Yitzhak Rabin

Zwanzig Jahre danach

Mit Kerzen wird an Rabin erinnert – die Israelis spüren den Verlust noch heute. Foto: Flash 90

Am Abend des 4. November 1995 war der Filmemacher Amos Gitai in Haifa. Er musste sich um seine Mutter kümmern, die einen Unfall gehabt hatte. Als sie ihm gerade erzählte, dass seine Großmutter Esther mit Rosa Cohen, der Mutter von Yitzhak Rabin, befreundet gewesen war, hörten die beiden die schreckliche Nachricht: Soeben war der Premierminister auf dem Platz der Könige Israels in Tel Aviv erschossen worden.

In den Jahren zuvor war Gitai mit Rabin unter anderem nach Washington und Kairo geflogen, hatte zahlreiche Gespräche mit dem Premier geführt, den er bewunderte und nach dessen Wahlsieg 1992 er nach zehn Jahren in Paris wieder nach Israel zurückgekehrt war. Gitai drehte nämlich einen Dokumentarfilm über den Friedensprozess – und setzte, wie so viele Israelis, seine Hoffnungen in den ehemaligen General, der die Osloer Verträge mit seinem Widersacher Jassir Arafat unterzeichnet hatte.

Verräter Doch nicht alle Israelis liebten Rabin dafür – im Gegenteil. Vielen nationalreligiös gesinnten Bürgern galt er als Verräter, der jüdisches Land dem Feind überlässt. Auf Transparenten bei Demonstrationen wurde der Regierungschef mit SS-Uniform dargestellt. An jenem Abend im November eskalierte die Situation: Im Anschluss an eine Friedenskundgebung gab der Student Yigal Amir mehrere Schüsse auf Yitzhak Rabin ab. Der Premier starb kurz darauf im nahe gelegenen Ichilov-Krankenhaus. Der Schütze war geständig, brüstete sich sogar noch mit seiner Tat und betonte, er würde dasselbe jederzeit wieder tun.

Heute, 20 Jahre später, gedenkt die politische Elite des Landes des einstigen Hoffnungsträgers gleich mit einer ganzen Reihe von Veranstaltungen. Nach dem jüdischen Kalender fiel der Todestag Rabins bereits auf den vergangenen Sonntag. Bei einer Zeremonie in der Residenz von Staatspräsident Reuven Rivlin in Jerusalem schwor dieser im Beisein der Angehörigen Rabins, er werde den verurteilten Mörder Yigal Amir niemals begnadigen.

Auch Ex-Präsident Schimon Peres, Rabins Parteifreund und langjähriger Weggefährte, war anwesend und erinnerte daran, dass Yitzhak Rabin keineswegs eine naive Friedenstaube war: »Er wusste, dass ein Feind ein Feind ist und dass wir kompromisslos gegen mörderischen Terror kämpfen müssen.« Peres fügte hinzu: »Aber auch Frieden wird, trotz aller Schwierigkeiten, mit Feinden geschlossen.«

Differenzen Die offizielle Gedenkfeier der Knesset fand am Montag statt, beginnend mit einer Zeremonie an Rabins Grabstätte auf dem Herzl-Berg. Dort sprach auch Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, seinerzeit Rabins politischer Gegner, dem viele damals vorwarfen, ein Klima der Hetze geschaffen zu haben und damit indirekt für den Mord an Rabin mitverantwortlich zu sein. »Natürlich hatten wir unsere Differenzen«, gab Netanjahu zu. »Er wollte im Interesse des Friedens handeln, aber auch er war gezwungen, sich mit dem Terror gegen das jüdische Volk auseinanderzusetzen.« Damit spielte der Premier auf die aktuelle Terrorwelle an, die das Land in Schrecken versetzt.

Dalia Rabin-Pelossof, die Tochter des Ermordeten, warnte auf dem Herzl-Berg, dass heute eine ähnliche Katastrophe drohen könnte wie vor 20 Jahren. Denn die heutige Atmosphäre des Hasses »wird genährt von der selben ungehemmten Hetze, die damals den Eindruck entstehen ließ, es sei erlaubt, einen Premierminister zu ermorden«, sagte Rabin-Pelossof.

Am Samstag schließlich fand eine öffentliche Kundgebung auf dem früheren Platz der Könige Israels, dem heutigen Rabin-Platz, in Tel Aviv statt. Der ehemalige US-Präsident Bill Clinton soll, der Yitzhak Rabin als seinen persönlichen Freund betrachtete, sprach vor Zehntausenden. »Rabin hätte einen Friedensschluss erreichen können«, sagte Clinton in einem Interview mit dem israelischen Fernsehen, »weil die Palästinenser ihm vertraut haben. Interessanterweise gerade deshalb, weil er so tough war.« Mehrere kleinere und größere Gedenkveranstaltungen fanden zudem in verschiedenen Teilen des Landes statt.

Nachwirkungen Und am 5. November, einen Tag nach dem weltlichen Todestag Yitzhak Rabins, hat in Israel Amos Gitais neuer Film Premiere. Rabin – The Last Day ist der erste Spielfilm, der sich mit der Ermordung des Premierministers befasst. Der Film erzählt sowohl die Vorgeschichte des Attentats als auch dessen Nachwirkungen. Dabei stützt er sich auf die originalen Prozessakten sowie die Unterlagen der Shamgar-Kommission, die, unter dem Vorsitz des ehemaligen Präsidenten des Obersten Gerichts, Meir Shamgar, herausfinden sollte, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass Yitzhak Rabin trotz aller Sicherheitsvorkehrungen im entscheidenden Moment nicht geschützt war. Wann der Film in Deutschland anläuft, ist noch nicht bekannt.

Für den Regisseur schließt sich mit Rabin – The Last Day ein Kreis zu seiner früheren dokumentarischen Arbeit. »Rabin hat eine politische Alternative zu der Realität, in der wir heute leben, skizziert. Er hat verstanden, dass man, um Frieden zu machen, anerkennen muss, dass es den ›Anderen‹ gibt, dass man Frieden nicht unilateral schließen kann«, sagt Amos Gitai im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen.

»Es ist wie in jeder anderen Beziehung: Der ›Andere‹ ist da und muss berücksichtigt werden. Das ist der radikale Unterschied zwischen dem Projekt von Rabin und Peres und der heutigen Situation, in der es nur noch um Machtkämpfe geht. Rabins Versuch, Frieden zu schaffen, so unvollkommen er gewesen sein mag, war ehrlich gemeint. Daher habe ich diesen Film nicht nur als Regisseur gemacht, sondern auch als israelischer Bürger. Der Film gibt der Erinnerung eine Stimme, die gehört werden sollte.«

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