Finale

Der Rest der Welt

Ihr müsstet doch aus der Geschichte gelernt haben!» Waren auch Sie schon x-mal in der misslichen Lage, unseren nichtjüdischen Mitbürgern erklären zu müssen, dass wir Juden nicht die moralischeren Zeitgenossen sind – oder das ultimative Rezept für Frieden im Nahen Osten haben müssten, nur weil unsere Vorfahren von den Nazis verfolgt wurden? Keine dankbare Aufgabe, ich bin schon oft daran gescheitert. Doch die Legende, Juden seien die besseren Menschen, hält sich leider hartnäckig.

Deshalb freue ich mich außerordentlich über die ungebetene Schützenhilfe von Rainer Wagner, Opfer des SED-Regimes und evangelikaler Prediger. Wobei ich natürlich betonen möchte, dass ich an dieser Stelle keine historisch unangebrachten Vergleiche zwischen Opfern des Nationalsozialismus und Opfern des Stalinismus ziehen will. Dennoch finde ich: Wir Juden sind Rainer Wagner wirklich zu Dank verpflichtet.

Haft Bis Ende April war der CDU-Funktionär, der in den 70er-Jahren wegen versuchter «Republikflucht» in der DDR im Knast saß, Vorsitzender der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft. Dann trat der heute 63-Jährige zurück – und begründete das mit Gesundheitsschäden, die er sich in der politischen Haft zugezogen habe.

Dass der Aufenthalt in einem DDR-Gefängnis der Gesundheit abträglich sein kann, sollte niemand bestreiten. Doch es scheint, als ob der Rücktritt des Christdemokraten noch andere Gründe gehabt hätte: Vor einigen Monaten tauchte ein Video auf YouTube auf, das Wagners Auftritt vor einer ungarischen Kirchengemeinde im Jahr 2006 dokumentierte.

«Es deutet einiges darauf hin, dass die israelische Regierung mit dem Antichristen ein Bündnis eingeht», behauptete Rainer Wagner in dieser Rede. Sein Thema: die «teuflische Dreieinigkeit» des «Satans, des Antichristen und des falschen Propheten». Wen Wagner unter anderem mit dem «Antichristen» in Verbindung brachte, wird am Ende der Aufnahme klar: Der Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande erregte sich über die Gay-Pride-Parade in Jerusalem.

Prediger Ferner wetterte Wagner gegen «eine primitive Form der Kultur» in den USA und führte aus: «In Amerika essen sie Hamburger und solchen Fraß!» Nun gibt es Leute, die Wagner auffordern, das Bundesverdienstkreuz zurückzugeben. Ich dagegen finde: Der Mann soll seinen Orden behalten. Zwar missfällt mir, dass der Prediger behauptete, das jüdische Volk sei auserwählt – aber auch blind, solange es Jesus nicht habe.

Doch wenn ich mich wieder mal dafür rechtfertigen muss, dass irgendein ultraorthodoxer Rabbi, dessen Vorfahren von den Kosaken verfolgt wurden, Schwule verdammt oder Cheeseburger zu Teufelswerk erklärt, kann ich triumphierend auf Rainer Wagner verweisen: Juden sind nicht die besseren Menschen! Und DDR-Opfer auch nicht!

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  28.03.2024

Sachbuch

Persönliches Manifest

Michel Friedman richtet sich mit seinem neuen Buch »Judenhass« bewusst an die allgemeine Öffentlichkeit, er appelliert aber auch an den innerjüdischen Zusammenhalt

von Eugen El  28.03.2024

USA

Daniel Kahneman ist tot

Der Wissenschaftler Daniel Kahneman kombinierte Erkenntnisse aus Psychologie und Ökonomie

 28.03.2024

Bildung

Kinderbuch gegen Antisemitismus für Bremer und Berliner Schulen

»Das Mädchen aus Harrys Straße« ist erstmals 1978 im Kinderbuchverlag Berlin (DDR) erschienen

 27.03.2024

Bundesregierung

Charlotte Knobloch fordert Rauswurf von Kulturstaatsministerin Roth

IKG-Chefin und Schoa-Überlebende: »Was passiert ist, war einfach zu viel«

 26.03.2024

Kultur

Über die Strahlkraft von Europa

Doku-Essay über die Theater-Tour von Autor Bernard-Henri Levy

von Arne Koltermann  26.03.2024

Projekt

Kafka auf Friesisch

Schüler der »Eilun Feer Skuul« in Wyk auf Föhr haben ihre friesische Version des Romans »Der Verschollene« vorgestellt

 25.03.2024

Berlin

Hetty Berg als Direktorin des Jüdischen Museums bestätigt

Ihr sei es gelungen, die Institution »als Leuchtturm für jüdisches Leben« weiterzuentwickeln, heißt es

 25.03.2024

Judenhass

Wie der Historikerstreit 2.0 die Schoa relativiert

Stephan Grigat: Der Angriff auf die »Singularität von Auschwitz« kommt nun von links

 25.03.2024