Glossar

Dina de Malchuta Dina

Dina-de-Malchuta-Dina: In Deutschland gilt auch für Juden das Grundgesetz. Foto: imago

Das talmudische Prinzip Dina-de-Malchuta-Dina (»das Gesetz des Landes ist Gesetz«) schreibt vor, dass Juden grundsätzlich verpflichtet sind, die Gesetze des Landes, in dem sie leben, zu respektieren und zu befolgen. Das bedeutet auch, dass diese in bestimmten Fällen sogar der Halacha, dem jüdischen Gesetz, vorzuziehen sind.

Formuliert wurde dieses Prinzip im 3. Jahrhundert d.Z. von dem Amora (Talmudgelehrten) Mar Schmuel aus Babylon, der an vier verschiedenen Stellen im Talmud (Nedarim 28a; Gittin 10b; Baba Kama 113a; Baba Batra 54b/55a) zitiert wird. Historischer Hintergrund ist die Eroberung Babylons durch die persischen Sassaniden. Deren König Schapur I. gab den ethnischen Minderheiten in Babylon kulturelle und religiöse Autonomie, darunter auch den Juden.

Schmuel, einer der Vorsitzenden der jüdischen Gemeinschaft, erkannte die Chance und warb für einen Ausgleich mit den neuen Herrschern zum beiderseitigen Vorteil. Mar Schmuel bestätigte mit dem Prinzip Dina-de-Malchuta-Dina die Perser als säkulare Herrscher, deren zivilisierte Gesetze die Juden befolgen und deren Steuerforderungen sie zahlen sollten. Im Gegenzug konnten die Juden ihre Religion frei leben und waren rechtlich gleichgestellt, das heißt, sie mussten keine Angst vor Sondergesetzen haben.

Grundlage Dieses Prinzip entwickelte sich später zu einem Grundsatzmodell für die vielen Juden, die unter nichtjüdischen Regierungen in der Diaspora lebten und leben – jederzeit und überall auf der Welt. Es wurde damit zur Grundlage bei Konflikten zwischen dem lokalen Recht und der Halacha, dem jüdischen Recht. Speziell im Mittelalter interpretierten die Poskim (jüdische Rechtsgelehrte) daher dieses Prinzip sehr unterschiedlich – je nach eigener Erfahrung und Lebensrealität.

Im Talmud wird keine direkte Quelle oder Rechtsgrundlage für Dina-de-Malchuta-Dina genannt. In der Spätantike wurde teilweise auf die Propheten verwiesen: entweder auf Nehemia (9,27), der ausdrückt, dass es G’ttes Wille ist, dass Juden die Gesetze nichtjüdischer Herrscher befolgen müssen, und Jeremia (29,7), der den babylonischen Exilanten nahelegt, sich den dortigen Gepflogenheiten anzupassen und die lokalen Regeln zu befolgen.

Justiz Im Mittelalter gab es verschiedene rechtliche Begründungen für Dina-de-Malchuta-Dina. In seinem Kommentar zu Gittin 9b verweist Raschi darauf, dass die Noachidischen Gebote Nichtjuden verpflichten, faire Justizsysteme zu schaffen. Daher können auch Juden in bestimmten Fällen unter ein solches Justizsystem fallen und müssen sich entsprechend daran halten. Eine andere Meinung (Raschbam zu Baba Batra 54b) ist, dass jedes Land seine eigenen Gesetze machen kann und Juden – die dort freiwillig leben – diese Gesetze automatisch annehmen.

Die Tosafisten (Tschuwot Ba’alei HaTosafot 12) hingegen meinen, dass Rabbiner grundsätzlich eine gewisse Gesetzesautonomie in monetären Angelegenheiten haben, die es ihnen erlaubt, nach dem lokalen Finanzrecht Takkanot (halachische Rechtsverordnungen) zu erlassen, selbst wenn sie der Tora widersprechen.

Rabbiner Josef Karo gestaltete die Formulierung von Dina-de-Malchuta-Dina in seinem Gesetzeskodex Schulchan Aruch (Choschen Mischpat 369, 8-10) bewusst flexibel, was verschiedene Auslegungen möglich machte und damit allen Lehrmeinungen gerecht wurde. Das führte dazu, dass Mar Schmuels Prinzip immer wieder neuen Gesetzen und Situationen angepasst werden konnte.

Geltungsbereich Gleichzeitig dehnte sich sein Geltungsbereich immer weiter aus vom Steuer- und Finanzrecht auf praktisch die ganze bürgerliche Rechtsprechung. Es gilt aber explizit nicht, wenn Zivilrecht in direktem Widerspruch zu religiösen Verpflichtungen oder Ritualen steht. In diesem Fall hat das Religiöse klaren Vorrang (zum Beispiel Schach zu Schulchan Aruch Jore Dea 165,8). Weiterhin ungelöst ist die Frage, ob Dina-de-Malchuta-Dina auch für die Regierung eines jüdischen Staates (also Israel) gilt oder nicht.