Porträt der Woche

»Inspiration aus dem Leben«

»Themen wie Grenzen, Respekt, Tradition und Verstehen faszinieren mich – mit Menschen im Mittelpunkt«: Alona Harpaz (43) Foto: Stephan Pramme

Ich liebe Farben. Wie ich sie auf der Leinwand, dem Material anordnen kann, fasziniert mich immer wieder aufs Neue. Meine andere große Liebe sind Menschen: Sie geben mir die Inspiration für meine Kunst – genauso wie das Leben selbst.

Dabei wusste ich schon sehr früh, dass ich Künstlerin werden will. Mit 14 Jahren fing ich an zu fotografieren, Zweifel daran hatte ich seitdem keine mehr. Eigentlich fand die Kunst mich, nicht ich habe sie mir ausgesucht. Ich habe mich zwar nach meinem Abschluss auch als Schauspielerin beworben und wurde sogar an der Schauspielschule angenommen, aber mit der Zusage kam bei mir große Angst auf: Würde ich noch genug Zeit für meine Kunst haben? Diese Angst war ein entscheidendes Moment für mich.

Ich habe dann in Jerusalem und New York Fotografie studiert. Jetzt male ich. Für mich ist alles Kunst, und Kunst ist alles, egal, mit welchem Medium ich arbeite. In gewissem Sinne kehre ich gerade auch zurück zur Fotografie, denn derzeit beschäftige ich mich vor allem mit Videokunst. Gerade komme ich aus Tokio, wo ich eine Einzelshow mit zehn Bildern hatte.

Salz Derzeit arbeite ich an einer Trilogie namens »Salt«, also »Salz«. Im ersten Teil geht es um das Salz des Körpers: Ich zeige eine israelische Volkstanzgruppe. Die Tänze sehen mechanisch und gar nicht nach Freude aus, obwohl die Tänzer die Bewegungen genießen. Einer von ihnen ist mein Vater: Er ist sehr patriotisch, stammt aus einem Kibbuz und war früher als Schütze bei der Armee. Dementsprechend wuchs ich damit auf, Israel nicht infrage zu stellen.

Mein Vater ist der rote Faden: Im zweiten Video sieht man ihn im Kreis seiner alten Militärkameraden, wie sie sich in Gesprächen an die gemeinsamen Einsätze erinnern, etwa im Sechstagekrieg. Bei den Aufnahmen war ich überrascht, wie offen mein Vater sprach: So hörte ich Dinge, die er mir vorher nie aus seiner Vergangenheit erzählt hatte. Dieses Video wird »Salz der Erde« heißen, ein Synonym für patriotische Israelis. Als Kind dachte ich, das sei ein israelischer Ausdruck – bis ich erfuhr, dass es tatsächlich ein Zitat Jesu aus dem Neuen Testament ist.

Entsprechend werde ich im dritten Teil der Trilogie eine nigerianische Pilgergruppe begleiten, die auf den Spuren Jesu durch Israel reist – mit meinem Vater als Tourguide! Das Medium Video eröffnet mir dabei ganz neue Möglichkeiten, mit denen ich in »Salt« auf die Traditionen Israels schaue.

Europa Die Familie meines Vaters wurde im Holocaust ermordet. Dass ich Israel verließ und ausgerechnet nach Deutschland ging, war schwer für meinen Vater. 1999 hatte ich meinen späteren Ehemann Clemens während einer Reise im indischen Goa kennengelernt, ein Jahr später zog ich zu ihm nach Berlin, wo er Medizin studierte. Mein Vater wollte uns nie hier besuchen, obwohl er meinen Mann liebt. Erst als mein Sohn Jonathan eingeschult wurde, kam er, um seinen Enkel zu begleiten. Auch bei meiner Tochter Alma wird er das tun.

Für meine Mutter war es zwar auch schwierig, allerdings eher, weil eine ihrer Töchter wegzog. Sie selbst wanderte mit 24 Jahren von Rumänien nach Israel aus, sodass ich gerne sage, dass ich »nach Europa zurückkam«. Ich habe außerdem noch eine fünf Jahre jüngere Schwester, die mit ihren beiden Kindern in Israel lebt.

Als mein Vater das erste »Salt«-Video sah, war er übrigens enttäuscht. Aber das ist eben die Basis unserer Beziehung: Wir sind enttäuscht voneinander und lieben uns doch. Als durchgehenden Protagonisten meiner Trilogie betrachte ich meinen Vater in meiner Arbeit mit dem Blick einer Forscherin: Sein Patriotismus, aber auch die Themen Grenzen, Respekt, Tradition und Verstehen faszinieren mich. Im Grunde geht es mir mit »Salt« um den Menschen.

workshops Der Mensch steht ebenso im Mittelpunkt meiner Gruppenarbeit: In Berlin leite ich eine offene Gruppe namens »Mastering the Effortless«, außerdem gebe ich Workshops und Einzel-Readings. Alle zwei Wochen treffen wir uns, dazu gibt es eine äußerst rege E-Mail-Liste, in der täglich etwas geschrieben wird.

