Prophetie

Die äthiopische Ehefrau

Mosches geistiges Amt führte dazu, dass er keine Zeit mehr für Zippora hatte

von Rabbiner Raphael Evers  06.06.2017 13:02 Uhr

Nach Raschi soll man das Attribut »kuschi« (dunkelhäutig) nicht allzu wörtlich nehmen. Wichtig sei vielmehr: Mosches Frau war schön. Foto: Thinkstock

Mosches geistiges Amt führte dazu, dass er keine Zeit mehr für Zippora hatte

von Rabbiner Raphael Evers  06.06.2017 13:02 Uhr

Mirjam und Aharon sprachen über Mosche wegen der äthiopischen Frau (hebräisch: Ischa kuschit), die er geheiratet hatte (…). Sie sagten: ›Hat Haschem nur allein mit Mosche gesprochen? Sprach Er nicht auch mit uns?‹ G’tt hörte das. Mosche war der bescheidenste Mensch, der auf Erden lebte» (4. Buch Mose 12, 1–2).

Raschi (1040–1105) erklärt hierzu, dass wir die Erwähnung einer äthiopischen Frau nicht wörtlich nehmen sollten. Mosche hatte nur eine einzige Frau, Zippora, eine Midjanitin. Nun kann «kuschi» auch dunkelhäutig bedeuten, und es ließe sich so auslegen, dass Mirjam und Aharon über Zipporas dunkle Hautfarbe sprachen. Laut Awraham Ibn Esra (1089–1167) hatten einige Midjaniter tatsächlich eine sehr dunkle Haut. Da das Judentum nicht rassistisch ist – jeder kann Jude werden – und aus dem Kontext nicht hervorgeht, dass Mirjam über Zipporas schwarzes Äußeres Bemerkungen fallen ließ, nimmt Raschi hier an, dass sie über Zipporas außerordentliche Schönheit sprachen.

Laut Raschi sprachen Mirjam und Aharon über die Tatsache, dass Mosche mit seiner Frau keinen Kontakt mehr hatte und sich vollständig seinen g’ttlichen Offenbarungen widmete.

Kontakt Woher wusste Mirjam, dass Mosche sich von seiner Frau abgewandt hatte? Mirjam stand neben Zippora, als die Neuigkeit die Runde machte, dass Eldad und Medad Propheten geworden sind. Verzweifelt rief Zippora aus: «Wehe den Frauen dieser Propheten! Wenn ihre Männer anfangen, sich mit Prophezeiungen zu beschäftigen, werden sie ihren Frauen keine Aufmerksamkeit mehr widmen, so wie mein Mann Mosche, der mit mir keinen Kontakt mehr hat.» Gemeint ist die körperliche Beziehung zwischen Mann und Frau.

Mirjam nahm dies entsetzt auf und erzählte es Aharon. Sie sprachen Mosche darauf an, aber ohne böse Absichten. Sie meinten, dies widerspreche der Tora, die doch immer das Interesse am Irdischen propagiert.

Mirjam und Aharon rühmten deshalb Zipporas Schönheit. Das Wort «kuschi» müsse man im übertragenen Sinn verstehen, so Raschi: «Genauso wie sich jeder über die schwarze Hautfarbe der Äthiopier im Klaren ist, waren sich alle über Zipporas Schönheit einig, die nicht nur körperlicher, sondern auch geistiger Art war. Zippora war die perfekte Frau, sowohl im irdischen als auch im spirituellen Sinn.»

Rückzug Dass Mosche mit Zippora keinen Kontakt mehr hatte, lag nicht an ihrem Äußeren oder Inneren, sondern ausschließlich an seinen außerordentlich intensiven Kontakten zum Höchsten. Deshalb hatte er sich von seiner Frau zurückgezogen.

Mirjam und Aharon erkannten anscheinend nicht, dass Mosches prophetisches Niveau viel höher war als ihr eigenes. Sie brüsteten sich damit, dass auch sie mit dem Höchsten sprachen und trotzdem jeder ein normales Eheleben führte. Aber sie irrten sich in ihrer Sicht auf den jüngeren Bruder Mosche.

Raschis Erklärung passt gut in den Kontext, denn die Episode über das Eheleben von Mosche und Zippora folgt sofort nach dem prophetischen Auftreten von Eldad und Medad. Seine Erklärung verträgt sich jedoch weniger gut mit der buchstäblichen Bedeutung des Wortes «kuschi», das übrigens in der Gematria, als Zahlenwert, auch bedeutet: «von äußerlicher Schönheit».

