Berlin

Fern der Heimat

Früher organisierte er Grillfeste und Clubpartys zum Jom Haazmaut: Der israelische Architekt Ilai Arad will diese Tradition wiederbeleben. Foto: Stephan Pramme

Ein gemeinsames Picknick oder Barbecue mit Freunden und der Familie, öffentliche Konzerte, eine offizielle Zeremonie und Feuerwerke – Jom Haazmaut ist in Israel ein fröhlicher Feiertag, der das ganze Land bestimmt. Doch wie begehen Israelis in Berlin den Unabhängigkeitstag der Heimat?

Während es in der Vergangenheit durchaus Versuche gab, größere Events in der Stadt auf die Beine zu stellen, scheint in diesem Jahr kaum etwas organisiert zu werden. »Ich habe das Gefühl, dass die meisten Israelis in Berlin gar nicht feiern«, schätzt Tal Alon, Gründerin und Chefredakteurin des hebräischsprachigen Magazins Spitz.

Ähnlich äußert sich auch Ilan Weiss. Der Versicherungsmakler gründete vor einigen Jahren einen Stammtisch für Israelis in Berlin und erstellte eine Website sowie eine Facebook-Gruppe für die Zugezogenen. »Da es in Berlin keine organisierte israelische Gemeinde gibt, kann eine Feier zu Jom Haazmaut nur eine private Initiative sein von ein paar Leuten, die vielleicht bei Facebook zu einem Treffen aufrufen.« Da sei allerdings diesmal im Vorfeld wenig auf die Beine gestellt worden.

Privat Tatsächlich begehen viele Israelis den Unabhängigkeitstag in Berlin eher im kleinen privaten Kreis. »Wir werden später mit anderen Israelis und unseren deutschen Kunden mit Musik und Essen draußen feiern«, sagt etwa Doron Shnitzer, der einen Reparaturservice für Apple-Computer betreibt. Seit zwei Jahren lebt Shnitzer in Berlin, im ersten Jahr schaffte er es nicht, den Unabhängigkeitstag zu feiern.

»Zu der Zeit war einfach alles noch zu frisch«, erinnert er sich. In Israel habe er 15 Jahre lang als DJ gearbeitet und dort auch Partys zur Unabhängigkeit veranstaltet, die nach dem Grillen mit Freunden stattfanden. »Dieses Jahr startet der Versuch, das mitzunehmen«, erklärt der 39-Jährige. »Aber mit neuen Leuten und auf Deutsch und Englisch.«

Der Tag habe eine große Bedeutung. »Ohne die Unabhängigkeit würden wir nicht existieren.« Er sei ein Anlass, ohne Streitereien zu feiern – und führe schon dazu, etwas Heimweh zu bekommen. Da passt es, dass die von Shnitzer organisierte Feier ein Grillen beinhaltet, denn, so der Computerspezialist: »Wir Israelis grillen alles.«

Auch Ilai Arad hat im vergangenen Jahr gegrillt – was er in diesem Jahr macht, weiß er noch nicht. »Vermutlich wird es etwas sehr Spontanes, wie es nur Israelis können«, lacht er. »Bei gutem Wetter treffen wir uns wahrscheinlich draußen, einer bringt Kohle mit, der nächste Bier und wieder ein anderer das Fleisch.« Arad arbeitet als Architekt in Berlin. 2008 und 2009 organisierte er eigene Clubpartys zum Unabhängigkeitstag in der Stadt – eine Veranstaltungsreihe, die er gerne wiederaufleben lassen würde. Doch wegen seines Jobs bleibt dafür wenig Zeit.

Traditionen Dabei erinnert sich Arad gerne an die Unabhängigkeitsfeiern seiner Jugend. Als Kind lief er an diesem Tag mit Freunden durch die ganze Stadt, und als Jugendlicher ging er abends in die Disko.

»Es ist ein Tag, den man traditionell mit Freunden und der Familie verbringt«, sagt er. In Israel würden dazu viele Open-Air-Veranstaltungen stattfinden, zudem gebe es Kultfilme, die jedes Jahr im Fernsehen laufen. »Das gleiche Phänomen, das es in Deutschland mit ›Dinner for One‹ zu Silvester gibt«, erklärt Arad.

Besonders beeindruckend sei der Wechsel von Jom Hasikaron zu Jom Haazmaut: Der Gedenktag für die gefallenen israelischen Soldaten und die Opfer von Terrorismus findet immer einen Tag vor dem Unabhängigkeitstag statt. »Innerhalb kürzester Zeit wechselt man von Trauer zu Fröhlichkeit«, so der 38-Jährige.

