Überlieferung

Pflanze der Reinheit

Warum die Kinder Israels das Blut des Opfertiers mit dem Ysop an ihre Türen strichen

von Chajm Guski  30.03.2015 18:09 Uhr

Leitet seinen Namen vom hebräischen Esow ab: Ysop (Hyssopus officinalis) Foto: Thinkstock

Warum die Kinder Israels das Blut des Opfertiers mit dem Ysop an ihre Türen strichen

von Chajm Guski  30.03.2015 18:09 Uhr

Pessach ist das Fest des jüdischen Hauses. Man feiert den Seder möglichst mit der eigenen Familie, befreit die Wohnung von allem Chametz (Gesäuertem) und nimmt nur noch Ungesäuertes zu sich.

Vor allem die Toralesung in der Synagoge am ersten Pessachtag (2. Buch Mose 12, 21–51) rückt das jüdische Haus in ein besonderes Licht. Der Abschnitt des Pessachmorgens beginnt mit Vorschriften für die Vorbereitungen des Pessachopfers. Mosche hat diese Vorschriften von G’tt erhalten und gibt sie jetzt an die Ältesten Israels weiter. Allerdings fügt er ein Detail hinzu.

So heißt es: »Tut euch um und holt euch Schafe für eure Familien und schlachtet das Pessachopfer. Und nehmt ein Bündel Esow und taucht es in das Blut, das in der Schale ist, und streicht es an die Oberschwelle und an die beiden Pfosten. Von euch geht aber niemand aus der Tür seines Hauses bis an den Morgen. Und wenn der Ewige vorüberzieht, Ägypten zu schlagen, und das Blut an der Oberschwelle und an den beiden Pfosten sieht, so zieht Er an der Tür vorbei und wird den Verderber nicht kommen lassen in eure Häuser, um zu schlagen« (12, 21–23).

Einige Verse zuvor wurde Mosche gesagt, was für ein Opfertier es sein muss: ein fehlerloses Schaf. Es darf nicht gekocht, sondern muss über dem Feuer gebraten werden. Danach soll es die Familie verzehren, bis nichts mehr übrig ist. Seit der Zerstörung des Zweiten Tempels gibt es allerdings kein Pessachopfer mehr.

Esow In der Übermittlung an die Ältesten ist davon die Rede, dass die Kinder Israels das Blut mit »Esow« an die Türpfosten bringen sollen: Das Wort wird meist mit »Ysop« übersetzt, es meint aber wohl wilden Majoran. So übersetzt es jedenfalls Aron Sandler im Jüdischen Lexikon (Berlin 1927).

Viele Kommentatoren beschreiben Esow als »bodennahe Pflanze«. Sie begegnet uns in der Tora auch bei späteren Opfern und wirft deshalb ein interessantes Licht auf unsere Stelle.

So lesen wir im 3. Buch Mose 14,4: »Dann lasse er für den zu Reinigenden zwei gesunde, reine Vögel, Zedernholz, rote Wolle und Esow bringen.« Es geht hier um das Ritual, mit dem man sich von »Mezora« heilen lässt. Hierbei handelt es sich, so Raschi (1040–1105), um eine Hautveränderung, die entsteht, wenn man einen Mitmenschen verbal oder körperlich verletzt hat.

An späterer Stelle wird davon berichtet, wie Esow zum Einsatz kommt, wenn sich die Kohanim (Priester) nach der Berührung von Toten reinigen (4. Buch Mose 19,6): »Der Priester nehme Zedernholz und Esow und rote Wolle und werfe es auf die brennende Kuh.« In den folgenden Versen lesen wir: »Für einen solchen Unreinen nehme man Asche von der verbrannten Kuh und tue fließend Wasser darauf in einem Gefäß. Ein reiner Mann nehme Esow, tauche ihn in das Wasser und besprenge damit das Zelt und alle Geräte und Personen, die dort waren, und den, der eines Toten Knochen, einen Erschlagenen, einen Gestorbenen oder ein Grab berührt hat« (17–18).

Wir sehen, dass die Pflanze Esow für Reinigung steht. Auch David sagt: »Reinige mich mit Esow, sodass ich rein werde« (Tehillim 51,7). Hier aber, im Toraabschnitt, den wir am ersten Pessachtag lesen, taucht man den Esow in Blut. Vielleicht denkt man in diesem Zusammenhang auch an die Geschichte von Josef zurück. Seine Kleidung wurde in Blut getaucht, um seinem Vater zu zeigen, dass er tot sei. Das war der Beginn einer Geschichte, die das Volk Israel nach Ägypten brachte. Blut bildet also eine Klammer um die Geschichten. Hier markiert das Blut eine Grenze: Die Israeliten bleiben von der Unreinheit des Todes vor der Tür verschont.

Parallelen Esow ist aber nicht das einzige Element von Opferhandlungen, das uns später, im 3. Buch Mose, wiederbegegnet. Der Kohen bringt das Opfer auf einem Altar dar, an dessen Ecken er das Blut des Tieres verteilt. In den sogenannten Opfergesetzen wird gefordert, es solle ein männliches Schaf ohne Fehler sein (3. Buch Mose 1,10). Diese Forderung finden wir ebenfalls im Abschnitt zum Pessachopfer (2. Buch Mose 12,5). Sowohl in den Opfergesetzen als auch in den Geboten zum Pessachopfer lesen wir zudem, dass vom geopferten Fleisch nichts übrig bleiben darf. Zum Opfer gehört, wie bereits erwähnt, dass man es über einem Feuer braten soll (3. Buch Mose 1, 8–9 und 4,11). Genau das trifft auch auf das Schaf am ersten Pessachabend zu.

Ebenfalls in diesem Zusammenhang steht die Mazza. Sie soll in der ersten Pessachnacht gegessen werden – aber nicht, weil keine Zeit zur Säuerung des Teigs bestünde. Diese Begründung bezieht sich auf die später mitgenommenen Mazzot (12,39). Vielmehr sind sie tatsächlich auch Teil der Dankopfer in der Tora (3. Buch Mose 7,12).

Das Bestreichen der Türpfosten mit Blut erinnert daran, dass der Kohen das Blut des Opfertiers an die Ecken des Altars sprenkelte. Der Talmud sagt (Pessachim 96a), es habe in Ägypten drei Altäre gegeben: »Einen auf dem Türbalken und zwei an den Türpfosten.« Das entspricht genau der Vorschrift aus dem Beginn des Toraabschnitts (2. Buch Mose 12,7).

Altar Das Pessachopfer mit seinen Bestandteilen machte aus jedem Haus der Kinder Israels einen Altar. Nicht nur ein spezieller Bereich wurde besonders ausgezeichnet, sondern das gesamte Haus hatte den Status eines Altars, und die Bewohner des Hauses wurden in diesem Augenblick gewissermaßen zu Kohanim. Sie waren befugt, das Pessachopfer darzubringen und zu verzehren. Dieser Status schützte sie. Daran erinnern wir an Pessach.

Der Autor ist Mitglied der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen.

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