Gesellschaft

Schwedisches Modell

Antiisraelische Demonstration im südschwedischen Malmö Foto: dpa

Auf Gelassenheit legen wir in Schweden großen Wert. Gemütlich (mysigt) soll es sein, harmonisch – und möglichst konfliktfrei. Doch für uns Juden sieht die Wirklichkeit anders aus. Durch das Musterland der Demokratie weht ein zunehmend rauer Wind. Antisemitismus und Israelfeindschaft nehmen immer mehr zu in dem Land, das sich stets als Supermacht von Toleranz und Wohlfahrt verstanden hat und in dem liberale und humanistische Traditionen großgeschrieben werden.

Stichwort Judenhass: Nicht erst durch die aktuelle Zuwanderung nimmt das Phänomen besorgniserregende Ausmaße an. Dabei gerät vor allem Malmö, Schwedens drittgrößte Stadt, immer wieder in die Schlagzeilen: sei es durch Anschläge auf jüdische Einrichtungen, Dosen mit der Aufschrift »Zyklon B« vor dem jüdischen Friedhof oder Drohungen, jüdische Jugendliche »halal zu schlachten«.

Kippaverzicht Bereits Ende 2013 belegte eine Antisemitismusstudie der EU-Agentur für Grundrechte, dass sechs von zehn schwedischen Juden Antisemitismus im eigenen Land für ein großes Problem halten. Sie würden sich ungern öffentlich als Juden zu erkennen geben. Insofern können wir, wenn Frankreichs Juden nach der jüngsten Messerattacke in Marseille über einen Kippaverzicht debattieren, nur müde abwinken. Diskussionen wie diese kennen wir nur allzu gut. Die Verunsicherung unter Schwedens Juden ist groß.

Schon frühere Studien, wie etwa die des Historikers Henrik Bachner von 2006, kamen zu dem Schluss, dass Schweden mit Migrationshintergrund deutlich stärker antisemitisch eingestellt sind und dass die Sympathien der schwedischen Gesellschaft im Nahostkonflikt klar verteilt sind – zu Ungunsten Israels.

Erste Amtshandlung der rot-grünen Minderheitsregierung aus Sozialdemokraten und Grünen war es 2014, Palästina als Staat anzuerkennen – ohne sich vorher mit dem Parlament abzustimmen. Dass Außenministerin Margot Wallström einmal zur unerwünschten Person in Israel erklärt werden würde, hätte sich – zumindest in der jüdischen Gemeinschaft des Landes – niemand vorstellen können.

Israel Im November sprach sie nach den Terroranschlägen von Paris von »Situationen wie der im Nahen Osten, wo nicht zuletzt die Palästinenser sehen, dass es keine Zukunft für sie gibt, und daraus den Schluss ziehen: ›Wir müssen entweder die verzweifelte Lage akzeptieren oder zu Gewalt greifen.‹« Während Wallström dafür heftige Kritik erntete, legte sie gleich noch nach: Israels Selbstverteidigung gegen palästinensische Messerangriffe und Bombardements seien »außergerichtliche Hinrichtungen«.

Auch in Brüssel macht sie ihre Position deutlich. Bei der jüngsten Nahost-Resolution der EU-Außenministerkonferenz – die anderen EU-Mitgliedsstaaten als »zu israelfeindlich« und daher überarbeitungswürdig erschien – soll Schweden neben Irland treibende Kraft gewesen sein. Im Mutterland der Sozialdemokratie hat das durchaus Tradition. Schon der legendäre Ministerpräsident Olof Palme bezog eindeutig Stellung für die Palästinenser und machte Antizionismus zum Leitmotiv schwedischer Nahostpolitik.

Klare Linie hier, Wackelkurs in der Einwanderungspolitik dort. Mit einer Willkommenskultur wollte sich die Regierung gegenüber der SD, den rechtspopulistischen und fremdenfeindlichen Schwedendemokraten, profilieren. Wer Flüchtlingszahlen, Kosten und demokratische Werte bei den Asylsuchenden infrage stellte, wurde bislang verdächtigt, Rassist zu sein und der SD in die Hände zu spielen.

Doch die einladende Linie der Regierung bestrafte sich selbst: Gewinner in Umfragen wurden die Schwedendemokraten. Das war einer der Gründe, weshalb die Regierung eine radikale Kehrtwende vollzog – vom einst großzügigsten EU-Land hin zum Staat mit zeitweise geschlossenen Grenzen. Seit dem 4. Januar muss sich jeder, der Schwedens Grenzen überquert, mit gültigen Papieren ausweisen. Ein anderer Grund für die Kehrtwende war der Aufschrei der Kommunen, man könne eine so große Zunahme von Asylsuchenden nicht bewältigen, die Kapazitäten an Lehrern, Dolmetschern, Gesundheitsversorgung und Wohnraum würden nicht ausreichen.

Konflikte Schon jetzt sind viele Einwanderer und ihre Familien kaum integriert. Viele leben in segregierten Vororten. Acht Jahre dauert es im Durchschnitt, bis ein Einwanderer in der Gesellschaft ankommt. Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass viele Einwanderer Konflikte und radikale politische Ansichten mitbringen und erheblichen Nachholbedarf in demokratischen Werten wie Toleranz und Gleichberechtigung haben. Sexuelle Übergriffe wie in der Silvesternacht in Köln gibt es in Stockholm seit Jahren – bis jetzt wurden sie aufgrund der Selbstzensur der Polizei gedeckelt.

Denn dass auch Einwanderer intolerant, übergriffig und antisemitisch sein können, kollidiert mit dem Selbstbild als menschenfreundliche Einwanderergesellschaft.
Schweden muss lernen, sich den Konflikten und Herausforderungen zu stellen, die die starke Einwanderung aus muslimischen Ländern mit sich bringt.

Das darf aber nicht auf Kosten anderer, zahlenmäßig kleinerer Minderheiten gehen. So lange das so ist, geht es uns wohl wie vielen Juden in anderen Ländern Europas: Es wird immer ungemütlicher – in Schweden ganz besonders.

Die Autorin ist Generalsekretärin der »Svensk Israel-Information«.

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