Jerry Lewis

König der Komödie

Wurde zum Star der Unterhaltung, indem er Klischees und Stereotypen komödiantisch zerlegte: Jerry Lewis (1926 –2017) Foto: dpa

The King of Comedy» ist nicht mehr. In vielen Zeitungen und Fernsehmagazinen gibt es Nachrufe, lange Aufzählungen seiner Filme, seiner Fernsehshows, der Auftritte als Entertainer im Radio, am Broadway, seiner technologischen Verbesserungen der Kameraarbeit und seiner unermüdlichen erfolgreichen Tätigkeit für wohltätige Zwecke.

Jeder, der seine Filme in den 50er- und 60-Jahren gesehen hat oder auch viel später, erinnert sich an einzelne Szenen, an seine phänomenale Körperlichkeit, an die Lieder, die Tanzszenen, seine Stimmlagen im sich überschlagenden Crescendo – hörbar selbst noch in den damals üblichen Synchronfassungen.

Slapstick Jerry Lewis, der einzigartige Unterhaltungskünstler, der in allen Medien und auf allen Bühnen zu Hause war, der nie den Boden unter den Füßen verlor, ist in allen Facetten seines künstlerischen Schaffens immer eines geblieben: ein Mentsch. Doch manche sahen in ihm nur einen Slapstick-Komiker, nur einen Komödianten für B-Movies, nur einen seichten Entertainer, doch gerade durch das Komische, das Leichtfüßige, auch das Alberne und Sentimentale hat er sich der wachsenden Verrohung auf Leinwand und Bildschirmen, den billigen Bloßstellungen menschlicher Schwächen widersetzt.

Worin lag sein komödiantisches Geheimnis? Ganz einfach in der Maxime, dass über andere nur der lachen sollte, der auch bereit ist, über sich selbst zu lachen. Auch dies ist eine Definition jüdischen Humors.

Der 1926 als Joseph Levitch in Newark geborene Lewis ist so jüdisch auf der Leinwand wie Ernst Lubitsch oder später Woody Allen, nicht etwa indem er eine Identität vorgaukelt, sondern indem er den anderen genauso akzeptiert wie sich selbst und mit aller gespielten Darstellungskunst hofft, dass diese menschliche Akzeptanz Allgemeingut sein kann. Er wurde zum Star der amerikanischen Unterhaltung. Indem Lewis Klischees und Stereotypen komödiantisch zerlegte, wollte er das Lachen des Publikums provozieren, um dadurch Nachdenklichkeit zu erreichen. Und das war in den 50er- und 60er-Jahren auf der deutschen Leinwand nicht wenig.

Berlin Als es am Kurfürstendamm in Berlin noch die wundervollen Kino-Paläste gab, gehörte es zu den Höhepunkten der Berliner am Wochenende, rechtzeitig Karten für Jerry Lewis zu besorgen. Mit Zeichentrick im Vorspann und den Namen von Jerry Lewis und Dean Martin auf der Leinwand stellte sich das seelische Gleichgewicht sofort her.

Hans Rosenthal, den wichtigsten spaßvoll-jüdischen Entertainer der Nachkriegszeit, konnte man zwar regelmäßig im Radio hören und dann bald auf dem körnigen TV-Bildschirm sehen, doch hier auf der großen Leinwand strahlte, sang und spielte «unser» Jerry. Alle konnten lachen, mitsingen, allerdings lachte an manchen Stellen nur das hier und dort sich vergnügende jüdische Publikum, was meist mit unverständigen Blicken von der Seite begleitet wurde.

Von Kindesbeinen an war Jerry Lewis im Showgeschäft. Er erzählte gern die Legende, dass er von der Schule flog, weil er dem Schuldirektor einen Kinnhaken verpasste, als dieser ihm eine antisemitische Beleidigung an den Kopf warf.

Schwarz-Weiß Das gibt es nicht erst seit Trump in den USA. Lewis sang und tanzte mit Dean Martin um die Liebe der jeweils Angebeteten, wirbelte in Schwarz-Weiß und Farbe über die Leinwand. Er konnte fantastisch peinlich sein, den lächerlichen, den alles verstehenden und alles verzeihenden Clown geben. Aber er war kein menschenfeindlicher Joker.

