Porträt der Woche

In Großvaters Fußstapfen

Rotem Lanzman ist Radiologe und organisiert einen Kongress jüdischer Mediziner

von Annette Kanis  09.10.2017 11:53 Uhr

»Mein Großvater praktizierte bis 1933 in Berlin – ich sehe mich in seiner Tradition«: Rotem Lanzman (37) lebt in Düsseldorf. Foto: Alexandra Roth

Rotem Lanzman ist Radiologe und organisiert einen Kongress jüdischer Mediziner

von Annette Kanis  09.10.2017 11:53 Uhr

Ich bin Mediziner mit Leib und Seele. Medizin erschien mir nach dem Abitur das abwechslungsreichste Studium zu sein, weil es Elemente der Biologie, Chemie und Physik vereint. Zudem hat es mich schon immer interessiert, die Abläufe im menschlichen Körper im Detail zu verstehen.

Sicherlich spielte auch eine Rolle, dass mein Großvater Mediziner war und ich mich in seiner Tradition sehe. Er war bis 1933 in Berlin tätig, wanderte dann in das Mandatsgebiet Palästina aus und arbeitete in Tel Aviv und Bnei Brak. Nach dem Krieg kehrte er Ende der 50er-Jahre mit seiner Familie wieder in seine Heimatstadt Dortmund zurück, um dort als praktischer Arzt zu arbeiten.

Meine Mutter wurde in Tel Aviv geboren. Sie ist später als junges Mädchen nach Dortmund gekommen und kehrte dann wieder zurück nach Israel. Dort lernten sich meine Eltern kennen und heirateten. Ich wurde in Israel geboren. Kurz nach meiner Geburt wollte mein Vater ein Sabbatjahr in Deutschland einlegen, um zu promovieren. So kamen wir nach Dortmund.

fachgebiet In Düsseldorf lebe ich seit 14 Jahren. Im deutschen Vergleich ist es eine relativ große Stadt, aber mit etwas mehr als 600.000 Einwohnern insgesamt doch überschaubar. Für die Größe der Stadt hat Düsseldorf aber unfassbar vielfältige kulturelle und kulinarische Angebote.

Mein Fachgebiet ist die Radiologie. Dieser Bereich ist aus meiner Sicht die abwechslungsreichste und innovativste Disziplin in der Medizin. Wir arbeiten mit neuesten, hochmodernen diagnostischen Verfahren wie Computer- und Magnetresonanztomografie (CT und MRT).

Zudem haben wir die Möglichkeit, auch interventionell zu arbeiten, also minimalinvasive operative Eingriffe durchzuführen. Das kann zum Beispiel eine sogenannte Blutungsembolisation sein: Dabei suchen wir mit kleinen Kathetern über die Leisten- oder Armarterien unter Röntgenkontrolle die Blutungsquelle auf und verschließen diese mit Gewebeklebern oder Platinspiralen, sogenannten Coils.

Wir können aber auch Gefäßverschlüsse, beispielsweise bei einem Schlaganfall, mittels Katheter wiedereröffnen, indem wir Thromben, Blutgerinnsel, absaugen und gegebenenfalls Gefäßstützen einbringen. Zudem machen wir CT-gesteuerte Interventionen, wie die Radiofrequenzablation, auch »thermische Verödung« genannt, von Leber-, Nieren-, Knochen- oder Lungentumoren, ein Verfahren, bei dem in einem vorher definierten Bereich des Körpers Gewebe durch die Zufuhr von großer Hitze zerstört werden soll.

arbeitsalltag Als eine der wenigen medizinischen Disziplinen ermöglicht die Radiologie dem Arzt, einen Überblick über die gesamte Medizin zu behalten, da wir täglich eng mit Kollegen aus den unterschiedlichsten Bereichen zusammenarbeiten: Kinderärzte, Chirurgen, Neurologen. Dementsprechend vielseitig ist auch mein Arbeitsalltag. Es kann sein, dass ich morgens angiografische oder CT-gesteuerte Interventionen durchführe und im Anschluss diagnostische Untersuchungen verschiedener Körperregionen auswerte und relevante Diagnosen stelle.

Vor knapp zwölf Jahren begann ich hier an der Düsseldorfer Uniklinik meine Facharztausbildung, innerhalb derer ich zwischenzeitlich einen Forschungsaufenthalt am Beth Israel Deaconess Medical Center (BIDMC) der Harvard Medical School in Boston eingelegt habe.

Kurz nach der Facharztprüfung wurde ich Oberarzt und bin nun seit mehr als drei Jahren in der erweiterten Funktion als Geschäftsführender Oberarzt tätig. Das heißt, dass ich neben der klinischen Tätigkeit, der Forschung und den Vorlesungen auch administrative Aufgaben übernehme. So koordiniere ich beispielsweise die Lehre der Radiologie über alle Studiensemester hinweg.

ehrenamt Seit neun Monaten bin ich nun schon Vorsitzender des Bundesverbandes Jüdischer Mediziner. In dieser Funktion bin ich aktuell überwiegend mit der Vorbereitung eines Ärztekongresses beschäftigt, der im November in Düsseldorf stattfinden wird.

