Leipzig

Gottesdienst nach Noten

Acht Männer beugen sich über Notenblätter. Sie sitzen an einem langen schwarzen Tisch, an dessen Kopfende ein weißes Klavier steht. Daran sitzt Joseph Malovany und singt – mit einer Stimme, die es gewohnt ist, weit größere Räume zu füllen. Doch sie sind nur im Konferenzraum des Ariowitsch-Hauses, dem Leipziger Zentrum für jüdische Kultur: Auf ein Kommando stimmen die Männer mit ein. Allein Rabbiner Zsolt Balla singt nicht mit, er sitzt abseits am anderen Ende des langen Tisches und tippt auf seinem Notebook herum.

Die acht Männer, die hier unter Malovanys strenger Aufsicht singen, sind Teilnehmer eines Lehrgangs für Vorbeter und Kantoren am Institut für Traditionelle Jüdische Liturgie. Ihr Lehrer ist kein Unbekannter: Malovany ist Kantor der New Yorker orthodoxen Synagoge an der Fifth Avenue und Professor für liturgische Musik an der Belz School of Jewish Music der Yeshiva University, ebenfalls in New York.

»Wir lehren hier, den Gottesdienst auf schöne Art und Weise zu halten. Schlicht, attraktiv und traditionell gemäß aller jüdischen Motive für jedes Gebet«, sagt er, und man merkt, dass es ihm ein echtes Anliegen ist, die Tradition der Kantoren in Deutschland wiederzubeleben.

Konzept Malovany hat den Kurs gemeinsam mit dem Leipziger Rabbiner Zsolt Balla konzipiert. Auf die Frage, was ein Vorbeter alles wissen muss, sagt Balla trocken: »Alles«, und lacht. Deshalb hat der Lehrgang neben dem musikalischen auch einen theoretischen Teil. Die Teilnehmer setzen sich mit dem Gebetbuch, seinen Kommentaren sowie mit liturgischen Fragen auseinander und bekommen einen Überblick über jüdische Geschichte sowie Unterricht in Hebräisch.

Sogar Einzeltutorien via Skype gibt es. Den Hauptteil machen aber die Blockseminare mit Kantor Malovany aus, die zweimal im Jahr stattfinden und jeweils vier Tage dauern. Damit die Zeit dazwischen nicht ungenutzt verstreicht, bekommen die Teilnehmer Mitschnitte vom Gesang ihres Lehrers und die Noten für sämtliche Gebete zum Üben. Derzeit sind 17 Teilnehmer für den Lehrgang eingeschrieben, doch heute sind viele wegen beruflicher Verpflichtungen verhindert.

Feinschliff »Für mich ist das eine Art Feilen an den Details«, sagt Alexander Adler, Informatikstudent aus Berlin und mit 25 der Jüngste der Truppe. »Weil viele der Dinge, die hier gelehrt werden, in einer jüdischen Gemeinde mit einem funktionierenden Gottesdienst schon bekannt sind oder zumindest bekannt sein sollten.« Das Niveau des Lehrgangs ist durchaus gehoben: Von den Teilnehmern fungieren einige bereits heute als Vorbeter in ihren Gemeinden, manche nur aushilfsweise. Zwei der Anwesenden sind sogar Profis und verdienen als Kantoren ihr Geld.

Juri Zemski ist einer von ihnen. »Es gibt immer etwas zu lernen«, sagt er auf die Frage, warum er das macht. »Was Malovany hier zeigt, ist musterhaft. Das ist Synagogalmusik pur.« Mit Amateuren im selben Kurs zu sitzen, macht ihm überhaupt nichts aus – im Gegenteil. »Auch diejenigen, die weniger Möglichkeiten haben, können hier in diesem Seminar etwas erlernen und versuchen, es richtig zu tun. Das ist das, was uns hier Freude macht«, sagt der in Odessa geborene Sänger.

Korrekturen »Es richtig tun« ist eines der Leitmotive dieses Seminars. Hier muss jeder Ton, jede Betonung sitzen, da ist der New Yorker Kantor streng. Und er hört jeden Fehler. Bei einigen, so sagt er, hätten sich über die Jahre der Praxis Unkorrektheiten eingeschlichen, die man nun wieder ausbügeln muss. Thematisch steigert sich der Lehrgang von den allwöchentlichen Schabbatgottesdiensten zu den Hohen Feiertagen.

Am Ende des Seminars sollen die Teilnehmer das gesamte liturgische Jahr beherrschen und dieses Wissen in ihre Gemeinden tragen. Mehr noch: »Ich möchte, dass sie das auch den Kindern beibringen«, sagt Malovany, »sodass die nächste Generation mit diesem Wissen aufwächst und die Tradition nicht verliert.« Tradition – das heißt für Malovany aber auch, dass weder Frauen im Chor Platz finden noch Instrumente in der Synagoge eingesetzt werden.

Doch bei aller Freude an der Musik steht bei diesem Lehrgang die Liturgie im Mittelpunkt. »Die Musik und der Text existieren seit Anfang des Judentums gemeinsam«, sagt Rabbiner Balla. »Doch die Musik ist die Unterstützung für den Text, nicht andersherum. Aber ohne die Musik können wir den Text nicht verstehen. Die beiden können ohne einander nicht existieren.«

Stimmung Beim Mittagessen ist die Stimmung ausgelassen, es wird lautstark über Politik diskutiert, das Lachen geschulter Stimmen schallt durch das Haus. Auch während des Unterrichts ist der Ton – bei aller inhaltlichen Strenge Malovanys – locker und kollegial. Es wird über Übersetzungen diskutiert, immer wieder fließen Anekdoten aus dem Leben des Lehrers oder eines seiner Schüler in den Unterricht mit ein.

Die Männer haben sichtlich Spaß an dem, was sie da tun. Und wieder scheint der Raum viel zu klein für diese Stimmen, dank der offenen Fenster haben auch die Bewohner der Häuser gegenüber etwas davon. Nach einer besonders gelungenen Passage ruft auch Malovany voller Begeisterung: »Das ist jüdische Musik!«

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