Porträt der Woche

»Ich bin eine Bananenjüdin«

Olga Mannheimer wuchs in Warschau auf und ist in Münchens Kulturszene aktiv

von Katrin Diehl  15.05.2017 17:15 Uhr

»Als Studentin putzte ich in der WG von Christian Ude – er war meine Integrationsabteilung«: Olga Mannheimer (58) Foto: Christian Rudnik

Olga Mannheimer wuchs in Warschau auf und ist in Münchens Kulturszene aktiv

von Katrin Diehl  15.05.2017 17:15 Uhr

Heimat» und «Muttersprache» sind wie zwei Nägel an der Wand, an denen man seine Biografie aufhängen kann – wobei ich weder das eine noch das andere besitze. Ohne Heimat und Muttersprache schwebe ich frei in der Luft und kann damit gut leben. Ich habe einen deutschen Pass und bin mit den Gesetzen und Regeln in diesem Land einverstanden. Ich habe zwei erwachsene Töchter, die kein Problem damit haben, sich als Deutsche zu definieren.

Ich lebe in München in einem Haus voller Bücher. Ich fühle mich wohl. Heimat hat etwas mit gelebter Selbstverständlichkeit zu tun. Für mich steht der Begriff für einen Raum, in dem man sich unreflektiert bewegt. Ich kenne diese Selbstverständlichkeit nicht, was mir mittlerweile aber als Mangel kaum noch auffällt. Ich habe mich an diesen Zustand gewöhnt. Ich habe mich an mich in München gewöhnt.

Und Polen? Aus diesem Land sind wir – am Ende wohl zu unserem Glück – 1968 hinausgeworfen worden, was einem Heimatgefühl nicht gerade förderlich ist.

vitrine Geboren wurde ich 1959 in Warschau. Meine Mutter sprach nur Russisch, mein Vater mal Russisch, mal Polnisch, mal Jiddisch. Dazwischen ich – eine heranwachsende «Bananenjüdin». Auf diese Bezeichnung stieß ich erst viel später im Zuge einer Recherche. Sie passt im Nachhinein ganz gut zu meinem schrägen Kinderalltag.

Übrigens habe ich mich vor vier Jahren im Jüdischen Museum Berlin in der Ausstellung Was Sie schon immer über Juden wissen wollten als ebensolche «Bananenjüdin» in einer Vitrine beäugen lassen. Als Bananenjuden pflegte man Juden zu bezeichnen, die in den Großstädten Polens lebten und Verwandtschaft im Westen oder in Israel hatten.

Bananenjuden bekamen Pakete mit Bananen oder Zitrusfrüchten geschickt, die mit bunten Briefmarken beklebt waren. Ich bin also ein Schulkind mit Bananen im Ranzen gewesen, wobei mich meine sozial eingestellte Mutter – übrigens eine Kosakin – zudem noch dazu aufforderte, diese Frucht mit den anderen Schulkindern zu teilen.

Meiner Integration war dieses Privileg wenig zuträglich, zumal ich auch noch den russischen Vornamen Olga mit mir herumtrug in Kombination mit dem eindeutig jüdischen Nachnamen Szenfeld. In meiner kindlichen Person sind demnach zwei Ethnien zusammengetroffen, die im Polen der 60er-Jahre alles andere als beliebt waren.

kaviar Das i-Tüpfelchen setzte meine wenig diplomatische Mutter: Sie ging in die Schule und bat darum, mir den dort verordneten Lebertran zu erlassen, weil die kleine Olga zu Hause Kaviar bekomme. Das machte einen zweifelhaften Eindruck. Dabei war die Erklärung dahinter eher banal: Mein Vater arbeitete als Cheflektor bei einem großen Verlag. Er war zuständig für russische Literatur. Deswegen bekamen wir oft Besuch von russischen Schriftstellern. In ihren Koffern brachten sie uns Einpfund-Dosen Kaviar mit, der schnell verspeist werden musste, denn wir besaßen keinen Kühlschrank. Tja. Ohne Integration keine Heimat. So einfach ist das eventuell.

Als ich zehn Jahre alt war, verließen wir Polen. Dort war aus dem antisemitischen Alltag eine «antizionistische» Kampagne geworden, die sogenannten Märzereignisse. Wir emigrierten nach Frankreich, wo ich zusammen mit meiner Schwester in ein jüdisches Internat der Fondation de Rothschild kam. Dort erhielt ich Judentum in Überdosis, dazu sehr scharfes, nordafrikanisches koscheres Essen und eine Menge Regeln, die man befolgen musste, warum auch immer. Meiner Schwester und mir war es verboten, Polnisch zu sprechen.

kosename Wenn mich jemand mit meinem Namen ansprach – auch noch hart auf der letzten Silbe betont –, erschrak ich jedes Mal. Denn dort, wo ich herkam, nannte man mich nur dann «Olga», wenn es «brannte». Für den Normalfall standen den Erwachsenen in Polen unzählige Koseformen zur Verfügung: Olja, Olitschka oder Oljenka.