Die Organisation ist ein bisschen aufwendiger als zunächst gedacht, macht aber sehr viel Spaß. Dabei geht es darum, Referenten auszuwählen und anzuschreiben, die Themen festzulegen und Sponsoren anzuwerben. Mittlerweile sind wir schon fast in den finalen Zügen der Planungen und haben gerade unsere Website fertiggestellt.

Der Kongress steht unter dem Motto »Jewish Tradition and Israeli Hightech«. Er soll den Bogen zwischen jüdischer Tradition und Hightech-Medizin aus Israel spannen. Viele Innovationen, die dort speziell entwickelt wurden, sollen auf dem Kongress vorgestellt werden. Es ist das erste Mal, dass wir diesen Kongress zusammen mit der »Israeli Medical Association« (IMA) veranstalten.

feldlazarett Das Verhältnis von europäischen und israelischen Referenten ist insgesamt sehr ausgewogen. Ich freue mich auf viele spannende Vorträge. Es kommt beispielsweise der Direktor des Rambam-Universitätsklinikums in Haifa, der das weltgrößte Untergrundkrankenhaus vorstellen wird – in Haifa wurden für Kriegszeiten Vorkehrungen getroffen, um das gesamte Krankenhaus auch vor biologischen und chemischen Waffen geschützt in den Untergrund verlegen zu können. Dann wird es Vorträge von Ärzten geben, die im Feldlazarett der israelischen Armee gearbeitet haben. Dieses wurde von den Vereinten Nationen kürzlich zum weltbesten Feldlazarett gekürt.

Auch der Krankenhausdirektor aus Safed wird kommen und über die Behandlung von syrischen Bürgerkriegsverletzten in seinem Krankenhaus referieren, und ein Kardiologe aus Jerusalem wird über die medizinischen Innovationen im kardiovaskulären Bereich berichten. Er hat einen sehr guten Überblick über die Hightech-Start-up-Szene. Außerdem hat er bei der Entwicklung und Erprobung von vielen Medizinprodukten mitgearbeitet. Es gibt daneben aber auch philosophische Vorträge wie den, der die Blutstammzelle aus Sicht des Judentums beleuchtet – sicherlich ein ungewöhnliches Thema.

Dass ich diesen Kongress mitgestalten darf und mit all diesen interessanten Themen zu tun habe, empfinde ich als sehr erfüllend. Dabei bin ich eigentlich eher durch Zufall zu dieser Aufgabe gekommen. Denn als ich zum ersten Mal an einer Veranstaltung des Bundesverbands Jüdischer Mediziner teilnahm, wurde dort der Vorstand gewählt – und ich wurde direkt aufgefordert, zu kandidieren. Ich habe mich nicht widersetzt.

Der Bundesverband hat viele ältere Mitglieder. Es wäre schön, wenn wir die Vereinsstruktur etwas verjüngen könnten und sich noch mehr neue, jüngere Kollegen anschließen würden. Außerdem würde ich mir wünschen, dass wir in Zukunft in regelmäßigen Abständen jüdische Medizinerkongresse gestalten und dabei neben der israelischen Ärztevereinigung auch andere jüdische Ärzteverbände, zum Beispiel aus Großbritannien oder Frankreich, miteinbeziehen.

gymnasium Ich bin verheiratet und habe vier Kinder, die zehn, sieben und zwei Jahre sowie fünf Monate alt sind. Da ist natürlich auch zu Hause viel los. Zeit zur Entspannung gibt es kaum.

Nebenbei mache ich noch ein bisschen Sport, einmal die Woche spiele ich abends mit Freunden Fußball. Gerne gehe ich ins Kino oder in Restaurants, aber viel Zeit dafür habe ich leider nicht. Der Beruf und das Ehrenamt erfordern viel Einsatz.

Ich bin in einem jüdischen Haus aufgewachsen, wobei meine Eltern und Großeltern nicht sonderlich religiös waren. Die Hohen Feiertage wurden aber auch bei uns besonders berücksichtigt, sodass mir zu Hause die jüdische Tradition stets vermittelt wurde. Und so geben meine Frau und ich das auch den Kindern weiter. Sie lernen die Feiertage kennen, gehen in den jüdischen Kindergarten und in jüdische Schulen.

Unser ältester Sohn besucht jetzt als erster Jahrgang das neue jüdische Albert-Einstein-Gymnasium, das etwa vor einem Jahr eröffnet hat und mit dem ich sehr zufrieden bin. Es gibt kleine Klassen, sehr engagierte Lehrer und ein sehr anspruchsvolles Niveau. Dieses Gymnasium ist eine echte Bereicherung für das jüdische Leben in Düsseldorf.

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