9. November

Vermächtnis eines Kaufmanns

Will mit dem Buch an die Familiengeschichte ihres Mannes erinnern – stellvertretend für viele jüdische Schicksale nach der Pogromnacht: Autorin Marianne Widmaier (2.v.r.) Foto: Rolf Walter

Hier kann ich nicht bleiben.» Dieser Satz bringt auf den Punkt, was Rudolf Amos Bardins Leben bestimmte: Vertreibung, Verlust der Heimat, Erfahrung von Fremde. Bardins Biografie ist die Geschichte eines seiner Heimat beraubten Mannes, eines Ruhelosen.

Die bewegte Lebensgeschichte des 1998 verstorbenen jüdischen Berliner Kaufmanns wäre vergessen worden, hätte seine Witwe Marianne Widmaier sie nicht aufgeschrieben. Widmaiers Erzählung über das Leben ihres Mannes ist nun in dem auf Berliner Biografien spezialisierten Rohnstock-Verlag erschienen. Ende Oktober stellte sie das gemeinsam mit dem Autor Frank Nussbücker verfasste Buch in den Räumen des Märkischen Museums in Mitte vor. Der prägnante Titel: Hier kann ich nicht bleiben. Das ruhelose Leben des Rudolf Amos Bardin.

«Rudis Leben war so dramatisch von einer Zeit geprägt worden, die schrecklich für unser Land war. Mit meinem Buch möchte ich an meinen Mann und seine Familiengeschichte erinnern, die stellvertretend für viele jüdische Schicksale in Deutschland und Berlin steht», begründet Widmaier das Projekt. Die gelernte Krankenschwester hat drei Jahre an der Seite Rudolf Bardins verbracht und ihm und seinen Berichten über die Flucht aus Nazi-Deutschland und die rastlose Odyssee durch Europa aufmerksam zugehört. «Es ist eine Geschichte, die das Leben geschrieben hat», sagt sie. Sie zeuge «von Mut und dem Willen, niemals aufzugeben». Rudolf Bardins Leben habe sie fasziniert. «Ich musste seine Geschichte einfach für die Nachwelt festhalten», sagt die Autorin.

zufall Rudolf Amos Bardin, 1911 in die Unternehmerfamilie Abrahamson geboren, war ein waschechter Berliner. Wegen seiner jüdischen Herkunft verfolgt, musste er nach der Pogromnacht vom 9. November 1938 seine Heimatstadt verlassen. Er floh zunächst nach Österreich, dann weiter nach Italien und Griechenland. Die Nazis waren ihm stets auf den Fersen.

Oft war es eine Frage von Zufällen und günstigen Um-
ständen, dass die Häscher ihn nicht fassten. 1941 gelangte der 30-Jährige nach Haifa, ins damalige britische Mandatsgebiet Palästina. Er war mittellos, aber in Sicherheit. Rudolf entging der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie. Anders als sein Vater David und sein Bruder Walter: Sie wurden in Theresienstadt und in Auschwitz ermordet.

Im unabhängigen Israel wurde Rudolf Bardin nie richtig heimisch. Seinen Lebensunterhalt verdiente er als Seemann und bereiste so die ganze Welt. In den 60er-Jahren führte ihn sein Weg aus beruflichen Gründen auch nach Deutschland. Er blieb und ließ sich später mit seiner zweiten Frau Marianne Widmaier in seiner alten Heimat nieder: Berlin. «Um das nackte Leben zu retten, war Rudi in die Welt gezogen. Fern der Heimat und ohne einen Pfennig Geld in der Tasche baute er sich eine neue Existenz auf – und konnte doch niemals vergessen, woher er kam», schreibt Widmaier in der Biografie.

familienkiez Der Ort für die Buchpräsentation war nicht zufällig gewählt worden – die Familie Abrahamson wohnte in den 30er-Jahren gleich um die Ecke vom Märkischen Museum, in der Inselstraße 12. Wenn Marianne Widmaier nun den Nachlass ihres Mannes dem Museum für Berliner Stadtgeschichte schenkt, kehren einige persönliche Gegenstände in den alten Familienkiez zurück. «Dieser Nachlass ist der eines Ur-Berliners, der vertrieben wurde und der um die ganze Welt gereist ist. Keine Schenkung ist so spektakulär wie diese», meint Martina Weinland, Sammlungsdirektorin des Märkischen Museums.

Marianne Widmaier ist froh, dass der Besitz ihres Mannes in gute Hände kommt und der Öffentlichkeit zugänglich sein wird, darunter eine kobaltblaue Luisen-Tasse der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin, ein Chanukkaleuchter aus Messing und ein Zierteller der Jüdischen Gemeinde zu Berlin aus dem Jahre 1978, ebenso wie eine Reihe gut erhaltener Schallplatten der Kristall Schallplatten GmbH aus Berlin-Reinickendorf: Hier hatte Rudolf Bardin als Jugendlicher eine Lehre gemacht und sein erstes Geld verdient.

Während Marianne Widmaier dem Museum in einem feierlichen Akt den Nachlass ihres Mannes übergab, lief der Tango «Mein Herz hat Heimweh nach deiner Liebe» aus dem Pola-Negri-Tonfilm Moskau–Shanghai von 1936. Das Lied war eines von Rudolf Bardins Lieblingsstücken. Von jetzt an wird es häufiger im Märkischen Museum zu hören sein.

«Hier kann ich nicht bleiben. Das ruhelose Leben des Rudolf Amos Bardin». Aufgezeichnet von Marianne Widmaier, Rohnstock-Biografien, Berlin 2016, 239 S.

Hannover

Die Vorfreude steigt

Die Jewrovision ist für Teilnehmer und Besucher mehr als nur ein Wettbewerb. Stimmen zu Europas größten jüdischen Musikevent

von Christine Schmitt  29.03.2024

Dialog

Digital mitdenken

Schalom Aleikum widmete sich unter dem Motto »Elefant im Raum« einem wichtigen Thema

von Stefan Laurin  28.03.2024

Jugendzentren

Gemeinsam stark

Der Gastgeber Hannover ist hoch motiviert – auch Kinder aus kleineren Gemeinden reisen zur Jewrovision

von Christine Schmitt  28.03.2024

Jewrovision

»Seid ihr selbst auf der Bühne«

Jurymitglied Mateo Jasik über Vorbereitung, gelungene Auftritte und vor allem: Spaß

von Christine Schmitt  28.03.2024

Literaturhandlung

Ein Kapitel geht zu Ende

Vor 33 Jahren wurde die Literaturhandlung Berlin gegründet, um jüdisches Leben abzubilden – nun schließt sie

von Christine Schmitt  28.03.2024

Antonia Yamin

»Die eigene Meinung bilden«

Die Reporterin wird Leiterin von Taglit Germany und will mehr jungen Juden Reisen nach Israel ermöglichen. Ein Gespräch

von Mascha Malburg  28.03.2024

Hannover

Tipps von Jewrovision-Juror Mike Singer

Der 24-jährige Rapper und Sänger wurde selbst in einer Castingshow für Kinder bekannt.

 26.03.2024

Party

Wenn Dinos Hamantaschen essen

Die Jüdische Gemeinde Chabad Lubawitsch lud Geflüchtete und Familien zur großen Purimfeier in ein Hotel am Potsdamer Platz

von Katrin Richter  25.03.2024

Antisemitismus

»Limitiertes Verständnis«

Friederike Lorenz-Sinai und Marina Chernivsky über ihre Arbeit mit deutschen Hochschulen

von Martin Brandt  24.03.2024