Neubrandenburg

»Schmierentheater«

Das Landgericht Neubrandenburg verhandelt unter Vorsitz des Richters Klaus Kabisch (M.) gegen den früheren SS-Sanitäter Hubert Zafke. Foto: dpa

Die Befunde lesen sich dramatisch: depressive Störung, Suizidgefahr, ein Blutdruck von 180 zu 100, ein Armbruch und eine akute Stressreaktion. Am Wochenende hatten die Kinder von Hubert Zafke den ärztlichen Notdienst verständigt, und der hatte bescheinigt, dass der 95-Jährige am Montag nicht vor dem Landgericht Neubrandenburg erscheinen kann.

Zafke hat gute Gründe, den Saal 10 des Landgerichts zu meiden. Am Montag wurde dort nämlich das Verfahren gegen ihn eröffnet. Der Vorwurf: Beihilfe zum Mord in mindestens 3681 Fällen. Zafke war ab Mitte August 1944 einen Monat lang im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau stationiert. In der Zeit kamen 14 Deportationszüge mit Häftlingen an, die sofort in den Tod geschickt wurden.

Befangenheit Der Vorsitzende Richter Klaus Kabisch erkannte eine Verhandlungsunfähigkeit an. Schon im vergangenen Jahr hatte er das Verfahren gegen Zafke aus gesundheitlichen Gründen eingestellt. Nur eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft und ein weiteres Gutachten hatten dazu geführt, dass das OLG Rostock Zafke immerhin als eingeschränkt verhandlungsfähig bezeichnete und der Prozess überhaupt beginnen konnte. Ein Befangenheitsantrag der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage gegen Kabisch wurde allerdings abgelehnt.

Dem Verfahren hätte es wohl gutgetan, wenn der Antrag Erfolg gehabt hätte. »Das war am Montag ein Schmierentheater«, sagt Christoph Heubner, Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees. »Die Verhandlungsführung des Richters ist genauso merkwürdig wie die Einlassungen des Verteidigers Peter-Michael Diestel. Richter Kabisch zeigt ein schnodderiges Desinteresse an dem Verfahren und tut alles, um diesen Prozess zu verhindern. Das zeugt von einer ungeheuren Respektlosigkeit gegenüber den Opfern.«

Der Rechtsanwalt Peter-Michael Diestel, letzter DDR-Innenminister im Kabinett von Lothar de Maizière, hatte mehrfach gesagt, das Verfahren gegen Zafke sei »für diesen ein Todesurteil ohne die Möglichkeit des Rechtsmittels«. Am Dienstag wies die Staatsanwaltschaft dies scharf zurück. Was Diestel sage, verletze »die Opfer und die Überlebenden von Auschwitz in ihrem Anspruch auf Respekt und Empathie«. Diestel vergleiche die Verbrechen von Auschwitz mit einem rechtsstaatlichen Verfahren.

Demjanjuk Ob der Versuch der Staatsanwaltschaft, »einen sachlichen Fortgang des Verfahrens« zu erreichen, Erfolg haben wird, ist unklar. Christoph Heubner befürchtet: »Der Prozess ist ein peinliches Stück, das aus der Zeit gefallen zu sein scheint.« Es stelle einen Rückfall in alte Justizzeiten dar, die man seit den Prozessen gegen John Demjanjuk und Oskar Gröning überwunden glaubte.

Am Montag waren keine Nebenkläger vor Gericht erschienen, und Heubner bezweifelt, dass ihre Anwälte ihnen das Gericht zumuten wollen, wenn der zweite von drei Prozesstagen am 14. März stattfinden wird. Dann wird vermutlich klar, ob Richter Kabisch mit seinem bisherigen Kurs, das Verfahren scheitern zu lassen, durchkommen wird.

Für Zafke dürfte es dann nicht mehr genügen, ein wenig aussagekräftiges Papier zu präsentieren. »Dann muss ein Gutachten zur Verhandlungsfähigkeit vorgelegt werden«, sagt Heubner. »Was am Montag dem Gericht vorgelegt wurde, kam weder von einem Amtsarzt noch von einem Sachverständigen.«

Für Heubner ist offensichtlich, dass Richter Kabisch und das Landgericht Neubrandenburg das Verfahren nicht wollen und auch nicht bereit sind, daran mitzuwirken, die jahrzehntelangen unseligen Versäumnisse der deutschen Justiz bei der Aufarbeitung der NS-Verbrechen in deutschen KZs aufzuarbeiten.

DDR Im Falle von Zafke ist das auch ein Problem der DDR-Justiz. Dass Zafke als SS-Mann im Range eines Rottenführers in Auschwitz eingesetzt war, war den DDR-Justizbehörden bekannt. Ein Verfahren gegen ihn wurde trotzdem nie eröffnet. Zafke blieb während der gesamten 41-jährigen Existenz der DDR unbehelligt.

Heubner jedoch geht davon aus, dass auch 71 Jahre nach Ende der NS-Herrschaft die juristische Aufarbeitung der Verbrechen nichts von ihrer Bedeutung verloren hat. »Jeder Auschwitz-Prozess bietet nicht nur den Menschen in Deutschland die Möglichkeit, den eigenen Blick auf Geschichte und Gegenwart zu schärfen und sich seiner eigenen Gefährdungen bewusst zu werden. Gerade deswegen werden die Auschwitz-Prozesse als Signale aus Deutschland weltweit verfolgt.«

Georg M. Hafner

Auslöschen? Kein Problem!

Die Konsequenz des Frankfurter Urteils ist eine verheerende Verschiebung von roten Linien

von Georg M. Hafner  29.03.2024

Berlin

»UNRWA ist Teil des Problems«

Israels Botschafter Ron Prosor präsentiert Informationen zur engen Verbindung der Terrororganisation Hamas mit dem UN-Palästinenserhilfswerk

 28.03.2024

Halle / Frankfurt

DFB lässt proisraelisches Plakat bei Länderspiel abhängen

Plakat mit der Aufschrift »Bring them Home now« sei nicht genehmigt und entgegen UEFA-Regularien gewesen

 28.03.2024

Sachsen

Trotz antisemitischer Vorfälle: Leipziger Friedenspreis geht an »Handala«-Gruppierung

Die »pro-palästinensische Gruppierung« steht immer wieder wegen antisemitischer Vorfälle in der Kritik

 27.03.2024

Analyse

Allein

Der Jude unter den Staaten: Wie Israel von der Weltgemeinschaft verleumdet und im Stich gelassen wird

von Maria Ossowski  27.03.2024

Manchester Airport

Überlebende des 7. Oktober bei Einreise beschimpft

»Wir müssen sicherstellen, dass Sie hier nicht dasselbe tun wie in Gaza«, sagt ein Grenzbeamter zu den Israelis

von Imanuel Marcus  27.03.2024 Aktualisiert

USA/Israel

US-Verteidigungsminister empfängt israelischen Amtskollegen

»Wir den Kampf in Gaza nicht beenden, bevor wir alle Verschleppten nach Hause bringen«, erklärt Joav Gallant

 27.03.2024

Bundesregierung

Charlotte Knobloch fordert Rauswurf von Kulturstaatsministerin Roth

IKG-Chefin und Schoa-Überlebende: »Was passiert ist, war einfach zu viel«

 26.03.2024

Berlin

Nach Angriff auf jüdischen Studenten: Hochschulgesetz wird verschärft

Möglichkeit der Exmatrikulation wurde zuvor von Rot-Grün-Rot abgeschafft

 26.03.2024