Schmalkalden

Über der Mikwe zu Hause

Es ist kalt, der Schnee knirscht unter den Füßen. Die Baustelle in Schmalkaldens Innenstadt mit der Adresse »Hoffnung 38« ruht. Sobald wie möglich soll der Wohnungsbau fortgesetzt werden. Elf Wohnungen entstehen in der ehemaligen Druckerei und in einem neuen Gebäude. Damit will der Investor, die städtische Wohnungsbau-Gesellschaft, eine Baulücke in der Innenstadt schließen. Seit dem Fund der Mikwe im Herbst 2015 ist jedoch alles etwas anders.

Uwe Eberlein von der städtischen Wohnungsbau-Gesellschaft und Mathias Seidel vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie öffnen vorsichtig eine Absperrung der Baustelle. Vor ihnen, überdacht und kaum sichtbar, eingehüllt in Holz und Folien: die Mikwe. »Sie ist in jedem Fall etwas Besonderes«, sagt Seidel.

»Wir kennen Mikwen aus dem späten Mittelalter hier in Thüringen bislang nur aus Erfurt und aus Sondershausen. Hier ist es jetzt in Schmalkalden zum ersten Mal gelungen, ein solches jüdisches Ritualbad zu ergraben.« Der Fachmann spricht von einem Bau, der in mehreren Phasen entstanden ist. Die ältesten Mauerreste stammen vom Ende des 14. und Anfang des 15. Jahrhunderts. »Spätere Teile sind aus der Zeit des Synagogenbaus, also dem 17. Jahrhundert.«

Familien Die jüdische Gemeinde bestand 1639 aus 21 jüdischen Familien. Immer wieder kam es auch in Schmalkalden zu Pogromen, Ausweisungen und Vertreibungen. Die Synagoge aus dem Jahr 1622 besteht nicht mehr, ebenso das jüdische Bad – beide befanden sich ganz in der Nähe der nun ausgegrabenen Mikwe. Auch die Schule ist nicht mehr vorhanden. Einzig die Straßenbenennung »Judengasse« verweist heute noch darauf, dass es jüdisches Leben in der Stadt gegeben hat. Einzelne Namen von Juden sind bekannt, auch die Zahl derer, die zwischen 1942 und 1944 als Letzte deportiert worden sind.

Mit dem spektakulären Fund der Mikwe unter einem Kellergewölbe des historischen Fachwerkhauses an der »Hoffnung 38« ist nun ein weiteres Puzzleteil gefunden worden, um die jüdische Topografie der Stadtgeschichte besser zu erschließen. Mithilfe von Archivaren könnte es gelingen, so Seidel, frühere Besitzer, Kaufverträge oder Eigentumsverhältnisse – und damit auch Namen und Jahreszahlen – zu erfahren.

Der Fund der Mikwe ändert auch den Blick auf die Stadtgeschichte selbst. Bislang dominierte ein Name: Martin Luther. Der Reformator weilte im Februar 1537 während der Tagung des Schmalkaldischen Bundes in der Stadt. »Lutherhaus« und »Lutherplatz« gehören vor allem 2017 zur Werbeoffensive der mittelalterlich geprägten Fachwerkstadt mit den kleinen Gassen und liebevoll sanierten Fassaden.

Luther-Loft Vom ursprünglichen Namen »LutherLoft« für das Bauprojekt an der »Hoffnung 38« möchte man zumindest in werbetechnischer Hinsicht Abstand nehmen. »Wir wollen an dieser Stelle sensibel sein«, sagt Uwe Eberlein von der Wohnungsbau-Gesellschaft. Gespräche mit Reinhard Schramm, dem Vorsitzenden der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen, hätten ergeben, dass man hier mit gebotenem Respekt herangehen müsse.

»Den Namen ›LutherLoft‹ über dem Eingang zu sehen, würde uns nicht besonders gut gefallen«, sagte Schramm und stellte klar, dass man sich sehr über den Fund freue, ebenso darüber, die Mikwe nun zugänglich zu machen. »Wir haben als Landesgemeinde sonst lediglich das Gebäude der alten jüdischen Schule in Schmalkalden.« Vielleicht werde diese in den folgenden Jahren zu einer Begegnungsstätte ausgebaut. Zumindest könne man anhand der Beispiele nun gut dokumentieren, dass jüdisches Leben Teil der Stadtgeschichte ist.

Wenn der Schnee weggetaut ist, soll es weitergehen. Spezialisierte Archäologen wie Karin Sczech vom Landesamt äußern sich sehr positiv über die Zusammenarbeit mit dem Investor und dem Architektenbüro Bießmann+Büttner. Es habe mehrere Treffen gegeben, um zu überlegen, wie man den Fund erhalten und für die Öffentlichkeit zugänglich machen könne. Die Becken würden von Schichtwasser gespeist, auch deshalb müsse man vorsichtig graben, um Grundwasserströme nicht zu beschädigen.