Die New York Times hat diese Woche das unvergleichliche Wirken von Lewis so charakterisiert: Der entscheidende Gegenstand seines künstlerischen Wirkens sei sein widerspruchsvolles Ich gewesen, eine künstlerische Besessenheit, die er durch Fragmentierung, Diskontinuität und die Grenzen der Sprache in ein Spektakel verwandelte, das Kinder verzauberte, Erwachsene verstörte und postmoderne Kritiker faszinierte. In seinen Filmen steckt mehr als nur spaßiges Lachen. Es sind doppelbödige Märchen, in denen ein Schlemihl sich mit den Schauspielern in Shakespeares Hamlet trifft und mit ihnen zu Ben & Jerry’s geht.

Lewis produzierte als Autor, Schauspieler, Regisseur und Produzent Komödien und Slapstick mit Niveau in einer Zeit, als der Kalte Krieg durch Medien und Film geisterte. Oft waren die Filme eine Antwort auf den Wahnsinn der atomaren Hysterie, auf die Leere konsumierender Gefräßigkeit, auf die elitäre Fortschrittsgläubigkeit und missbrauchte Macht, ob im Kleinen oder im Großen.

trump Man stelle sich nur vor, Lewis würde heute nicht The Nutty Professor spielen sondern The Nutty President! Kein Statussymbol, kein Standesdünkel und keine intellektuelle und emotionale Verklemmtheit, die Lewis nicht noch parodierend bloßstellen konnte, ohne dabei aus den Augen zu verlieren, dass auch in der Lächerlichkeit noch Menschlichkeit stecken kann. Die Bühnenrezeptur seiner Auftritte mit Dean Martin charakterisierte er als «sex and slapstick», und das passte in die Nachkriegszeit.

Als er sich 1956 mit Dean Martin, dem Partner vieler Filme, überwarf, inszenierte er sich selbst in allen Schattierungen komischer, rührend-tragischer und psychologisch-deftiger Rollen. Damals dachten viele, dass Dean Martin der Magnet der gemeinsamen Filme gewesen sei, doch es war Jerry Lewis, den das Kinopublikum sehen wollte. Er wurde zu einem Markenzeichen, so wie es in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts Ernst Lubitsch in Berlin geworden war und wie es später Woody Allen wurde.

Zwei Sterne auf dem Hollywood Boulevard tragen Jerry Lewis’ Namen. Nun ist er im Alter von 91 Jahren in Las Vegas gestorben. Die Erinnerung an einen großen Filmkünstler bleibt.

Kommentar

AfD in Talkshows: So jedenfalls nicht!

Die jüngsten Auftritte von AfD-Spitzenpolitikern in bekannten Talk-Formaten zeigen: Deutsche Medien haben im Umgang mit der Rechtsaußen-Partei noch viel zu lernen. Tiefpunkt war das Interview mit Maximilian Krah bei »Jung & Naiv«

von Joshua Schultheis  24.04.2024

Meinung

Der Fall Samir

Antisemitische Verschwörungen, Holocaust-Relativierung, Täter-Opfer-Umkehr: Der Schweizer Regisseur möchte öffentlich über seine wirren Thesen diskutieren. Doch bei Menschenhass hört der Dialog auf

von Philipp Peyman Engel  22.04.2024

Essay

Was der Satz »Nächstes Jahr in Jerusalem« bedeutet

Eine Erklärung von Alfred Bodenheimer

von Alfred Bodenheimer  22.04.2024

Sehen!

Moses als Netflix-Hit

Das »ins­pirierende« Dokudrama ist so übertrieben, dass es unabsichtlich lustig wird

von Sophie Albers Ben Chamo  22.04.2024

Immanuel Kant

Aufklärer mit Ressentiments

Obwohl sein Antisemitismus bekannt war, hat in der jüdischen Religionsphilosophie der Moderne kein Autor mehr Wirkung entfaltet

von Christoph Schulte  21.04.2024

TV

Bärbel Schäfer moderiert neuen »Notruf«

Die Autorin hofft, dass die Sendung auch den »echten Helden ein wenig Respekt« verschaffen kann

von Jonas-Erik Schmidt  21.04.2024

KZ-Gedenkstätten-Besuche

Pflicht oder Freiwilligkeit?

Die Zeitung »Welt« hat gefragt, wie man Jugendliche an die Thematik heranführen sollte

 21.04.2024

Memoir

Überlebenskampf und Neuanfang

Von Berlin über Sibirien, Teheran und Tel Aviv nach England: Der Journalist Daniel Finkelstein erzählt die Geschichte seiner Familie

von Alexander Kluy  21.04.2024

Glosse

Der Rest der Welt

Nur nicht selbst beteiligen oder Tipps für den Mietwagen in Israel

von Ayala Goldmann  20.04.2024