Hier in Berlin löst der Feiertag bei ihm Heimweh aus. »Israel hat so viele Probleme und Konflikte. Da ist Jom Haazmaut der einzige Tag, an dem wir voller Freude und Glück darüber sind, was aufgebaut wurde«, sagt Arad. Patriotismus sei in Israel immer ein kompliziertes Gefühl. Doch das sei das Schöne am Unabhängigkeitstag. »Da ist man frei von solchen Gedanken.«

Community Der Architekt lebt seit dem Jahr 2000 in Berlin. Seitdem beobachtet er, wie sich die israelische Community in den vergangenen Jahren verändert hat. »Als die Gruppe der Israelis in Berlin noch sehr klein war, konnte man innerhalb einer halben Stunde eine Bar organisieren und spontan eine wilde Party feiern«, erinnert er sich.

Mittlerweile sei die Gemeinschaft stark angewachsen und habe sich dementsprechend verändert. »Verschiedene Schichten«, nennt er das. Diejenigen, die schon länger in der Stadt lebten, würden wahrscheinlich anders feiern als jene, die erst vor Kurzem nach Berlin gezogen sind, vermutet Arad. Seinem Eindruck nach hätten gerade die jungen Neu-Berliner erst einmal mehr Interesse am hippen Szeneleben der deutschen Hauptstadt als an israelbezogenen Veranstaltungen.

Doch auch Israelis, die schon länger in der Stadt leben, begehen den Unabhängigkeitstag anders als früher zu Hause – so wie die Autorin und Stadtführerin Nirit Ben-Joseph, die vor 27 Jahren nach Berlin kam. Zu Jom Haazmaut wird sie beim Pankower Lesepodium am Antonplatz aus ihrer Erzählung »Kakteen« lesen – das sei allerdings ein Zufall, betont Ben-Joseph, und keine etwaige Anspielung auf Sabra-Kakteen, das Synonym für in Israel Geborene schlechthin.

Freude Für die Künstlerin Ruthe Zuntz, die vor 23 Jahren nach Berlin zog, bedeutet Jom Haazmaut vor allem, an ihren Vater zu denken. Als Kind sei dieser von Deutschland nach Israel eingewandert und habe mitgeholfen, den israelischen Staat aufzubauen.

»Er hat mir immer erzählt, wie er mit Freunden im Kibbuz die Nachricht von der Unabhängigkeit im Radio hörte – sofort hätten alle angefangen, auf der Straße zu tanzen«, so Zuntz.

Nun erinnere sie sich jedes Jahr am Jom Haazmaut an die Freude, mit der ihr Vater von jenem Tag berichtete. Meist sei sie selbst an diesem Tag in Israel, in diesem Jahr aber werde sie in Berlin feiern. »Vielleicht mit einem Lagerfeuer, ich weiß es noch nicht genau. Klar ist aber, dass wir etwas Besonderes machen werden.«

Dialog

Digital mitdenken

Schalom Aleikum widmete sich unter dem Motto »Elefant im Raum« einem wichtigen Thema

von Stefan Laurin  28.03.2024

Jugendzentren

Gemeinsam stark

Der Gastgeber Hannover ist hoch motiviert – auch Kinder aus kleineren Gemeinden reisen zur Jewrovision

von Christine Schmitt  28.03.2024

Jewrovision

»Seid ihr selbst auf der Bühne«

Jurymitglied Mateo Jasik über Vorbereitung, gelungene Auftritte und vor allem: Spaß

von Christine Schmitt  28.03.2024

Literaturhandlung

Ein Kapitel geht zu Ende

Vor 33 Jahren wurde die Literaturhandlung Berlin gegründet, um jüdisches Leben abzubilden – nun schließt sie

von Christine Schmitt  28.03.2024

Antonia Yamin

»Die eigene Meinung bilden«

Die Reporterin wird Leiterin von Taglit Germany und will mehr jungen Juden Reisen nach Israel ermöglichen. Ein Gespräch

von Mascha Malburg  28.03.2024

Hannover

Tipps von Jewrovision-Juror Mike Singer

Der 24-jährige Rapper und Sänger wurde selbst in einer Castingshow für Kinder bekannt.

 26.03.2024

Party

Wenn Dinos Hamantaschen essen

Die Jüdische Gemeinde Chabad Lubawitsch lud Geflüchtete und Familien zur großen Purimfeier in ein Hotel am Potsdamer Platz

von Katrin Richter  25.03.2024

Antisemitismus

»Limitiertes Verständnis«

Friederike Lorenz-Sinai und Marina Chernivsky über ihre Arbeit mit deutschen Hochschulen

von Martin Brandt  24.03.2024

Porträt der Woche

Die Kreative

Mona Yahia stammt aus dem Irak, spricht viele Sprachen, ist Künstlerin und Autorin

von Christine Schmitt  24.03.2024