BEsichtigung Künftig sollen die Becken zu besichtigen sein, aber nur auf Anfrage. Wenn alles klappt, wohnen ab 2019 über der Mikwe die ersten Mieter. Der Architekt Jens Büttner wünscht sich, dass vielleicht auch der eine oder andere Bewohner stolz sein wird, über dieser Mikwe zu leben. »Das war vielleicht nicht so geplant, macht aber für mich diesen Standort ganz besonders interessant und wichtig.«

Die Forschungen werden weitergehen. »Denn«, sagt Karin Sczech, »wir haben nun die dritte Mikwe aus dem Mittelalter in Thüringen gefunden, eine, die wieder anders aussieht. Mit jeder Neuentdeckung ändert sich der Blick grundlegend.«

Das Besondere an der Schmalkaldener Mikwe sind zum einen die Mauern aus dem 14./15. Jahrhundert, zum anderen aber die gefundene Holzwasserleitung und das Ensemble aus vier Becken – vermutlich waren zwei davon Kascherbecken für das rituelle Reinigen des Geschirrs, denn als Tauchbecken für Menschen sind sie zu klein. Noch geben sie den Wissenschaftlern Fragen auf.

Die Investoren bemühen sich unterdessen, den privaten Raum teils in einen öffentlichen zu verwandeln und eine neue Idee für das Wohnprojekt zu kreieren. »Wir mussten nicht nur vollkommen umdenken, wir hatten ja ein fertiges Projekt mit einer entsprechenden Baugenehmigung und Fördermittelbescheiden. Wir mussten das Ganze noch einmal neu aufrollen und die Statik des Gebäudes neu berechnen«, erklärt Eberlein. Viel Zeit und Engagement seien nochmals investiert worden, denn alle Pläne, Berechnungen, Konstruktionen mussten neu erarbeitet werden. Zu den Kosten möchte man sich nicht detailliert äußern, nur so viel: Es gab Mittel aus der Städtebauförderung.

Mathias Seidel wickelt vorsichtig aus mehreren Lagen Papier einen grauen, etwa 40 Zentimeter hohen Tonkrug mit Henkel aus. Es ist ein besonderer Fund, zusammengesetzt aus mehreren Teilen, ausgegraben und gefunden in einem der Becken. »Der Krug könnte aus der ersten Bauphase der Mikwe stammen.« Es ist das einzige Fundstück bislang neben all den Mauern und der Wasserleitung aus Holz.

Friedrichshain-Kreuzberg

Antisemitische Slogans in israelischem Restaurant

In einen Tisch im »DoDa«-Deli wurde »Fuck Israel« und »Free Gaza« eingeritzt

 19.04.2024

Pessach

Auf die Freiheit!

Wir werden uns nicht verkriechen. Wir wollen uns nicht verstecken. Wir sind stolze Juden. Ein Leitartikel zu Pessach von Zentralratspräsident Josef Schuster

von Josef Schuster  19.04.2024

Sportcamp

Tage ohne Sorge

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin und Makkabi luden traumatisierte Kinder aus Israel ein

von Christine Schmitt  18.04.2024

Thüringen

»Wie ein Fadenkreuz im Rücken«

Die Beratungsstelle Ezra stellt ihre bedrückende Jahresstatistik zu rechter Gewalt vor

von Pascal Beck  18.04.2024

Berlin

Pulled Ochsenbacke und Kokos-Malabi

Das kulturelle Miteinander stärken: Zu Besuch bei Deutschlands größtem koscheren Foodfestival

von Florentine Lippmann  17.04.2024

Essay

Steinchen für Steinchen

Wir müssen dem Tsunami des Hasses nach dem 7. Oktober ein Miteinander entgegensetzen

von Barbara Bišický-Ehrlich  16.04.2024

München

Die rappende Rebbetzin

Lea Kalisch gastierte mit ihrer Band »Šenster Gob« im Jüdischen Gemeindezentrum

von Nora Niemann  16.04.2024

Jewrovision

»Ein Quäntchen Glück ist nötig«

Igal Shamailov über den Sieg des Stuttgarter Jugendzentrums und Pläne für die Zukunft

von Christine Schmitt  16.04.2024

Porträt der Woche

Heimat in der Gemeinschaft

Rachel Bendavid-Korsten wuchs in Marokko auf und wurde in Berlin Religionslehrerin

von Gerhard Haase-Hindenberg  16.04.2024