Meinung

»Yolocaust«: Ahistorische Leere

Ein Internetprojekt will auf Fehler der Erinnerungskultur hinweisen. Doch es scheitert mit Ansage

von Dmitrij Belkin  23.01.2017 18:33 Uhr

Dmitrij Belkin Foto: Uwe Steinert

Ein Internetprojekt will auf Fehler der Erinnerungskultur hinweisen. Doch es scheitert mit Ansage

von Dmitrij Belkin  23.01.2017 18:33 Uhr

Für Walter Benjamin bildet die Aura die Grenze der Reproduzierbarkeit eines Kunstwerks. Sie sei als Einziges nicht kopierbar. Aber was, wenn bei einer Kunstaktion keine Aura vorhanden und keine gefragt ist? Dann sind wir auf einem Medienmarkt der sozialen Netzwerke, auf dem alles mit allem verglichen werden kann. Den »Usern« hier fehlt das historische Gedächtnis, beziehungsweise ihnen fehlen oft die Kenntnisse der Geschichte.

Aus dem 24-Stunden-Medienmarkt stammt das Projekt »Yolocaust« des Berliner Autors Shahak Shapira. Er hat zahlreiche Selfies junger, ahnungsloser Touristen am Berliner Holocaust-Mahnmal zusammengestellt, die bei einer leichten Mausbewegung die Fotos der Leichenberge aus den KZs offenbaren.

YOLO »Yolocaust« ist ein Wortspiel aus dem Hashtag YOLO, »You Only Live Once«, und Holocaust. Shapiras Projekt wurde im Netz hunderttausendfach aufgerufen. Manche reden gar von einer neuen Erinnerungsdebatte. Wo ist dann das Problem? Es besteht, kurz gesagt, in der Schaffung einer virtuellen Situation, bei der Tote, Zuschauer und Fotografierende zu einem heiteren gemeinsamen Nonstop-Tänzchen geladen werden. Das Publikum klickt und liket. Der Raum hinter dem Monitor ist gänzlich inhaltsfrei.

Der Historiker Saul Friedländer sprach in den 80er-Jahren von einem »Wiederschein des Nazismus« und meinte solche Kunstwerke (darunter die Filme von Visconti und Fassbinder), die sich dicht an der Grenze zu einem Ästhetisieren der NS-Verbrechen befinden. Er nannte dieses ambivalente Zusammenspiel »Kitsch und Tod«. Das »Yolocaust«-Projekt könnte man in Anlehnung an Friedländer »Nichts und Tod« nennen. Es arbeitet mit einer gedächtnisfreien, ahistorischen Leere. Die Aktion Shapiras selbst ist ein Teil dieser Leere, die keine Aura mehr benötigt.

Meine unverbindliche Empfehlung an die User-Community lautet: Rufen Sie sich den Dokumentarfilm Der gewöhnliche Faschismus (1965) von Michael Romm auf, schauen Sie sich das dort genial montierte Zusammenspiel eines friedlichen Nachkriegslebens der optimistischen 60er-Jahre und der Leichenberge aus den Nazi-KZs an. Im Anschluss hören Sie sich die Dresdner Rede des AfD-Politikers Björn Höcke in voller Länge an. Das Bedürfnis, der »Yolocaust«-Aktion entspannt beizuwohnen, vergeht Ihnen recht bald.

Der Autor ist Historiker, Referent bei ELES und Mitherausgeber von »Neues Judentum – altes Erinnern? Zeiträume des Gedenkens« (Berlin 2017).

Meinung

Die Schweiz hat die richtigen Konsequenzen aus den Terrorvorwürfen gegen die UNRWA gezogen - anders als Berlin

Ein Kommentar von unserer Redakteurin Nicole Dreyfus

von Nicole Dreyfus  25.04.2024

Berlin

JSUD fordert Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Teheran

»Ohne den Iran hätte der 7. Oktober nicht passieren können«, sagt die Vorsitzende Hanna Veiler

 25.04.2024

Virginia

Biden: »Dieser unverhohlene Antisemitismus ist verwerflich und gefährlich«

US-Präsident Biden verurteilt antiisraelische Proteste an Universitäten

 25.04.2024

Terror

Argentinien schreibt Irans Innenminister zur Fahndung aus

Er war offenbar 1994 an dem Bombenanschlag 1994 auf das jüdische Gemeindezentrum Amia beteiligt

 25.04.2024

Oranienburg

Mehr antisemitische Vorfälle in Gedenkstätte Sachsenhausen

»Geschichtsrevisionistische Tabubrüche und Grenzverschiebungen von rechts« werden registriert

 25.04.2024

USA

Antiisraelische Proteste an US-Unis weiten sich aus

Auch in Texas und Kalifornien kommt es zu Festnahmen

 25.04.2024

Berlin

Ausstellung im Haus der Wannsee-Konferenz beschädigt

Kuratorin: «Auffällig, dass ausgerechnet Plakate zum israelbezogenen Antisemitismus beschädigt wurden«

 24.04.2024

Kommentar

AfD in Talkshows: So jedenfalls nicht!

Die jüngsten Auftritte von AfD-Spitzenpolitikern in bekannten Talk-Formaten zeigen: Deutsche Medien haben im Umgang mit der Rechtsaußen-Partei noch viel zu lernen. Tiefpunkt war das Interview mit Maximilian Krah bei »Jung & Naiv«

von Joshua Schultheis  24.04.2024

Umfrage

Studie: Für die meisten muslimischen Schüler ist der Koran wichtiger als deutsche Gesetze

Fast die Hälfte der Befragten will einen islamischen Gottesstaat

 22.04.2024