Heirat Raschis Enkelsohn, Rabbi Schmuel ben Meir, der Raschbam (1085–1174), erklärt das Wort «kuschi» wörtlich. Mosche war einst in der Tat mit der Königin von Äthiopien verheiratet. Wie war es dazu gekommen? Nach dem Tod eines ägyptischen Aufsehers lieferten Datan und Awiram Mosche umgehend dem Pharao aus. Der entschied, dass Mosche getötet werden sollte. Mosche flüchtete nach Äthiopien, wo König Kokinus und Bileam um die Macht kämpften. Bileam hatte einen Staatsstreich geplant und verschanzte sich. Er hatte die Hauptstadt an zwei Seiten mit hohen Mauern verstärkt. An der dritten Seite ließ er einen tiefen Kanal graben, und an der vierten setzte er Schlangen aus, sodass die Hauptstadt nicht eingenommen werden konnte.

Mosche war noch jung, doch ausgesprochen stark und klug. Die Belagerung dauerte sehr lange. Nachdem König Kokinus nach neun Jahren gestorben war, wählten die Soldaten Mosche zum König. Er musste Kokinus’ Witwe Adonia heiraten, aber er rührte sie nicht an.

Mosche schmiedete einen Plan: Der Schwachpunkt der Stadt war der Schutzwall der Schlangen. Also befahl Mosche seinen Soldaten, Störche für die Jagd abzurichten, und ließ den Tieren drei Tage lang nichts zu fressen geben. Danach schickte er seine Soldaten in die Schlangengrube. Jeder musste einen Storch auf den Schultern tragen. Dann wurden die Störche losgelassen, und es blieb keine Schlange mehr übrig.

Bileam rannte um sein Leben. Mosche bekam im Palast die Krone des Kokinus und wurde erneut zum König gekrönt. Nach 40 Jahren verließ Mosche Äthiopien, er war damals 67 Jahre alt. Er zog nach Midjan, denn er durfte nicht nach Ägypten zurück. In Midjan begegnete er Jitro und seiner Tochter Zippora.

Mosche lehrte sie alle Prinzipien des jüdischen Glaubens. Besonders Zippora verinnerlichte seine Worte. Als Mosche 77 Jahre alt war, heiratete er Zippora. Kurz danach wurde er erwählt, das Volk Israel zu erlösen.

Der Raschbam bezieht sich mit seiner Erklärung von «kuschi» auf Königin Adonia. Mirjam und Aharon sprachen Mosche auf die Tatsache an, dass er mit Adonia 40 Jahre lang verheiratet sein konnte, aber mit Zippora noch nicht einmal fünf und schon keinen Kontakt mehr mit ihr hatte.

Der Raschbam achtete weniger auf den Kontext und mehr auf den Pschat, die einfache Bedeutung des Wortes «kuschi». Raschi hingegen achtete mehr auf den Kontext als auf die wörtliche Bedeutung eines jeden Wortes. Hierin liegt der Unterschied zwischen Großvater Raschi und Enkelsohn Raschbam.

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf und Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD).

Paraschat Beha’alotcha
Der Wochenabschnitt Beha’alotcha beginnt mit den Vorschriften für das Licht im Stiftszelt. Danach bringt er weitere Vorschriften für die Leviten. Außerdem wird ein zweites Pessachfest für diejenigen eingeführt, die es im Monat Nissan nicht feiern konnten. Ferner wird geschildert, wie am Tag eine Wolke und nachts eine Feuersäule die Anwesenheit des Ewigen am Stiftszelt anzeigen. Immer, wenn die Wolke sich vom Stiftszelt entfernte, setzten auch die Kinder Israels ihren Zug fort.
4. Buch Mose 8,1 – 12,16

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 23.04.2024

Korban Pessach

Schon dieses Jahr in Jerusalem?

Immer wieder versuchen Gruppen, das Pessachopfer auf dem Tempelberg darzubringen

von Rabbiner Dovid Gernetz  22.04.2024

Pessach

Kämpferinnen für die Freiheit

Welche Rolle spielten die Frauen beim Auszug aus Ägypten? Eine entscheidende, meint Raschi

von Hadassah Wendl  22.04.2024

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 23.04.2024

Mezora

Die Reinheit zurückerlangen

Die Tora beschreibt, was zu tun ist, wenn Menschen oder Häuser von Aussatz befallen sind

von Rabbinerin Yael Deusel  18.04.2024

Tasria

Ein neuer Mensch

Die Tora lehrt, dass sich Krankheiten heilsam auf den Charakter auswirken können

von Yonatan Amrani  12.04.2024

Talmudisches

Der Gecko

Was die Weisen der Antike über das schuppige Kriechtier lehrten

von Chajm Guski  12.04.2024

Meinung

Pessach im Schatten des Krieges

Gedanken zum Fest der Freiheit von Rabbiner Noam Hertig

von Rabbiner Noam Hertig  11.04.2024

Pessach-Putz

Bis auf den letzten Krümel

Das Entfernen von Chametz wird für viele Familien zur Belastungsprobe. Dabei sollte man es sich nicht zu schwer machen

von Rabbiner Avraham Radbil  11.04.2024