Porträt der Woche

»Zwei Welten verbinden«

Ilana Eimerl ist Schriftstellerin und fasziniert von den früheren SchUM-Gemeinden

von Robert Kalimullin  21.11.2016 17:20 Uhr

»Die schreckliche Erkenntnis, dass auch das Böse interessant ist, hat mich weitergebracht«: Ilana Eimerl (48) lebt in Berlin. Foto: Stephan Pramme

Ilana Eimerl ist Schriftstellerin und fasziniert von den früheren SchUM-Gemeinden

von Robert Kalimullin  21.11.2016 17:20 Uhr

Mein Name ist Ilana Eimerl, und er spiegelt mich so, wie ich eigentlich auch bin: Ilana ist ein typisch hebräischer Name, und Eimerl ist ein wirklich deutscher Name, der aus Österreich kommt. Meine Eltern sind Holocaust-Überlebende und stammen aus der Region des früheren Galizien.

Das Thema Schoa war in meiner Familie allerdings tabu, vieles, was ich über meine Familie weiß, habe ich nur durch Recherche herausbekommen. Als Kind wusste ich nur, dass etwas ganz Schreckliches passiert ist. Aber das eigentlich Erstaunliche ist, dass mein Großvater und alle seine vier Kinder überlebt haben.

familie Mein Vater wurde 1914 in einem kleinen Dorf bei Lemberg geboren. Aber mein Großvater hat immer gesagt, dass seine Kinder studieren sollten, und so hat mein Vater Medizin studiert. In Yad Vashem habe ich herausgefunden, dass er von den Nazis registriert wurde, und jeder, der registriert worden ist, war eigentlich des Todes.

Er hat aber zwei Jahre lang, von 1942 bis 1944, in einem ukrainischen Krankenhaus überlebt, das von der Gestapo genutzt worden ist. Und die Gestapo wollte natürlich Ärzte haben. Da war ihnen egal, ob die Ärzte Juden sind oder nicht. Als es 1944 wieder Transporte nach Auschwitz gab, hat mein Vater sich bis zur Befreiung durch die Russen in einem kleinen Dorf versteckt. Er hat dann einige Jahre in der russischen Armee gedient.

Die ganze Familie hat sich einige Jahre nach dem Krieg in Wien im berühmten Rothschild-Hospital wiedergetroffen. Lemberg stand damals unter russischer Herrschaft. Alle sagten, es gebe kein Zurück, sondern nur zwei Optionen: Polen oder Israel. Ein Onkel war bereits in Palästina, und es war klar, dass aus Palästina Israel werden würde, sodass er gesagt hat: »Kommt nach Israel!«

Dann hat sich die Familie aufgeteilt: Mein Vater ist 1952 nach Israel gegangen, während ein anderer Onkel sagte: »Polen verlasse ich nicht.« Er entschied sich für Warschau und wurde kommunistischer Funktionär. Eine Tante ist mit ihm gegangen.

kreuzritter Mein Vater hat 20 Jahre in Israel gelebt. Er ist erst Mitte der 60er-Jahre nach Europa zurückgekehrt. Er glaubte nicht, dass der Staat Israel Bestand haben würde – er hat sich geirrt. Was ihn getrieben hat, nach Berlin zu gehen, in eine ge-teilte Stadt, weiß ich nicht. Jedenfalls wurde ich bereits in West-Berlin geboren. Als Kind bewegte ich mich in Berlin in einem jüdischen Umfeld, doch in der Gemeinde habe ich mich eigentlich nie so richtig wohlgefühlt. Dort sprach ja praktisch niemand Hebräisch!

Ich würde sagen, meine Muttersprache ist Deutsch. Meine Eltern haben ein ausgeprägtes Jiddisch gesprochen, sodass ich die Sprache auch verstehe und spreche. Weil es mich immer geärgert hat, dass mein Hebräisch nicht von der besten Sorte ist, habe ich dann nach meinem Dramaturgie- und Drehbuchstudium an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg zwei Jahre in Israel verbracht.

In meiner Zeit in Israel war ich hauptsächlich zum Lernen der Sprache an der Uni. Ich habe dann aber etwas festgestellt, was außerhalb Israels weniger bekannt ist: dass das Mittelalter dort unglaublich gut vertreten ist. Ich war zu Besuch in Akko, saß mitten in dieser Johanniterburg der Kreuzritter und habe nur gedacht: Ist das Wahnsinn, ist das irre! Eine wirkliche, richtige Kreuzritterburg!

rokeach Ich habe also begonnen, zum Mittelalter zu recherchieren, und bin dabei vor rund zehn Jahren auf das Rokeach-Buch gestoßen, den Begründer der deutschen Kabbala. Ich hatte zuvor nicht gewusst, dass es überhaupt eine deutsche Kabbala gibt. Das Buch wollte ich haben, nur dummerweise ist es nur auf Hebräisch erhältlich. Das ist irgendwo ein bisschen absurd: Der Erfinder der deutschen Kabbala ist nicht ins Deutsche übersetzt.

Jedenfalls hat mich das alles ziemlich begeistert, und dann habe ich gedacht, ich möchte einen Geschichtsroman schreiben! Und habe dann einfach den Rokeach als Ausgangspunkt genommen für die Recherche.

