Tourismus

Der Schwarzwald ist das neue Berlin

Ein Augustabend in Freiburg: Amit Eshet und seine Frau Hilla Atzmon aus Haifa sitzen beim Abendessen, umgeben von anderen Israelis. Sie tummeln sich auf einer überdachten Terrasse beim Campingplatz Hirzberg am Rand von Freiburg. Überall ist lebhaftes Stimmengewirr, Teller klappern, Regen klopft aufs Dach. Doch am nächsten Tag soll es wieder trocken und sonnig werden.

Amit und Hilla gehören zu einer 25-köpfigen Gruppe aus Israel, die in Wohnmobilen unterwegs ist. Ihr Freiburger Campingplatz wirbt mit seinem Standort: nur 1,2 Kilometer entfernt von der Altstadt, aber inmitten von Wiesen und an den Ausläufern des Schwarzwalds gelegen. Die Gruppe hat bereits Abstecher zur Zugspitze, nach München und Baden-Baden hinter sich. Auf die jetzt anstehenden Tage im Schwarzwald freuen sich Amit und Hilla besonders.

tourismusboom Der Schwarzwald-Boom bei Israelis ist noch ein relativ neues Phänomen. Erst zwischen 2005 und 2015 stiegen die Übernachtungszahlen von israelischen Gästen stark an, bilanziert die Schwarzwald Tourismus GmbH.

Im Jahr 2005 wählten 5480 Israelis den Schwarzwald als Urlaubsziel, durchschnittlich blieben sie drei Nächte. Ein Jahrzehnt später, im Jahr 2015, kamen 46.786 israelische Touristen, blieben im Schnitt 4,3 Tage und buchten 201.200 Übernachtungen. Auch für 2016 sieht es bisher sehr gut aus: In den ersten fünf Monaten bis Ende Mai hat sich die Zahl der Ankünfte um 15,1 Prozent erhöht. Die Israelis liegen auf dem sechsten Platz unter den ausländischen Touristen.

Im vergangenen Jahrzehnt wurde Deutschland generell ein immer beliebteres Reiseziel für Israelis: Während 2005 nur 118.000 Touristen aus Israel in Deutschland ankamen, waren es 2015 bereits 280.555, listet die Deutsche Zentrale für Tourismus auf. Berlin zieht mit 44,6 Prozent die meisten reisenden Israelis an. Doch die Hauptstadt lockt vor allem die Jüngeren. Familien mit Kindern hingegen bevorzugen die Schwarzwaldidylle.

Genau das schätzen auch Amit und Hilla. Sie sind mit ihren zwei Töchtern unterwegs, die neun und zwölf Jahre alt sind. Die Ältere hatte sich zum Geburtstag einen Campingurlaub gewünscht, erzählt Amit. Sein letzter Campingurlaub liege sehr lange zurück, eigentlich fühlte er sich aus dem Alter raus, sagt er lachend.

Ihm und seiner Frau war es wichtig, den Schwarzwald kennenzulernen. »Die Gegend ist so hübsch, und es gibt tolle Ausflugsziele für die Kinder«, sagt Hilla Atzmon. Besonders praktisch findet sie, dass alles auf engem Raum beieinander liegt. Ein Tag ist für den Europapark in Rust eingeplant, ein Tag für den Titisee.

Dort lockt nicht nur der idyllische See mit Bootsfahrten, es gibt auch Kuckucksuhren und andere typische Schwarzwald-Andenken zu kaufen. Und dann wollen sie natürlich noch Freiburg erkunden. »Das ist die Hauptstadt des Schwarzwalds, dort leben viele Studenten«, listet Hilla ihre bisherigen Freiburg-Infos auf.

»Wir sind spät dran«, sagt Amit Eshet, »fast alle unsere Freunde waren schon hier.« Was ihr Umfeld erzählte, hat sie überzeugt. »Wir haben nur Gutes über den Schwarzwald gehört«, sagt Hilla.

