Interview

»Wir bringen viel auf den Weg«

Geschäftsführer Daniel Botmann über Projekte und Herausforderungen des Zentralrats

von Heide Sobotka, Katharina Schmidt-Hirschfelder  25.04.2016 17:20 Uhr

Daniel Botmann: »Das Amt des Geschäftsführers ist eine zeitintensive Tätigkeit, die sich nicht auf normale Bürozeiten beschränkt.« Foto: Marco Limberg

Geschäftsführer Daniel Botmann über Projekte und Herausforderungen des Zentralrats

von Heide Sobotka, Katharina Schmidt-Hirschfelder  25.04.2016 17:20 Uhr

Herr Botmann, das Direktorium des Zentralrats hat Sie für fünf Jahre im Amt des Geschäftsführers bestätigt. Da wir gerade Pessach feiern, sei die Frage erlaubt: Wie viel Freiheit hat der Geschäftsführer des Zentralrats?
Als frisch gebackener Vater von Zwillingen empfinde ich schon Freiheitsgefühle, wenn beide Kinder schlafen. Aber im Ernst: Das Amt des Geschäftsführers ist eine zeitintensive Tätigkeit, die sich nicht auf normale Bürozeiten beschränkt. Als Geschäftsführer hat man aber zugleich viele Gestaltungsmöglichkeiten, man kann Dinge anstoßen und neue Projekte entwickeln. Das und vieles mehr finde ich sehr reizvoll an dem Amt.

Sie waren zuvor in der Jüdischen Gemeinde Trier und im Landesverband Rheinland-Pfalz aktiv. Daher kannten Sie den Zentralrat eher von außen. Hat sich Ihr Bild vom Zentralrat geändert, seit Sie ihn von innen kennen?
Ja, allerdings. Den Zentralrat habe ich schon im Rahmen meines ehrenamtlichen Engagements sehr geschätzt. Man denke nur einmal an die Beschneidungsdebatte in 2012, die niemals einen für uns so glimpflichen Ausgang gefunden hätte, wenn der Zentralrat sich nicht für die Interessen der jüdischen Gemeinschaft starkgemacht hätte. Eine ganz andere Vorstellung hatte ich aber von der Mitarbeiterschaft des Zentralrats. In Wahrheit hat der Zentralrat zwar einen überschaubaren Mitarbeiterstab, aber die wenigen Mitarbeiter erbringen oftmals Leistungen, die weit über das hinausgehen, was sie leisten müssten. Viele Mitarbeiter des Zentralrats sind in ihren Heimatgemeinden tief verwurzelt oder bis heute, soweit es geht, dort engagiert. In der politischen Arbeit ist der Zentralrat ein ehrwürdiger politischer Spitzenverband, bei der Motivation und Kreativität der Mitarbeiter gleicht er eher einem Start-up-Unternehmen.

Der Zentralrat hat seit Ihrem Amtsantritt vor zwei Jahren viele neue Projekte auf den Weg gebracht. Welche liegen Ihnen dabei besonders am Herzen?
Mir liegen besonders die Projekte für junge Menschen am Herzen. An dieser Stelle investieren wir in die Zukunft unserer Community. Ebenso wichtig ist die Bildungsarbeit des Zentralrats, die allen Altersgruppen zugute kommt. Ein weiterer wichtiger Baustein ist das neu entwickelte Fortbildungsprogramm für Religions- und Hebräischlehrer, für die der Zentralrat übrigens kürzlich eine geschlossene Online-Plattform geschaffen hat, wo sie sich regelmäßig austauschen können und Unterrichtseinheiten zur Verfügung gestellt werden.

Laut Statistik, die die ZWST jährlich herausgibt, machen junge Leute zahlenmäßig den geringsten Anteil in den Gemeinden aus. Was bieten Sie der Mehrheit der Mitglieder an, den 60- bis 70-Jährigen?
Der Zentralrat fördert aus Mitteln für die Integrationsarbeit knapp 100 Integrationsprojekte in den Gemeinden, die meist von älteren Menschen in Anspruch genommen werden. Als Zentralrat mischen wir uns aber nicht in die Arbeit der Gemeinden ein, sondern achten darauf, dass die politischen Rahmenbedingungen für die jüdische Gemeinschaft stimmen. So setzen wir uns etwa intensiv dafür ein, die älteren Gemeindemitglieder rentenrechtlich besser zu stellen. In den Gemeinden selbst gibt es ein großes Portfolio an Angeboten für ältere Menschen.

Was meinen Sie mit rentenrechtlicher Besserstellung?
Viele der jüdischen Zuwanderer haben das Problem, dass sie im Rentenalter auf die Grundsicherung angewiesen sind, obwohl sie in ihren Herkunftsländern einen qualifizierten Beruf ausgeübt haben. Diese Arbeitsjahre werden rentenrechtlich bislang überhaupt nicht angerechnet, sodass die in Deutschland erworbenen Rentenansprüche meist zu niedrig sind. Wir bemühen uns, ihre Lage zu verbessern.

