Klassik

»Ich denke an ihn«

Der Musiker Jeremy Menuhin über seinen berühmten Vater, seine Kindheit und Karriere

von Christine Schmitt  18.04.2016 14:56 Uhr

Jeremy Menuhin Foto: Nikolaj Lund

Der Musiker Jeremy Menuhin über seinen berühmten Vater, seine Kindheit und Karriere

von Christine Schmitt  18.04.2016 14:56 Uhr

Herr Menuhin, Ihr Vater, der Jahrhundertgeiger und Dirigent Yehudi Menuhin, wäre am 22. April 100 Jahre alt geworden. Wie werden Sie diesen Tag begehen?
Ich feiere keine Geburtstage, und deshalb haben runde Geburtstage für mich keine besondere Bedeutung. Aber ich denke natürlich an ihn, häufig sogar.

Haben Sie eine Lieblingsplatte von Ihrem Vater?
An eine erinnere ich mich besonders gerne, und zwar an die, auf der er das Violinkonzert von Beethoven unter der Leitung von Wilhelm Furtwängler eingespielt hat. Ich denke gerne an unsere gemeinsamen Aufnahmen. Wir haben die Sonaten für Violine und Klavier von Beethoven, Brahms, Franck und Fauré eingespielt. Darum brauche ich auch keine Platten, um ihm nahe zu sein.

Yehudi Menuhin starb vor 17 Jahren in Berlin, kurz nach einem Konzert, das er dirigierte und das mit dem Kaddisch von Maurice Ravel endete. Welche Rolle spielte die Religion bei Ihnen zu Hause?
Keine. Ich bin absolut areligiös und hasse Religion sogar. Ich respektiere religiöse Menschen, aber nur, solange sie nicht versuchen, andere zu ihrem Glauben zu bekehren.

Man liest im Internet, dass Sie eine schreckliche Kindheit gehabt haben sollen. Was war so schlimm daran?
Manchmal ist es wirklich Müll, was man dort zu lesen bekommt. Meine Kindheit war überhaupt nicht schrecklich. Sicher, es gab schwierige Momente, die wir durchstehen mussten. Leider hatten wir kein richtiges Familienleben, weil meine Eltern ständig auf Tournee waren. Mein Bruder und ich haben unsere Eltern nicht oft gesehen. Meine ältere Schwester Zamira, aus der ersten Ehe meines Vaters, hat manchmal bei uns gewohnt. Meistens war sie aber in einem Internat.

Konnten Sie sich gut mit ihrem Vater unterhalten?

Ich glaube nicht, dass er an einer Einzelbeziehung zu Menschen – sei es in der Familie, mit Freunden oder Menschen, mit denen er zusammengearbeitet hat – groß interessiert war. Er hatte mehr Interesse am großen Ganzen. Er war eine Person der Öffentlichkeit. Aber wenn er mit seiner Geige aufgetreten ist, dann zeigte er seine ganz private Seite. Als mein Vater Beethovens Violinsonate Nr. 10 gespielt hat, eines seiner schönsten Stücke, war er grandios. Er war erhaben und so intim – näher konnte man ihm nicht kommen. Die verbale Art, mit ihm zu kommunizieren, fand eher auf rationaler Ebene statt. Aber das war nicht unbedingt der beste Weg, sich meinem Vater zu nähern. Er war sehr interessiert an Ernährungsfragen, an der Politik, an musikalischer Ausbildung und Früherziehung.

Sie sehen ihm ziemlich ähnlich. Entdecken Sie manchmal Gemeinsamkeiten an sich?
Was uns verbindet, ist, dass wir zunächst einmal Leuten gefallen wollen. Mir imponieren aber Menschen, die bereit sind, sich Feinde zu machen. Mein Vater hat sich ebenfalls Feinde gemacht. Ihn zu kennen, war irreführend, denn er erhielt stets eine freundliche Fassade aufrecht. Und ich habe ziemlich darum gekämpft, diese Fassade aufzubrechen, um näher an ihn heranzukommen.

Ist es schwer, mit diesem Nachnamen eine Musikerkarriere zu starten?
Ich bin zu alt, um darüber nachzudenken. Wenn ich eingeladen bin, dann freue ich mich und denke nicht darüber nach, dass es an meinem Namen liegen könnte. Was ist eine Karriere? Vielleicht, wenn man immer spielt und in allen großen Konzertsälen auftritt. Diese Art von Karriere habe ich nicht gemacht. Als Musiker ist es mir am wichtigsten, die Musik zu genießen. Das ist meine wahre Erfüllung. Mehr als eine Karriere.

Ihr musikalisches Talent wurde nicht von Ihrem Vater entdeckt und gefördert, sondern von einer Nanny, die Sie an das Klavier herangeführt hat. Warum?

Wir verbrachten eben viel Zeit miteinander. Von früh an wollte ich Musiker werden. Das war schon immer meine besondere Berufung – so habe ich es jedenfalls empfunden. Insofern war es eine glückliche Fügung, denn auf diese Weise hatte ich etwas mit meinem Vater gemeinsam.

Als 15-jähriger Pianist sind Sie zusammen mit ihrem Vater aufgetreten. Konnten Sie das genießen?

Mit 13 Jahren spielte ich zum ersten Mal unter seiner Leitung in einem Konzertsaal. Ich meine, es war das von ihm gegründete Bath Festival Orchestra, was mich begleitete. Ich war sehr aufgeregt. Es war ein Klavierkonzert von Mozart. Unsere gemeinsamen Auftritte sind von unschätzbarem Wert für mich.

Sie geben Konzerte, und gerade ist eine Platte mit Ihren Kompositionen erschienen.
Das Vermögen zu komponieren, war in meinem Unterbewusstsein vergraben, doch seit ein paar Jahren bin ich wieder dabei. Ich habe kürzlich erneut mit dem Komponieren angefangen. Als 17-jähriger Student habe ich bei Nadia Boulanger, der berühmten Musikpädagogin des 20. Jahrhunderts, angefangen zu komponieren. Sie schloss damals einen Vertrag mit mir ab, ein Stück zu schreiben, das drei Minuten lang sein sollte. Ich hatte drei Monate Zeit. Als es fertig war und ich es ihr vorlegte, sagte sie: »Gar nicht schlecht. Wollen wir den Vertrag verlängern?« Aber ich habe jahrzehntelang nicht komponiert – und jetzt bringt es mir Freude.

Mit dem Musiker sprach Christine Schmitt.

Das Konzerthaus Berlin startet die »Hommage an Yehudi Menuhin« am 19. April. Sie endet am 1. Mai.

Jeremy Menuhin wird am 28. April um 20 Uhr im Konzerthaus am Gendarmenmarkt zusammen mit Henning Kraggerud (Violine) und Christian Poltéra (Violoncello) Werke von Johannes Brahms, Felix Mendelssohn Bartholdy und Franz Schubert spielen.

www.konzerthaus.de

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