Die Schwarzwald Tourismus GmbH fördert den Boom seit 2009 gezielt. Zum Einstieg habe man eng mit der Deutschen Zentrale für Tourismus in Israel zusammengearbeitet. Mittlerweile gebe es Kooperationen mit drei israelischen Reiseveranstaltern, die Wohnwagenrundreisen, Ferienwohnungen oder Bauernhofurlaube anbieten. Seit 2011 vermitteln die israelischen Partner auch die beliebte Schwarzwald-Card, deren Erwerb freien Eintritt an vielen Ausflugszielen garantiert. Hinzu kommen Anzeigenkampagnen in Israel und das Erscheinen eines Reiseführers auf Hebräisch.

Einer der größten Schwarzwald-Fans ist der Israeli Ishai Tsafrir. Er leitet die Campinggruppe von Amit und Hilla und kommt regelmäßig mit Israelis hierher. Alles hatte 1982 angefangen, als er für ein Elektronikunternehmen arbeitete und für sechs Monate nach Freiburg geschickt wurde. »Ich habe diese Gegend sofort geliebt«, erinnert er sich. »Ich fühlte mich zu Hause.« Vor 15 Jahren stieg er in die Tourismusbranche ein.

Shopping Dass der Schwarzwald auch bei seinen Landsleuten gut ankommt, hat viele Gründe, glaubt er. Schwarzwaldreisen würden günstig als Gesamtpakete angeboten, das rechne sich besonders für Familien. Die Flüge seien preiswert. Es gebe viele beliebte Ausflugsorte, an erster Stelle den Europa-Park Rust, aber auch den Steinwasen-Familienerlebnispark, Erlebnisbäder, das Freilichtmuseum Vogtsbauernhof in Gutach, den Titisee und den Schluchsee.

Israelis fänden es wunderbar, dass sie wegen der kleinen Entfernungen vieles nacheinander an einem Tag abklappern könnten, sagt Ishai. Außerdem seien sie begeistert von den Einkaufsmöglichkeiten. Zumindest Kaufhäuser und Discounter seien im Vergleich zu Israel günstig, ebenso die Restaurants: »Die Israelis geben gern Geld aus, sie kaufen Schuhe, Kleidung, Spielsachen.« Allerdings verstünden sie nicht, dass die Geschäfte abends früh schließen.

In der ersten Zeit des Schwarzwaldbooms der Israelis habe es manchmal Probleme gegeben, sagt Ishai, auf beiden Seiten. Israelis hätten sich beschwert, weil es in ihrer Unterkunft keine Klimaanlage gab – bis sie verstanden, dass das gar nicht nötig war, weil der Schwarzwaldsommer nicht mit der stickigen Hitze in Israel gleichgesetzt werden kann. Und in kleineren, ruhigen Pensionen seien israelische Gäste schon mal unangenehm aufgefallen, weil sie sehr laut sprachen und wild gestikulierten.

Die Veranstalter haben auf solche Konflikte längst reagiert. Sie informieren Hoteliers, Pensionsbesitzer und Tourismusmitarbeiter in Seminaren über interkulturelle Besonderheiten. So hatte zum Beispiel die Hochschwarzwald Touristik GmbH im April 2014 den Unternehmer und Israel-Experten Alex G. Elsohn nach Titisee eingeladen, wo er über »Israelis im Schwarzwald« sprach. Nach seiner Einschätzung lieben die meisten Israelis immer wieder neue Urlaubsziele. Derzeit verkörpere der Schwarzwald dieses »Neue«. Es sei ein Hype entstanden, speziell unter überdurchschnittlich verdienenden Familien, denn nur für sie sei ein Schwarzwaldurlaub bezahlbar. Elsohn rät, den israelischen Gästen viele Informationen und klare Ansagen zu bieten, ganz egal, ob es um die ihnen fremde Mülltrennung, Nachtruhe oder Essenszeiten gehe.