Haben Sie beim Gemeindetag, der Ende dieses Jahres stattfinden soll, auch vor allem die ältere Generation im Blick?
Mit dem Gemeindetag wollen wir alle Generationen ansprechen und sind schon mitten in der Planungsphase. Teilnahmeberechtigt sind alle Gemeindemitglieder zwischen 0 und 120 Jahren. Als übergreifendes Thema haben wir Familie gewählt – Familie als Mikrokosmos mit Vater, Mutter, Kind, aber auch »Die Gemeinde als meine Familie«. Es soll nicht um eine Heile-Welt-Idylle gehen. Wir wollen auch unbequemen Fragen nicht ausweichen, sondern den Teilnehmern Gelegenheit geben, über die Themen zu diskutieren, die ihnen unter den Nägeln brennen.

Müssten Sie dann nicht eher aktuelle politische Themen aufgreifen wie die Flüchtlingskrise, islamistischen Terrorismus oder Rechtsextremismus?
Das tun wir auf jeden Fall auch. Es ist uns ganz wichtig, die Erfahrungen aus unserer politischen Arbeit auch weiterzugeben. Natürlich wollen wir uns den aktuellen Debatten stellen und werden Experten genau zu diesen Themen einladen.

Welches politische Thema steht für den Zentralrat ganz oben auf der Agenda?
Bis zum Jahresanfang hätte ich ohne Zweifel geantwortet: die Aufnahme so vieler Flüchtlinge in Deutschland. Und obwohl die Zahlen so drastisch zurückgehen, würde ich weiterhin sagen, dass die Integration der Flüchtlinge, die hier leben, eines der wichtigsten Themen für uns ist. Denn dass die Menschen, die vorrangig aus arabischen Ländern kommen, unsere Werte respektieren – und dazu zähle ich ganz klar die Ablehnung von Antisemitismus sowie ein klares Bekenntnis zu Israel –, das ist für die jüdische Gemeinschaft essenziell wichtig. Eine erfolgreiche Integration ist aber auch für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft entscheidend. Andernfalls werden Rechtsextreme und Rechtspopulisten weiterhin die Verunsicherung in der Bevölkerung für ihre Zwecke missbrauchen und die Spaltung unserer Gesellschaft vorantreiben.

Um noch einmal auf das Thema Familie zurückzukommen: Die Generation der Eltern, die mitten im Berufsleben steht und noch ihre Familie managen muss, ist ja vermutlich am schwersten für die Gemeinden zu erreichen, oder?
Das ist in der Tat äußerst schwierig. Hier unterscheiden wir uns übrigens nicht von den Kirchen, den Parteien oder von Vereinen. Es gibt verschiedene Ideen für diese Zielgruppe, an denen wir arbeiten. Ich denke, die Erfolg versprechendste Variante ist, die Eltern über die Kinder einzubeziehen. Umgekehrt wird es kaum funktionieren.

Welche Ideen sind das konkret?
Wir hatten uns in den vergangenen Jahren verstärkt auf die Jugendarbeit konzentriert. Das Problem ist aber: Oft hören die Angebote bei der Altersgrenze 35 auf. Daher haben wir bereits mehrere Projekte in An-griff genommen oder erfolgreich durchgeführt – etwa die »Next Step«-Seminarreihe, die wir gemeinsam mit Österreich und der Schweiz für junge Nachwuchs-Führungskräfte veranstaltet haben. Sie war so erfolgreich, dass wir sie im nächsten Jahr wiederholen wollen. Beim Gemeindetag 2013 und auch beim bevorstehenden Gemeindetag wird es eigene Angebote für Young Jewish Professionals geben. Und bei der Jewrovision in diesem Jahr hatten wir erstmals ein Programm für Alumni, also Menschen, die aus dem typischen Jewrovision-Alter heraus sind, aber dennoch mit viel Spaß dabei sind. Wir wollen uns genau für diese Zielgruppe künftig noch viel mehr anstrengen, um sie zurückzuholen und an die Gemeinden zu binden.

Das Problem besteht ja schon länger. Bei den Studentenverbänden etwa bilden sich immer wieder lokale Verbände – mit engagierten Leuten und viel Elan. Dann wechseln sie die Uni, gehen für ein Jahr ins Ausland, und der Verband verschwindet wieder. Was kann man dagegen tun?
Genau da legen Sie den Finger in die Wunde. Deswegen haben wir jetzt ein ganz neues Projekt namens »Kescher« auf den Weg gebracht. Das Programm will einzelne lokale studentische Initiativen stärken. Dazu stellen wir eine finanzielle Mikroförderung für einzelne Aktivitäten zur Verfügung. Un-ter der Dachmarke »Kescher« werden entsprechende Aktivitäten über Facebook und über die Homepage bekannt gemacht. Das heißt, die Einzelinitiative ist damit in ei-nem Verbund und erhält einen Bekanntheitsgrad auch über die Stadt hinaus. Jüdische Studenten erfahren davon und können sich dem anschließen. Wenn also eine aktive Person aus den genannten Gründen wegfallen sollte, schlafen nicht sämtliche Aktivitäten ein, sondern man hat eine gemeinsame Basis.