Mein Roman Rokeach, der dieses Jahr im Worms-Verlag erschienen ist, hat zwei Ich-Erzähler – ein jüdisches Mädchen und einen christlichen Ritter. Das Mädel war ganz schnell geschrieben: Wenn es hochkommt, habe ich ein halbes Jahr dafür gebraucht. Und dann stand ich mit 250 Seiten da. Aber alle, die es gelesen hatten, meinten, es liest sich wie ein Kinderbuch. Es war klar, dass sie einen Gegenpart braucht. Und was ist der absolute Gegenpart zu einem jüdischen Mädchen von 13, 14, 15 Jahren? Na klar, die Antisemiten.

anti-held Im Prinzip ist das eine Erzählung, die auch meine eigene Geschichte wiederholt. Ich habe es also mal mit den Tempelrittern probiert. Das fiel mir wirklich sehr, sehr schwer. Es hat mehr als zwei Jahre gedauert, bis ich begriffen habe: Auch wenn das der Anti-Held ist, ist es eine unglaublich wichtige Person, die die Geschichte vorantreibt und der man sich annähern muss.

Weder im Roman noch im Drehbuch kann man eine Figur entwickeln, wenn man diese Person nicht ansatzweise faszinierend oder wenigstens interessant findet. Das ist die schreckliche Erkenntnis: Das Böse ist eben auch interessant. Gerade das Böse ist faszinierend. Als ich auf diesem Weg an die Sache herangegangen bin, konnte ich ihn immer besser beschreiben.

Hinterher habe ich dann so einen Bösewicht gehabt, einen Antisemiten, einen schlimmen Menschen, aber ich konnte ihn verstehen, immer mehr. Das war dann eine Erkenntnis, von der ich wirklich glaube, sie hat mich weitergebracht. Wenn ich im persönlichen Leben jemanden treffe, den ich aufgrund seiner politischen Einstellungen widerlich finde, hätte ich mich früher am liebsten auf ihn gestürzt. Jetzt weiß ich, dass das alles nichts bringt, sondern dass man lieber einen Schritt zurückgeht, darüber nachdenkt, analysiert und dann sagt: »Hören Sie, mir gefallen Ihre antisemitischen oder diese und jene Einstellungen nicht, und ich möchte mit Ihnen nichts zu tun haben.«

worms Für die Recherchen zum Buch war ich in Worms. Von der Stadt war ich ziemlich angetan. Es gibt keine eigenständige, sondern nur noch eine mit Mainz verbundene jüdische Gemeinde in Worms. Es ist jetzt ein Museum, das sehr schön anzusehen ist für jüdische Leute, sehr interessant.

Aber die SchUM-Gemeinde, so wie sie einmal existiert hat, gehört der Vergangenheit an. Ich glaube, die Menschen dort beschäftigen sich damit wie unter einem historischen Aspekt. Ich glaube nicht, dass viele überhaupt wissen, was Jüdischsein ist. Überhaupt gibt es jetzt einfach den Staat Israel. Wenn man jüdisch sein will, kann man nach Israel gehen.

Mein eigenes Leben ist ein Pendeln zwischen Deutschland und Israel – es ist ein Leben auf gepackten Koffern. Bei mir ist es so, dass ich manchmal froh bin, Deutschland zu entkommen, im wahrsten Sinne des Wortes, und ebenso froh bin ich manchmal, Israel zu entkommen: Es ist mir einfach zu viel – zu viel Stress.

Das Leben in Israel ist wesentlich schneller getaktet, und es passiert auch wesentlich mehr. Es ist mir auch zu viel, mich in irgendeiner Bank oder irgendeiner Post um jede Kleinigkeit zu streiten. Und jedes Mal argumentieren zu müssen, speziell wenn man aus Deutschland kommt. Da gehe ich hoch wie eine Rakete.

reibungen Ich bin froh, dass ich mir das Beste aus zwei Ländern nehmen kann. Und in Berlin gibt es auch sehr viele Israelis. Die kann man sofort ansprechen, und da ist die Sprache wirklich hilfreich. Dagegen die jüdische Gemeinde, also da wird irgendwie eine Diskussion geführt, die ich nicht verstehe und die mir fremd ist. Als Schriftstellerin aber wäre für mich die Konkurrenz in Israel zu groß und mein Hebräisch zu schlecht. In Israel ist das Schriftstellerische ganz hoch angesehen, Rechtschreibfehler gehen gar nicht.

Und wahrscheinlich bin ich auch noch jemand, der lieber in Tel Aviv ist, was auch nicht ideal ist zum Schreiben. Zum Schreiben muss man eigentlich nach Jerusalem. Ich muss mir überlegen, ob ich das einmal schaffe, ein halbes Jahr oder ein Jahr nach Jerusalem zu gehen. Denn dort sind die Widerstände am größten.

Das Leben ist immer da interessant, wo man die Reibungen sieht. Und in Jerusalem sieht man sie sofort. Ich finde es interessant, irgendwo zwei Welten zu verbinden, weil ich das auch selbst in meinem Leben habe.

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