9. November

Ein Schmerz, der nicht vergehen will

Brunnenstraße 33, Berlin-Mitte, Hinterhof: Hier in der ehemaligen Rosenthaler Vorstadt befand sich einst die Privatsynagoge Beth Zion. 1910 gegründet, in der Pogromnacht vor 75 Jahren verwüstet, war dies lange Zeit ein fast vergessener Ort der jüdischen Geschichte der Stadt. Seit einigen Jahren ist es – mit der Yeshivas Beis Zion, dem Rabbinerseminar zu Berlin und dem Kindergarten Lauder Nitzan – wieder ein Ort jüdischen Lebens und Lernens.

An diesem Sonntagabend war die alte, neue Beth Zion Synagoge der Ort für das Gedenken an den 75. Jahrestag der Reichspogromnacht der Europäischen Rabbinerkonferenz und des Zentralrats der Juden in Deutschland. Ein Gedenken in Anwesenheit zahlreicher Ehrengäste, darunter Israels Oberrabbiner David Lau und der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald S. Lauder.

Zerstörung Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt erinnerte dabei an die Schrecken und Gräuel des 9. November 1938, an dem Synagogen vom deutschen Mob niedergebrannt, Juden verhaftet und misshandelt wurden. »Das war der Anfang vom Ende«, sagte Goldschmidt, der auch an die spirituelle Zerstörung erinnerte, bei der die jahrtausendealte Gelehrsamkeit und deutsch-jüdische Geschichte in Flammen aufgingen. »Erinnern wir uns an das, was wir verloren haben«, forderte der Oberrabbiner.

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, nannte die Novemberpogrome vor 75 Jahren »eine Detonation von Sadismus, von Vandalismus, von Mordlust und Menschenfeindlichkeit«. Der Ausbruch von finsterer Feindseligkeit habe die Gefühle der Juden in diesem Land zerschmettert. »Hier hatte der reine Judenhass die Macht übernommen«, erinnerte Graumann. Es gebe keine Kollektivschuld, unterstrich er, aber eine millionenfache individuelle Schuld. Nichts gebe es daran zu beschönigen.

Schmerz »Die Bilder brennender Synagogen tragen wir seither immer in unseren Herzen«, so Graumann. Es sei ein Schmerz, der einfach nicht vergehen will. »Wir werden deshalb immer erinnern wollen, weil wir nicht vergessen sollen.« Und heute werde auf der Asche und den Ruinen von damals wieder ganz neues jüdisches Leben aufgebaut. Jüdisches Leben erhalte eine neue, frische und positive Perspektive. »Unsere unverzagte Zuversicht bleibt ungebrochen«, bekräftigte der Zentralratspräsident.

Bundesinnenminister Hans-Joachim Friedrich (CSU) bezeichnete die Entwicklung jüdischen Lebens als ein beachtliches Symbol, das Juden in Deutschland setzten. Es sei »ein Zeichen des Vertrauens und des Optimismus in unser Land«. Dies werde auch als Verpflichtung gesehen, dass sich jüdisches Leben frei, sicher und gleichberechtigt entwickeln könne. Dazu gehöre auch die konsequente Bekämpfung des Antisemitismus.

Zeitzeuge Wie eindrücklich es wird, wenn die oft zitierte Geschichte auch ein Gesicht bekommt, machte Eli Fachler deutlich. Der 90-jährige Zeitzeuge hatte als 15-jähriger Junge am 9. November 1938 das Geschehen in der Synagoge aus der elterlichen Wohnung verfolgt. Er erzählte, wie er damals SA-Leute auf dem Hof beobachtete und Geräusche der Zerstörung hörte. 75 Jahre später kehrte er nun zurück, an den Ort, »der einst meine Synagoge war«. Er kam mit Kindern, Enkeln, und Urenkeln, von denen einer sogar bei der Gedenkstunde ein Schofar blies, dass einst Eli Fachlers Onkel gehörte, der es als Gabbai in der Synagoge genutzt hatte. Dass heute in der Brunnenstraße 33 wieder gebetet und gelernt werde, so der 90-Jährige, »ist für mich ein Wunder«.

Dialog

Digital mitdenken

Schalom Aleikum widmete sich unter dem Motto »Elefant im Raum« einem wichtigen Thema

von Stefan Laurin  28.03.2024

Jugendzentren

Gemeinsam stark

Der Gastgeber Hannover ist hoch motiviert – auch Kinder aus kleineren Gemeinden reisen zur Jewrovision

von Christine Schmitt  28.03.2024

Jewrovision

»Seid ihr selbst auf der Bühne«

Jurymitglied Mateo Jasik über Vorbereitung, gelungene Auftritte und vor allem: Spaß

von Christine Schmitt  28.03.2024

Literaturhandlung

Ein Kapitel geht zu Ende

Vor 33 Jahren wurde die Literaturhandlung Berlin gegründet, um jüdisches Leben abzubilden – nun schließt sie

von Christine Schmitt  28.03.2024

Antonia Yamin

»Die eigene Meinung bilden«

Die Reporterin wird Leiterin von Taglit Germany und will mehr jungen Juden Reisen nach Israel ermöglichen. Ein Gespräch

von Mascha Malburg  28.03.2024

Hannover

Dieser Star wird Juror bei der Jewrovision

Der 24-jährige Rapper und Sänger wurde selbst in einer Castingshow für Kinder bekannt. Nun soll Mike Singer die Kids auf der Jewrovision bewerten

 26.03.2024

Party

Wenn Dinos Hamantaschen essen

Die Jüdische Gemeinde Chabad Lubawitsch lud Geflüchtete und Familien zur großen Purimfeier in ein Hotel am Potsdamer Platz

von Katrin Richter  25.03.2024

Antisemitismus

»Limitiertes Verständnis«

Friederike Lorenz-Sinai und Marina Chernivsky über ihre Arbeit mit deutschen Hochschulen

von Martin Brandt  24.03.2024

Porträt der Woche

Die Kreative

Mona Yahia stammt aus dem Irak, spricht viele Sprachen, ist Künstlerin und Autorin

von Christine Schmitt  24.03.2024