Leipzig

Kumsitz in der Keilstraße

Gut zwei Stunden hatten Brigitte und Herbert Suske bereits auf der Straße ausgeharrt, bevor sie endlich Einlass fanden in die Synagoge in der Leipziger Keilstraße. Der Grund: Vorher fand hier noch der tägliche Gottesdienst statt. »Doch das Warten war es uns wert«, versicherten die beiden Katholiken gut gelaunt. Sie hätten schon immer mal das jüdische Gotteshaus besuchen wollen – und nun bot es sich geradezu an. Denn Leipzigs Israelitische Religionsgemeinde beteiligte sich an der »Nacht der offenen Gotteshäuser«, die anlässlich der 1000-jährigen Ersterwähnung der Messestadt Anfang Juni stattfand.

Brigitte Suske ist Fan der Sendung »Schabbat Schalom« auf MDR Figaro – besonders gern hört sie jüdische Musik. Umso erfreuter waren sie und ihr Mann, diesmal sogar selbst mitsingen zu können. »Das hat uns sehr ergriffen«, versicherten sie anschließend.

Kippot Doch zunächst gab es eine weitere kleine Verzögerung, ehe Rabbiner Zsolt Balla um Viertel nach acht die rund 60 Gäste offiziell begrüßen konnte. Denn einige der interessierten Männer hatten weder Mütze noch Hut dabei. Balla wusste sich und ihnen zu helfen: Er holte eine Packung Zellstofftücher hervor, versah einige davon mit Knoten an den vier Ecken – und schon waren recht unorthodoxe Kippot fertig.

Danach konnte die Veranstaltung beginnen. Sofort verstand es der gebürtige Ungar, die Besucher in seinen Bann zu ziehen. Zunächst berichtete der Rabbiner kurz über sich selbst: wie er vor 13 Jahren nach Deutschland kam, hier die Berliner Jeschiwa Beis Zion und das Rabbinerseminar besuchte und schließlich von seiner Frau in jene Stadt »gelockt« wurde, in der die Zuwanderin aus einer ukrainisch-jüdischen Familie den größten Teil ihrer Kindheit verbracht hatte.

Im September 2010 übernahm Zsolt Balla dann als einer der beiden ersten orthodoxen Rabbiner, die in der Bundesrepublik ausgebildet worden waren, in Leipzig die Israelitische Religionsgemeinde.

Geschichte Für Balla war dies das Stichwort, um den Gästen den Unterschied zwischen israelisch und israelitisch zu erläutern. Außerdem ging der Rabbiner auf die wechselvolle Geschichte der Synagoge im Herzen Leipzigs ein, die sich – von der Straße aus nicht zu erkennen – über zwei Etagen eines Bürgerhauses erstreckt. Als einzige war sie 1938 nicht zerstört worden und konnte am 28. Oktober 1945 neu eingeweiht werden.

Und durch den Zuzug von Juden aus der früheren Sowjetunion wuchs die Gemeinde, die 1988 gerade noch 36 Mitglieder zählte, inzwischen wieder auf fast 1300. Damit ist sie nicht nur die größte der drei jüdischen Gemeinden in Sachsen, sondern auch die einzige im Südteil Ostdeutschlands, die täglich Gottesdienste abhält.

Voller Interesse sogen die Besucher alles auf, was der Rabbiner über das Judentum und die Synagoge erzählte. Balla ging auf die Geschichte des Tempelberges in Jerusalem ein, sprach über Bundeslade und Torarollen, erläuterte die Einrichtung des Gotteshauses mit dem Schulchan (Tisch), dem Schrein, der Menora und dem rot leuchtenden ewigen Licht.

Fragen Die Besucher hatten viele Fragen: Welche Bedeutung haben die markanten Farben Rot und Blau bei der Ausgestaltung der Synagoge? »Keine religiöse Bedeutung«, versicherte der Rabbiner. Es seien eben jene Farben, die sich in der Antike aus natürlichen Rohstoffen herstellen ließen. Auch der Form des Davidsterns komme keine tiefere Bedeutung zu: »Er ist irgendwann mal zum Symbol geworden.«

Schließlich die Einladung an das Publikum: »Kommen Sie, wenn Sie sich für unsere Religion interessieren, am besten Freitagabend zum Gottesdienst zu uns.« Denn das sei »ein guter Auftakt« gerade für weniger Kundige, um in die jüdische Liturgie einzutauchen: »Wir singen dann mehr, und nicht nur auf Hebräisch …«.

Gitarre So wie auch bei einem anschließenden »Kumsitz« (allerdings ohne Lagerfeuer), zu dem der Rabbiner eine Gitarre hervorholte und damit eine weitere Seite seines Talents offenbarte. Das erste Lied sang er noch allein: »Hine ma tow uma naim«. Später stimmten immer mehr Besucher ein. Vor allem Frauen wie Brigitte Suske gaben sich mutig, zumal jeder einen Liederzettel mit den Texten erhalten hatte: »Adon olam«. Dann das schon etwas schnellere »Elecha haschem ekra«. Und »Ani maamin …«.

Insgesamt zwölf Lieder hatte der Rabbiner vorbereitet, darunter auch ein Lied fast ohne Worte, das Felix Carlebach geschrieben hat, ein Neffe des großen Ephraim Carlebach, der 1912 in Leipzig die private Höhere Israelitische Schule gegründet hatte. Heute trägt eine Stiftung in der Stadt seinen Namen.

Noch immer kamen neue Gäste, die sich auf ihre Tour durch Leipzigs Gotteshäuser auch die Synagoge vorgemerkt hatten, in das Lehr- und Bethaus. Zsolt Balla unterbrach dann stets kurz seinen Gesang und ermunterte sie: »Kommen Sie rein, nehmen Sie Platz!« Die Atmosphäre in der Synagoge beeindruckte alle Gäste. Gemeindemitglieder waren nicht dabei – sie waren nach dem täglichen Gottesdienst nach Hause gegangen. »Außer mir war kein Jude anwesend«, so Zsolt Balla hinterher.

Gebet Zum Schluss um 22 Uhr wurde in allen Gotteshäusern, die sich an der Aktion beteiligten, für das Wohl der Stadt Leipzig gebetet. Auch in der Synagoge in der Keilstraße. Der Text beruhte auf dem »Gebet für das Vaterland«, der auch im Siddur Sefat Emet abgedruckt ist. »Das war ein ganz wichtiger Teil der Veranstaltung«, sagte Zsolt Balla.

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