Musik

Der doppelte Avishai Cohen

Bitte nicht verwechseln: Avishai Cohen am Bass ... Foto: imago

»Ich bin ein Rhythmusfreak«: Avishai Cohen, Bassist

Im arabischen Städtchen Abu Gosh, nur ein paar Kilometer entfernt vom Zentrum Jerusalems, steht die prächtige alte Kreuzfahrer-Benedikt-Kirche. »Das ist ein toller Ort für klassische Konzerte. Dort findet zweimal jährlich das Abu-Gosh-Festival statt«, erläutert Avishai Cohen.

Der Großmeister der israelischen Jazzszene und Fan des kleinen Festivals klassischer Vokalmusik ist regelmäßig als Zuhörer dabei und hat hier und da auch selbst schon mal in die Tasten oder in die Saiten gegriffen. Der klassischen Musik und auch seinem Vater zuliebe. Der ist der Intendant dieses mehrtägigen Festivals, das seit 1992 in zwei Kirchen von Abu Gosh stattfindet.

PIANO Die eine, die Kreuzfahrer-Benedikt-Kirche, liegt mitten im Ort, die andere, Kirjat Je’arim, thront auf einem Hügel darüber. Abu Gosh ist ein Ort der Verständigung und der Vielfalt. In einem solchen Klima ist auch Avishai Cohen aufgewachsen. Schoeva heißt sein Geburtsort, ein Moschaw vor den Toren von Jerusalem. Zu Hause stand ein Klavier, auf dem Cohens Mutter Mozart und Beethoven spielte, während sein Vater ihm zeitgenössische Musik nahebrachte. Der neugierige Sprössling erfand früh eigene kleine Melodien, markierte mit Muscheln aus dem Meer die Tasten und hatte Spaß daran, sich und das Piano auszuprobieren.

Am Klavier komponiert Cohen auch heute noch fast alle seiner Songs. »Das Piano ist ein forderndes Instrument«, sagte der hagere, sprunghafte und zugleich scheue Musiker. Bekannt geworden ist er allerdings als Jazz-Bassist. Wobei der 44-Jährige sich auf kein Genre festlegen lässt: Mit kleinem Klassik-Orchester ist er genauso unterwegs wie mit seinem Jazz-Trio oder auch mit einem Latin-Jazz-Ensemble.

Diese Freiheit schätzt Cohen: Machen, was andere nicht machen, Grenzen einreißen, ausdehnen und umsetzen, was er sich in den Kopf gesetzt hat. Früh gründete er sein eigenes Label, Razdaz Recordz. Warum? »Weil niemand mit mir ein Album am Piano einspielen wollte. So kam Lyla, eines meiner besten Alben, erst zustande«, erinnert er sich an die Situation 2002.

new york Damals gehörte Cohen noch zur Band des Pianisten Chick Corea und lebte in New York. Dorthin war er zehn Jahre zuvor gegangen, um die Welt des Jazz zu entdecken und zu erobern. Im Big Apple musste sich der junge Mann aus Jerusalem mit der Elite der Jazzbassisten messen. Das sorgte für einen kreativen Schub – und für Erfahrungen als Möbelpacker und Bauarbeiter. Denn nur mit der Musik ließ sich in den ersten Jahren schlicht nicht genug für den Lebensunterhalt verdienen.

Doch dann hatte Cohen sein Spiel entwickelt, gemeinsam mit Schlagzeuger Jeff Ballard seinen »tighten« Sound kreiert, der ihm die Türen in New York öffnete. Erst bei dem Latin-Jazz-Pianisten Danilo Pérez, dann bei Chick Corea, wo Cohen das Handwerk des Bandmusikers perfektionierte. Bis zum Jahr 2002. Da wurde es ihm bei Chick Corea und seinem Label zu eng. Zu eng, weil Cohen damals mit Rock, mit Latin, Elektro sowie mit Bass, Piano und Gitarre experimentierte und obendrein seine eigene Stimme entdeckt hatte. Dieser kreativen Explosion, die Cohens New Yorker Schlussjahre prägte, folgte die Rückkehr nach Israel.

In Israel begann sich in Sachen Jazz damals einiges zu tun, auch dank der Rückkehr von Musikern wie Cohen oder der Pianistin Anat Fort aus Amerika. »Da hat sich eine authentische israelische Jazzszene entwickelt. Und ich bin dabei von einem der Jungen zu einem der Alten geworden«, erinnert sich der Pianist und Bassist. Heute nimmt er junge Talente unter seine Fittiche, präsentiert sie, sorgt für Kontakte, wie Mitte Januar in Tel Aviv beim »Best Young Israeli Jazz«-Event. Die Sessions mit dem Nachwuchs machen Cohen unbändigen Spaß, denn deren Gier nach Ausdruck, nach Rhythmus, nach Entwicklung treibt auch ihn persönlich an. Einen »Rhythmusfreak« nennt er sich selbst.

mentor Für die jungen Jazzer ist Israel ein hartes Pflaster. Staatliche Förderung gibt es für sie nicht. Cohen findet das gut: »Sie müssen zeigen, was sie wollen. Das sowie unsere Geschichte und Gegenwart sind dafür verantwortlich, dass unser Jazz sehr reif ist.« Hinzu komme Israels Multikulturalität. »Wir haben diese russischen, polnischen Einflüsse, aber auch die deutschen und osteuropäischen Wurzeln. Daneben gibt es die spanischen, türkischen, griechischen Elemente und die Welt der jüdischen Gypsy-Musik. Unser Jazz ist deshalb eine reisende Musik.«

Das hört man auch Cohens neuem Album From Darkness an, das im Februar herauskommen wird. Er hat es gemeinsam mit dem Schlagzeuger Daniel Dor und dem Pianisten Nitai Hershkovits eingespielt. Die Musik ist vielfältig, wie man das von Cohen kennt – ein Charakteristikum des israelischen Jazz nach seinem Geschmack.

