rabbiner Yehuda Teichtal

 07.04.2024

Hannover

Tränen des Glücks

Auf der Damentoilette gibt es eine Schminkorgie, während Backstage auch mal die Gefühle durchgehen. Aber »je näher der Abend, desto geringer die Aufregung«

von Sophie Albers Ben Chamo  31.03.2024

Hannover

»Alle sollen uns hören und sehen!«

Tag zwei der Jewrovision beweist, dass immer noch mehr Energie möglich ist. Nach Workshops und Super-Hawdala geht es zur Kirmes und auf die Zielgerade zur Generalprobe am Sonntagvormittag

von Sophie Albers Ben Chamo  30.03.2024

Jewrovision

Perfekter Auftritt

Der Countdown zur 21. Jewrovision läuft. Rund 1300 Teilnehmer und Gäste aus den deutschen Gemeinden purzeln in Hannover aus den Bussen und bereiten sich auf das große Finale am Sonntag vor: Time to Shine!

von Sophie Albers Ben Chamo  29.03.2024

Hannover

Tipps von Jewrovision-Juror Mike Singer

Der 24-jährige Rapper und Sänger wurde selbst in einer Castingshow für Kinder bekannt

 26.03.2024

Berlin

Purim für Geflüchtete

Rabbiner Teichtal: »Jetzt ist es wichtiger denn je, den Geflüchteten die Freude am Feiertag zu bringen«

 21.03.2024

Centrum Judaicum Berlin

Neue Reihe zu Darstellungen von Juden in DDR-Filmen

Im April, Mai, August, September und Oktober werden die entsprechenden Filme gezeigt

 20.03.2024

Stiftungsgründung

Zentralrat der Juden ordnet Rabbinerausbildung neu

Das Abraham Geiger Kolleg und das Zacharias Frankel College sollen durch eine neue Trägerstruktur abgelöst werden - mit Unterstützung der staatlichen Zuwendungsgeber

 26.02.2024