In meinen Gruppen will ich Menschen dazu bewegen, an sich selbst zu glauben und herauszufinden, warum sie sind, wie sie sind. Fragen wie diese kommen für mich aus der Kunst. Insofern sehe ich die Gruppenarbeit ebenso als Teil meiner Kunst.

Dass ich überhaupt damit angefangen habe, ist eigentlich ein Zufall: Als ich 2000 zu Clemens nach Berlin zog, wohnten wir über einem Aschram. Dort gab es einen wunderschönen Raum mit einem Computer, an dem ich viel Zeit verbrachte, während Clemens in der Uni war – obwohl ich damals überhaupt nicht spirituell war. Aber ich fühlte mich dort so willkommen. In dem Aschram gab es Yoga- und Reiki-Klassen, und vor etwa elf Jahren gründete ich dann meine eigene Gruppe.

Gemeinschaft Einerseits gibt mir die Kunst also Inspiration und eine Plattform für die Gruppenarbeit. Auf der anderen Seite brauche ich die Spiritualität aber auch für meine Kunst. Ich komme gerade von der Biennale in Venedig, und ohne Meditation wäre mein Kopf durchgedreht. Denn es gibt immer Menschen, die erfolgreich, schön und glücklich sind. Sich für sie ohne Neid zu freuen, ist die große Herausforderung. Ich glaube, dass jeder einen Ort in sich hat, der einem genau das ermöglicht. Aber nur wenige können ihn nutzen, sodass wir trainieren müssen, andere Menschen zu lieben. Diese Balance finde ich sehr wichtig.

Findet man jenes Gleichgewicht, dann hat das für mich etwas Religiöses. Viel mehr als das, was gemeinhin als Religion verstanden wird. Mein Judentum sehe ich zum Beispiel eher als Kultur, so bin ich auch aufgewachsen. Koscher essen oder den Schabbat einzuhalten, macht für mich keinen Sinn. Ich bin zwar neugierig, aber mich machen alle Religionen neugierig, zumal sie auch alle wunderschöne Ideen enthalten, die Idee der Gemeinschaft etwa oder der Fürsorge.

Meine Gemeinschaft besteht aus vielen Menschen. Ich bin keine Ideologin, mache vieles intuitiv. Die Fragen kommen dann von selbst. Das sehe ich auch bei der Erziehung meiner beiden Kinder. Mein Mann und ich haben uns darauf geeinigt, dass wir sowohl die christlichen als auch die jüdischen Feiertage einhalten, denn ich will ihnen die Traditionen dennoch nahebringen. Außerdem spreche ich mit ihnen Hebräisch, mit Clemens Englisch.

Verbundenheit Meine Familie und vor allem mein Mann sind die wichtigsten Einflüsse für meine Arbeit. Daneben ziehe ich meine Inspiration aus dem Leben selbst. Für mich ist alles miteinander verbunden: 2008 habe ich mit anderen Künstlerinnen den Verein »Infinite Earth« gegründet. Das war nach einem für mich äußerst erfolgreichen Jahr, als ich mich fragte, wie ich etwas zurückgeben kann. Wir verkaufen unsere Werke, um mit dem Erlös soziale Projekte zu unterstützen, etwa eine Handweberei in Indien oder ein Waisenhaus in Namibia.

Meine Workshop-Organisatorin in Mannheim hat eines unserer Projekte in Indien besucht und sich bereit erklärt, für uns Spenden zu überbringen. Sie selbst hat auch Geld dazugegeben. Das meine ich, wenn ich sage: Alles ist miteinander verbunden. Um Verbindung geht es auch bei »Circle 1«, einer Galerie, die ich vor knapp zwei Jahren mit zwei Partnerinnen in Kreuzberg gegründet habe. Hier zeigen wir israelische und internationale Künstler, die wir miteinander vernetzen wollen.

Im Sommer werden wir uns ein paar Wochen Auszeit in Israel nehmen. Ich könnte mir sogar vorstellen, wieder für längere Zeit dort zu leben, aber eigentlich muss das nicht sein. Das Leben in Deutschland ist sehr komfortabel, die Menschen sind nett, ruhig und höflich. Außerdem mag ich mein Leben hier wirklich. Eigentlich bräuchte ich gar keinen Urlaub.

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