Das Album klingt auch, als stünden die drei Musiker live vor einem. Tatsächlich wurde From Darkness quasi live im Studio eingespielt und ist das Ergebnis unzähliger Konzerte. Rund die Hälfte des Jahres ist das Trio gemeinsam unterwegs. Avishai Cohens Kompositionen reifen bei den Auftritten und Sessions von allein. So klingt From Darkness wie ein Dialog zwischen den Instrumenten und den Kulturen. Für beides hat Avishai Cohen ein Händchen. Beim Abu-Gosh-Festival seines Vaters im Frühjahr könnte er deshalb auch dieses Jahr wieder am Piano sitzen und seiner Liebe zur Klassik frönen.

»From Darkness erscheint am 13. Februar bei Razdaz Recordz.

»falafel-jazz« nein danke: Avishai Cohen, Trompeter

Den Trompeter Avishai Cohen darf man nicht mit seinem Namensvetter am Bass verwechseln. Das hat sich auch in der internationalen Jazzszene herumgesprochen. Nicht nur, weil sie unterschiedliche Instrumente spielen. Der 1978 geborene Trompeter Avishai Cohen ist, anders als der acht Jahre ältere Bassist, nicht so sehr von israelischer Musik, sondern mehr vom schwarzafrikanischem Jazz beeinflusst und deshalb alles andere als ein klassischer Repräsentant jener Goldenen Generation junger Israelis, die die Klänge ihrer Heimat in das traditionelle Jazzrepertoire integrieren. Die Musik dieses Cohens spiegelt vielmehr die Klänge seiner Wahlheimat New York wider.

In New York wurden auch Cohens rund ein Dutzend CDs produziert, publiziert, darunter auch seine neueste, Dark Nights von 2014. Alle Alben sind beim Label Anzic Records erschienen, das von Avishais Schwester, der Klarinettistin Anat Cohen betrieben wird. Mit ihr und seinem älteren Bruder Yuval Cohen, einem Saxofonisten, spielt Avishai Cohen in der Formation »3 Cohens«. Die letzte CD der drei Bläser, Tightrope, erschien 2013.

familientrio Anat und Yuval waren die Ersten aus der Familie, die nach New York gingen, Avishai folgte ihnen, nachdem er zunächst am Berklee College of Music in Boston studiert hatte. Im Big Apple konnte er sich nicht nur auf die familiären Bande verlassen, sondern auch auf andere alte Seilschaften.

Zum Beispiel auf den Bassisten Omer Avital, der bei fast allen Alben Avishai Cohens mitspielt. »Omer und mein Bruder hatten schon als Kids eine gemeinsame Band. Als ich nach New York zog, fing ich an, öfter mit ihm zusammenzuspielen. Wir lebten beide im East Village. Irgendwann hat mich Omer dann gefragt, ob ich nicht in seiner Band spielen wolle, im Quintett beziehungsweise im Sextett, das vor allem im Jazzclub Smalls auftrat. 2001 oder 2002 haben wir dann eine gemeinsame Band gegründet: ›Third World Love‹.«

Das jüngste der inzwischen vier Alben dieser Gruppe stammt aus dem Jahr 2012. Darauf spielt sich die Band durch ein Arsenal ganz unterschiedlicher Stile. Darunter sind Klänge, die man durchaus dem sogenannten »Falafel-Jazz« zuordnen könnte, jenen wohlklingenden Jazz-Tunes aus Israel, die sich auch hierzulande zunehmender Beliebtheit erfreuen.

Doch gegen dieses Etikett wehrt sich Avishai Cohen: »Manche Leute fragen mich – ohne genau hinzuhören – nach den Einflüssen israelischer Musik auf meine Songs. Ich sage dann immer: Du musst schon genauer aufpassen! Dann wirst du merken, dass sie durchaus da sind, weil ich ja schließlich aus Israel komme, aber das ist nicht wichtiger als alles andere. Israelische Musik steht nicht stärker im Vordergrund als Led Zeppelin, Frank Zappa oder die Beatles. Für mich bestand noch nie die Notwendigkeit zu sagen: Ich bin aus Israel! Ich verheimliche das zwar nicht, aber trotzdem kann ich meine Musik nicht als israelische Musik verkaufen.«

hard bop
Bevor Avishai Cohen nach New York ging, hatte er mit einer Vielzahl von Musikern aus seiner Heimat gespielt, darunter die israelische Pop-Ikone Shalom Hanoch und die Pop-Sängerin Keren Ann, die auch auf seinem neuen Album singt. Doch im Kern ist die Musik des Trompeters im Hard Bop verwurzelt. Die Jazz-Ikonen Miles Davis und Don Cherry sind seine eigentlichen Helden. Im Zusammenspiel Cohens mit dem schwarzen Saxofonisten Mark Turner auf dem Ende 2014 bei ECM Records erschienenen Album Lathe of Heaven ist das hörbar. Das Album wird von der Kritik schon jetzt als Meilenstein gefeiert.

Avishai Cohen lebt, wie sein Namensvetter auch, mittlerweile wieder in Tel Aviv, doch er ist quasi pausenlos auf Tour. Am 24. Februar kommt er mit seinem Trio in Berlin vorbei, wo er im traditionsreichen Jazzclub A-Trane in Charlottenburg auftritt.

Discografie und weitere Tourtermine:
www.avishaicohenmusic.com

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