1972 hatte mein Vater eine Redakteursstelle bei Radio Free Europe / Radio Liberty bekommen. So landeten wir in Deutschland, in München, wo die Olympischen Spiele gerade dabei waren, von der Heiterkeit in die Katastrophe zu kippen. Ich kam von der Schule nach Hause, war gut gelaunt, kicherte herum und wurde scharf von meinem Vater zurechtgewiesen. Er hatte die Schuhe ausgezogen und lief auf Socken herum – für mich ein ganz ungewohnter Anblick.

Wir hatten Familie in Israel, darunter eine sehr sportliche Cousine, die, wenn sie sich nicht in letzter Minute verletzt hätte, mit der israelischen Olympiamannschaft mitgefahren wäre. In unserer Wohnung herrschte eine schrecklich gedrückte Stimmung.

akzent Nach Abschluss der französischen Schule, die ich besuchte, weil ich ja bei unserer Ankunft in München kein Deutsch sprach, studierte ich Romanistik, Slawistik und Komparatistik. Ich mied die deutsche Sprache. Was mir Probleme bereitete, waren weder mein Judentum noch meine osteuropäische Herkunft.

Es war mein französischer Akzent, auf den mich die anderen aufmerksam machten, den ich aber selbst nicht wahrnahm. Die anschließende Frage «Wie lange sind Sie denn eigentlich schon hier?» war mir peinlich, weil ich noch nach Jahren Deutsch sprach wie eine frisch Eingewanderte. Ich fürchtete mich davor, dass mein Deutsch durch das «Deutsch» meines aus Lemberg stammenden Vaters, das eher jiddisch klang, «kontaminiert» würde.

Den Mund geöffnet hat mir eigentlich Christian Ude, der später mehr als 20 Jahre lang Oberbürgermeister von München sein sollte. Mir war am Schwarzen Brett der Uni eine Anzeige aufgefallen: «WG sucht Putzfrau, Französin bevorzugt.» Zu dieser WG gehörte eben auch der Jura-Referent Ude, dem es nach meiner Einstellung zur Gewohnheit geworden war, mir bei Kaffee und Kuchen improvisierte Parodien juristischer Plädoyers vorzutragen, die er vor Gericht nicht hatte loswerden können.

Ude war meine Integrationsabteilung. Er war es auch, der vor einigen Wochen die Versteigerung der Bilder von Max Mannheimer, meinem verstorbenen Schwiegervater, durchgeführt hat. Der gesamte Erlös der Versteigerung kam dem Verein Leopolis, Hungerhilfe für Lemberger Juden, zugute.

schwiegervater Ja, Max fehlt. Wobei wir das Gefühl haben, dass er nicht ganz weg ist. Dafür war er zu prägend. Seine Bilder, sein Humor, seine Sprüche – er bleibt präsent. Und während Christian Ude mit seiner lockeren Art Bild für Bild unter die Leute gebracht hat, war Max auch im Raum. Christian Ude werfe ich übrigens bis heute vor, dass ich im Kulturbereich gelandet bin. Hätte er mich damals nicht in meiner Putzdisziplin gestört, ich hätte eine große Karriere im Reinigungswesen vor mir gehabt! Wobei der Kulturbetrieb wahrscheinlich mehr Abwechslung bietet.

Der Literaturszene bin ich das, was das Herrenballett dem Feuerwehrball: Autorin, Übersetzerin, Journalistin, Herausgeberin von zum Beispiel – ganz neu – einer literarischen Anthologie französischer Texte.

Außerdem übernehme ich gerne Moderationen. Für eine App verfasse ich wöchentlich mit meinem Kollegen Gil Bachrach Kommentare zu Artikeln des «Zeit-Magazins». Seit Kurzem stehe ich auch noch dem «Freundeskreis des Lehrstuhls für Jüdische Geschichte und Kultur» an der Münchner Universität vor. An der Hochschule für angewandte Sprachen unterrichte ich interkulturelle Kommunikation.

stereotype Dabei habe ich festgestellt, dass die meisten Studenten weder den herkömmlichen antisemitischen Diskurs noch die subtilen Formen des allgemeinen Rassismus erkennen. Ich versuche, ihnen den Unterschied zu vermitteln zwischen unvermeidbaren Formen kollektiver Zuschreibung und Diskriminierung. Wer in Stereotypen denkt, drückt sich vor der Auseinandersetzung.

Nehmen wir etwa das Thema «Juden und Sport» – für manche Menschen geht das schwer zusammen. Aber seht mich an: Gebt mir eine Pfütze, und ich schwimme wie ein Weltmeister. In der Juden und Sport-Ausstellung hier im Münchner Jüdischen Museum gibt es ein Exponat von mir: eine aufblasbare Schwimminsel als «jüdisches Sportgerät», verbunden mit der Erinnerung an eine jüdisch-weibliche Sportgruppe für Wassergymnastik mit dem Vereinsnamen «Gojim-Naches und Heidenspaß» sowie dem von mir festgelegten Vereinsslogan «Wir bewegen nicht nur die Lippen». Man ahnt, wie die Sache ausgegangen ist.

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