Welche Kriterien müssen bei der Bewerbung für »Kescher« erfüllt sein?
Die Voraussetzungen sind bewusst einfach gehalten. Die einzelnen Ideen müssen einen jüdischen Bezug haben, jüdische Studierende müssen die Zielgruppe sein, und man muss innerhalb von drei Tagen drei Fotos von der Veranstaltung einschicken, damit wir sehen, sie hat stattgefunden. Zuvor gibt es eine inhaltliche Prüfung, ob die Idee förderungswürdig ist oder nicht. In der Regel kommen sehr gute Anträge, die sehr kurzfristig und unbürokratisch bearbeitet werden.

Welche Resonanz bekommen Sie aus kleineren Gemeinden?
Es gibt einen regen Austausch auch mit den kleineren Gemeinden. Alle Vertreter des Zentralrats in den Gremien kommen ja aus den Gemeinden und Landesverbänden. Zurzeit sind die kleineren Gemeinden dort sehr gut vertreten, wenn Sie bedenken, dass un-ser Präsident aus Würzburg kommt, ein Vizepräsident aus Offenbach und ich zum Beispiel aus Trier stamme. Ich denke, wir dürfen eines nicht verwechseln – der Zentralrat kann niemals die Aufgaben einer Gemeinde übernehmen oder deren tägliche Arbeit ersetzen. Aber wir unterstützen die Gemeinden und bieten etwa Fortbildungen für Gemeindemitarbeiter an. Vor allem die kleinen Gemeinden brauchen diese Unterstützung und nehmen sie auch gerne an.

Waren Sie auch schon einmal in Barnim oder Königs Wusterhausen?
In den zwei Jahren, seit ich Geschäftsführer bin, war ich tatsächlich vor allem in den neuen Bundesländern unterwegs. Ich selbst komme ja ursprünglich aus Rheinland-Pfalz. Viele Jüdische Gemeinden in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg kenne ich recht gut. Die Ge-meinden in den neuen Bundesländern waren mir relativ unbekannt. Daher setze ich natürlich meinen Fokus darauf, sie zu besuchen und kennenzulernen. Ich habe viel mitgenommen – auch das enorme Engagement an der Basis. Das kann man nicht hoch genug schätzen.

Der Zentralrat gibt Anregungen und Impulse. Welche konkreten Ziele neben der Jugendarbeit wollen Sie in den nächsten Jahren kurz-, mittel- und langfristig umsetzen?
Seit 2012 – noch in der Ära Graumann – hat sich der Zentralrat gewandelt. Die Mitarbeiterschaft wurde ausgeweitet und an vielen Stellen professionalisiert. Diesen Ausbau zu einem jüdischen Kompetenzzentrum wollen wir weiter voranbringen. Nach außen haben sich die Aktivitäten um ein Vielfaches vermehrt. Im Zentrum unserer Arbeit als politischer Spitzenverband steht das Eintreten für die Interessen der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland. Die Herausforderungen in diesem Bereich werden nicht kleiner.

Wie wird Ihrer Meinung nach die jüdische Gemeinschaft hierzulande in zehn Jahren aussehen, die Entwicklung bis heute mit bedenkend?
Das ist eine spannende Frage. Wir können natürlich nicht voraussagen, wie sich die politische Lage entwickelt. Aber ich denke, das jüdische Leben wird sich in den größeren Städten sammeln. Junge Leute gehen oftmals zum Studieren, zum Arbeiten in die Großstädte. Das wird sich zu Ungunsten der kleineren Gemeinden auswirken. Auf der anderen Seite wird die jüdische Gemeinschaft in zehn Jahren eine noch stärkere sein als heute. Vor 20 Jahren steckte sie durch die Zuwanderung erneut in den Kinderschuhen und musste an vielen Stellen fast wieder bei null anfangen. Jetzt ist sie knapp über das Teenager-Alter hinaus und noch nicht voll gereift. In zehn Jahren wird sie in einem Alter angekommen sein, wo man im Saft des Lebens steht und voll ins Berufsleben einsteigt – im übertragenen Sinne. Viele Integrationsprobleme werden dann überwunden sein.

Mit dem Geschäftsführer des Zentralrats des Juden in Deutschland sprachen Heide Sobotka und Katharina Schmidt-Hirschfelder.

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