Psychologie

Im Rausch der Töne

Bitte nicht nachmachen: Party im Cabrio Foto: Thinkstock

Geschwindigkeit kann tödlich sein. Doch nicht immer ist nur das, was der Tacho gerade anzeigt, eine Gefahr für Leib und Leben. Auch Takt und Tempo der im Auto konsumierten Musik können dafür sorgen, dass eine Straße abhängig von der individuellen Lebensbilanz zum sprichwörtlichen »Highway to Hell« oder aber »Stairway to Heaven« wird. Oder die Tatsache, dass man gerade einem seiner Lieblingssongs lauscht. Zu diesem Schluss jedenfalls kommen israelische Wissenschaftler in einer aktuellen Studie.

»Das eigene Auto kann der einzige Ort auf der Welt sein, in dem man zu Tode kommt, nur weil gerade die falsche Musik läuft«, bringt es der Musikpsychologe Warren Brodsky auf den Punkt. Dabei weiß jeder, der einen Wagen lenkt, dass die Benutzung des Mobiltelefons während des Fahrens eine gefährliche Ablenkung darstellt und man es besser sein lassen sollte. Aber wenn Radio, CD- oder MP3-Player angeschaltet werden, macht sich wohl kaum jemand Gedanken über mögliche Gefahren.

Gefühle »Sowohl Anfänger als auch der alte Hase am Steuer sollten sich darüber im Klaren sein, wie Musikgenuss ihr Fahrverhalten beeinflussen kann«, so der Direktor des musikwissenschaftlichen Labors an der Ben-Gurion-Universität in Beer Sheva. Denn der Wissenschaftler fand heraus, dass gerade das, was man am liebsten hört, das größte Gefahrenpotenzial in sich birgt. Manche singen dann frenetisch mit, wippen mit ihrem Körper auf dem Fahrersitz oder bringen es sogar fertig, Luftgitarre am Steuer zu spielen. Dass all dies der Verkehrssicherheit reichlich abträglich ist, muss nicht unbedingt betont werden.

»Die Musikrichtung spielt dabei eigentlich kaum eine Rolle«, erklärt Brodsky, der übrigens selbst ein begeisterter Bassgitarrenspieler ist und während seines Militärdienstes in der bekannten Nachal-Musiktruppe der israelischen Streitkräfte mitwirkte. »Ob man Beethoven, Count Basie oder Justin Bieber hört, ist ziemlich irrelevant«, so der Experte. »Im Idealfall sollten Autofahrer genau die Musik konsumieren, mit der sie am wenigsten Erinnerungen verbinden und die gar keine Emotionen auslöst, die das Konzentrationsvermögen dann beeinträchtigen könnte.« Selbst das harmlose Trommeln mit den Fingern im Takt auf dem Lenkrad stellt eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit dar.

Für ihre Studie haben der Experte und sein Team 85 Fahranfänger im Alter von 17 und 18 Jahren rekrutiert. Ungefähr die Hälfte von ihnen waren junge Männer, im Durchschnitt besaßen alle seit sieben Monaten ihren Führerschein. Während mehrerer Fahrten von 40 Minuten Dauer im Beisein eines Fahrlehrers sollten sie mal gar keine Musik hören, mal ihre eigenen Playlists mit allen Lieblingssongs und mal eine eigens zusammengestellte Kompilation der Wissenschaftler.

Nach jeder Runde im Auto füllten die Probanden einen Fragebogen aus, der Rückschlüsse auf ihre Fahrfähigkeiten zuließ und den Fun-Faktor beim jeweiligen Musikgenuss untersuchte. Auch sollten sie ihre Stimmungen beschreiben. Ihre Begleiter, die sie dabei beobachteten, fassten ebenfalls alles zusammen.

Aggressiv Das Ergebnis förderte eines deutlich zutage: Ohne Ausnahme machten alle Teilnehmer zahlreiche Fehler, sobald sie ihre musikalischen Favoriten im Ohr hatten – vor allem wurde ihr Fahrstil aggressiver, viele neigten zu Geschwindigkeitsüberschreitungen oder riskanten Überholmanövern. 27-mal erhielten sie von den Fahrlehrern Ermahnungen, in 17 Fällen musste dieser sogar eingreifen, um Schlimmeres zu verhindern.

»Gerade jüngere Fahrer sind eher anfällig für Ablenkungen und weniger effizient beim Verarbeiten visueller Informationen, die für einen sicheren Fahrstil entscheidend sein können«, lautet das Resümee von Zack Slor, einem von Brodskys wissenschaftlichen Mitarbeitern. »Das gilt insbesondere in Situationen, in denen sie mit etwas konfrontiert werden, das nicht unmittelbar mit dem Fahren zu tun hat – wie zum Beispiel das Musikhören.«

Bereits 2002 hatte Brodsky die erste Studie über den Zusammenhang zwischen Geschwindigkeitsüberschreitungen und flotter Musik veröffentlicht. »Seitdem lässt mich das Thema ›Musik im Auto‹ nicht mehr los und hat meine gesamte Karriere bestimmt«, gesteht er.

Chevrolet Auch die Industrie wurde auf den israelischen Wissenschaftler aufmerksam. General Motors heuerte ihn an, um Musik zu finden, die das Image ihrer beiden Marken Chevrolet und Cadillac stärken sollte. Und seit 2010 arbeitet die israelische Verkehrssicherheitsbehörde eng mit Brodsky zusammen und finanzierte die Studie über das Risiko des Musikhörens beim Fahren gerade für junge Menschen.

Mit Micha Kizner, einem alten Kumpel aus Militärzeiten, produzierte Brodsky eigens eine CD mit instrumentaler Musik, die einem konzentrierteren und damit sicheren Fahren förderlich sein soll. »Auch diese haben wir in unserer Versuchsserie benutzt und waren von dem Ergebnis überrascht«, berichtet Brodsky. »Die Fehler im Fahrverhalten reduzierten sich sofort um beeindruckende 20 Prozent.« Ob dabei Instrumentalversionen von »Highway to Hell« oder »Stairway to Heaven« zu hören waren, verriet er leider nicht.

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