Daran hält sich Jona Verlande. Ihre 14 »Tannzapfenland«-Ferienappartements im Jostal bei Titisee-Neustadt werden im Sommer regelmäßig »zu einer israelischen Enklave«, sagt sie. »Dann wohnen hier mindestens zu 90 Prozent israelische Familien.« 2013 starteten sie und ihr Mann, sie ließen ein früheres Hotel zu Appartements umbauen. Schnell profitierten sie von der wachsenden Zahl der Schwarzwaldfans in Israel. Verlande setzt auf viel Kommunikation mit ihren Gästen, die sie sehr persönlich betreut. Für die kleine Gruppe derjenigen, die streng religiös sind, übernimmt sie am Schabbat die Bedienung elektronischer Geräte, damit sie nicht in Konflikte kommen.

gemeinde Von den israelischen Touristen, die seit einigen Jahren in zunehmender Zahl auch bei der Freiburger Synagoge vorbeischauen, seien dagegen viele nicht oder kaum religiös, sagt Irina Katz, die Vorsitzende der Israelitischen Gemeinde. Wenn am Schabbat spontan größere Gruppen mit Fotoapparaten vor der Tür stünden, sei das schwierig.

Die Gemeinde würde den Umgang mit den israelischen Gästen gern besser koordinieren und strebt deshalb Gespräche mit der »Freiburg Wirtschaft Touristik und Messe GmbH« (FWTM) an. Dabei sollen auch Infos über Synagogenführungen und koschere Einkaufsmöglichkeiten vermittelt werden. Eine solche Zusammenarbeit fände die FWTM gut, sagt deren Abteilungsleiterin Franziska Pankow. Es gebe immer mehr israelische Tagesgäste in Freiburg.

Noch beliebter sind allerdings Schwarzwaldorte wie Titisee. Amit Eshet und Hilla Atzmon sind ebenfalls vor allem von der Natur ringsherum fasziniert. Ihnen ist klar, dass ihnen drei Tage da bei Weitem nicht ausreichen. »Wir werden wiederkommen!«, sagt Amit.

Sportcamp

Tage ohne Sorge

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin und Makkabi luden traumatisierte Kinder aus Israel ein

von Christine Schmitt  18.04.2024

Thüringen

»Wie ein Fadenkreuz im Rücken«

Die Beratungsstelle Ezra stellt ihre bedrückende Jahresstatistik zu rechter Gewalt vor

von Pascal Beck  18.04.2024

Berlin

Pulled Ochsenbacke und Kokos-Malabi

Das kulturelle Miteinander stärken: Zu Besuch bei Deutschlands größtem koscheren Foodfestival

von Florentine Lippmann  17.04.2024

Essay

Steinchen für Steinchen

Wir müssen dem Tsunami des Hasses nach dem 7. Oktober ein Miteinander entgegensetzen

von Barbara Bišický-Ehrlich  16.04.2024

München

Die rappende Rebbetzin

Lea Kalisch gastierte mit ihrer Band »Šenster Gob« im Jüdischen Gemeindezentrum

von Nora Niemann  16.04.2024

Jewrovision

»Ein Quäntchen Glück ist nötig«

Igal Shamailov über den Sieg des Stuttgarter Jugendzentrums und Pläne für die Zukunft

von Christine Schmitt  16.04.2024

Porträt der Woche

Heimat in der Gemeinschaft

Rachel Bendavid-Korsten wuchs in Marokko auf und wurde in Berlin Religionslehrerin

von Gerhard Haase-Hindenberg  16.04.2024

Berlin

Zeichen der Solidarität

Jüdische Gemeinde zu Berlin ist Gastgeber für eine Gruppe israelischer Kinder

 15.04.2024

Mannheim

Polizei sucht Zeugen für Hakenkreuz an Jüdischer Friedhofsmauer

Politiker verurteilten die Schmiererei und sagten der Jüdischen Gemeinde ihre Solidarität zu

 15.04.2024