Mannheim

Im Herzen der Altstadt

Die Gemeinde erinnert an ihre Wiedergründung vor 70 Jahren

von Harald Raab  20.06.2016 18:40 Uhr

Bürgermeister Christian Specht, Zentralratsvize Abraham Lehrer, Gemeindevorsitzende Schoschana Maitek-Drzevitzky und ihr designierter Nachfolger Majid Khoshlessan (v.l.) Foto: Harald Raab

Die Gemeinde erinnert an ihre Wiedergründung vor 70 Jahren

von Harald Raab  20.06.2016 18:40 Uhr

Haleluya la’olam ...» Die Besucher im Saal singen und klatschen rhythmisch und gut gelaunt mit, als der Chor der Nachbargemeinde Ludwigshafen und der Mannheimer Kantor Moshe Hayoun mit seinen Sängerinnen und Sängern dazu auffordern.

Und auch beim Song «Shalom» gehen sie engagiert mit. Es ist eine fröhliche, aber auch nachdenkliche Geburtstagsfeier im Gemeindezentrum Mannheim. Die jüdische Gemeinde der Stadt an Rhein und Neckar begeht ihr 70-jähriges Bestehen. Es spiegelt sich an diesem Abend etwas von dem Mut und dem Optimismus wider, mit dem 120 Männer und Frauen 1946 nach dem Grauen der Schoa einen Neuanfang wagten – im Land der Täter ein von vielen mit Argwohn bedachtes Unternehmen.

«Die Überlebenden wollten wieder religiöses Leben spüren. Sie fühlten eine Verpflichtung gegenüber den gerade geborenen Kindern», erklärt Schoschana Maitek-Drzevitzky, die Vorsitzende der Mannheimer Gemeinde, die Initiative der Gründergeneration. «Neues Leben verlangte nach einer Identität – besonders nach dem Schrecklichen, das die Überlebenden durchgemacht hatten.» Maitek-Drzevitzky spricht offene Worte beim Jubiläum. Wie oft seien die in Deutschland, «im Land der Mörder», gebliebenen Juden mit dem Vorwurf konfrontiert worden: «Wie könnt ihr in diesem Land leben?» Ihre Antwort: «Wir konnten es, und wir können es. Es war und ist nicht immer leicht. Jeder Rückschlag lässt einen zweifeln, ob man damals die richtige Entscheidung getroffen hat.»

Zuversicht Die Gemeindevorsitzende, die aus gesundheitlichen Gründen bald ihr Amt an den bereits gewählten Nachfolger, Majid Khoshlessan, abgibt, ist voll Zuversicht: «Diese Gemeinde wird von Menschen getragen, die an ein jüdisches Leben in Deutschland glauben. Allerdings habe ich eine Illusion in den Jahrzehnten meines Engagements im jüdischen wie interreligiösen Bereich aufgegeben: So ein buntes, interkulturelles, großbürgerliches deutsch-jüdisches Leben, wie es in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts herrschte, wird es wohl nie mehr geben. Dafür ist zu viel zerstört worden.» Man dürfe dem nicht nachtrauern, aber diese Zeit und die Menschen darin auch nicht vergessen. «Es gilt für uns Nachgeborene, nach vorn zu schauen und wieder eine aktive Rolle im deutsch-jüdischen Leben zu spielen.»

Dass in Mannheim diese Aufgabe mit Ernst und Eifer, aber auch mit Erfolg wahrgenommen wird, bestätigt den 500 Mannheimer Gemeindemitgliedern Abraham Lehrer. Der Vizepräsident des Zentralrats versichert: «Wir blicken nicht nur voller Bewunderung auf die Gründerväter, sondern voller Stolz auf die Gemeinde, wie sie sich heute präsentiert. Was sie in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut haben, ist wirklich bemerkenswert. Neben der beeindruckenden Synagoge, die zu Recht als eine der schönsten Deutschlands angesehen wird, gibt es hier alles, was das jüdische Herz begehrt: einen Seniorenklub, eine Mikwe, eine Bibliothek, den Makkabi-Sportverein.»

Jugendarbeit Ein besonderes Lob spendet Lehrer der Jugendarbeit und ihrer engagierten Leiterin Susanne Benizri. Der zweimalige Sieg bei der Jewrovision spreche für die Qualität der Angebote für junge Menschen in der Gemeinde. «Diese Jugendarbeit ist aller Unterstützung wert. Denn ohne Jugend haben wir keine Zukunft.» Mannheim blicke auf eine lange Tradition der religiösen Toleranz zurück. Es sei zu wünschen, dass sie erhalten bleibe. Der Gemeinde wünscht der Vizepräsident, sie möge weiter wachsen und gedeihen und allen Juden in Mannheim eine Heimat bieten.

Mannheims Erster Bürgermeister, Christian Specht, bedankt sich im Namen der Stadt. Die Entwicklung und der Erfolg der Gemeinde in den vergangenen 70 Jahren seien nicht zu erklären ohne das bis zur NS-Diktatur über Jahrhunderte währende Wirken jüdischer Menschen in Mannheim. «Mannheim ist seit kurpfälzischen Zeiten Heimat für religiöse und nationale Minderheiten», hebt Specht hervor. Die emanzipatorischen Kräfte, die nach der Französischen Revolution frei geworden sind, hätten viele veranlasst, sich in Mannheim niederzulassen. Auch heute sei in Mannheim kein Platz für rechte Intoleranz. Die Gemeinde selbst zeige, wie Demokratie und Toleranz gelebt werde.

Bilderchronik In einer historischen Bilderschau gibt Volker Keller einen Überblick über das Gemeindeleben, von den Anfängen vor 70 Jahren bis heute. Die alten Fotos strahlen noch immer etwas von dem Pioniergeist der Männer und Frauen aus, die sich auf das Abenteuer Gemeindegründung eingelassen hatten. Immer wieder wird der Name Oskar Althausen erwähnt, der das KZ Gurs überlebte und die Gemeinde viele Jahre als Vorsitzender nachhaltig geprägt hatte.

Nachdem die Mannheimer Hauptsynagoge zunächst von den Nazis verwüstet, im Zweiten Weltkrieg völlig zerstört wurde und eine Zwischenlösung in der Maximilian-Straße zu klein geworden war, gab es 1984 grünes Licht für den Neubau eines repräsentativen Gemeindezentrums mitten in der Altstadt. 1987 wurde es eingeweiht. Ursprünglich sollte Marc Chagall die Glasfenster der Synagoge gestalten. Der Preis überstieg jedoch die finanziellen Möglichkeiten. Die Stadt bezuschusste den Bau mit zehn Millionen Mark und überließ das Grundstück teilweise kostenfrei.

Eine Besonderheit des jüdischen Lebens in Mannheim ist heute: Das Gemeindezentrum liegt in einem hauptsächlich von türkischen Zuwanderern bewohnten Viertel. Maitek-Drzevitzky ist stolz auf das friedliche Miteinander. Der Gemeindesaal wurde früher oft für türkische Feiern zur Verfügung gestellt. «Wir haben keine Schmierereien und keine Drohanrufe», berichtet sie. Jedoch müsse man im Zug möglicher Radikalisierung für mehr Sicherheit sorgen. Ein Balanceakt, weil man ja auch ein offenes Haus für Besucher aus allen Religionen sein wolle. Die Mannheimer Einheitsgemeinde sei nach wie vor von der traditionellen badischen Liberalität geprägt. «Wir wollen keine Bunkermentalität.»

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