Glossar

Azeret

Stopp: »Azeret« kommt von der Wortwurzel »azar«, das bedeutet so viel wie aufhören, stocken oder etwas abschließen. Foto: Flash 90

Schemini Azeret ist das Fest, das direkt auf Sukkot folgt. Oder ist es ein Teil davon? Der Talmud (Sukka 48a) meint, es sei ein eigenes Fest und führt sechs spezielle Halachot ins Feld, die das untermauern. Unter anderem, dass man »Schehechejanu« sagt und ein spezielles eigenes Opfer im Tempel darbringt. Erst später kam das »Gebet für Regen« an diesem Tag hinzu, das heute Bestandteil des Mussafgebets ist. Schemini Azeret wird als eigener Festtag bezeichnet (»regel bifnei atzmo«), doch zugleich nennt ihn der Talmud den »letzten Feiertag des Festes Sukkot – jom tow acharon schel chag« und überträgt Elemente von Sukkot auf Schemini Azeret. Man solle an Sukkot fröhlich sein und acht Tage lang Hallel sprechen.

Die Dualität des Feiertages, die heute noch verwirrender ist, da in der Diaspora ein zusätzlicher Tag von Sukkot in Schemini Azeret hineinläuft und im Land Israel Simchat Tora ebenfalls auf diesen Tag fällt, konnte aber auch in den Generationen, die auf die Weisen des Talmuds folgten, nicht aufgelöst werden – bis heute nicht.

feueropfer Wann immer darüber diskutiert wird, führt man die zwei Stellen ins Feld, an denen die Tora das Fest nennt. Zunächst im dritten Buch: »Sieben Tage sollt ihr Haschem ein Feueropfer darbringen. Am achten Tag soll für euch eine heilige Versammlung sein, und an diesem sollt ihr Haschem ein Feueropfer darbringen: Es ist ein Azeret – keinerlei Arbeit sollt ihr verrichten« (3. Buch Mose 23,36). Dann im vierten Buch: »Am achten Tag sollt ihr Azeret halten« (29,35).

Ist Schemini Azeret nun ein Teil von Sukkot oder nicht? Das Wort »Azeret« wurde entsprechend interpretiert und offenbart die Schwierigkeiten einer wörtlichen Übertragung. »Azeret« kommt von der Wortwurzel »azar«, das bedeutet so viel wie aufhören, stocken oder etwas abschließen. In Israel gibt es Stoppschilder mit einer roten Hand. Das Kommando, das dort bildlich dargestellt ist, heißt »Azor!« und geht auf denselben Wortstamm zurück.

Im Deutschen wird Schemini Azeret heute häufig als »Schlussfest« oder »Achter der Versammlung« verstanden. In der deutschen Toraübersetzung von Wohlgemuth und Bleichrode (1899) wird es jedoch mit »Festversammlung« übertragen. Auch das ist nicht ganz aus der Luft gegriffen. Hier bezieht man sich auf die Bedeutung, die das Wort »azara« im Buch Jeschajahu (1,13) hat. Dort überträgt es Onkelos (35–120) in seiner Übersetzung ins Aramäische im Sinne von »Versammlung«. Der Kommentator Ibn Esra (1089–1164) deutet es als »zurückhalten« und meint, dies beziehe sich auf die Zurückhaltung von der Arbeit an diesem Tag.

enthaltung Eine weitere Interpretation, die zunächst allen Lagern entgegenkommt, bringt Raschi (1040–1105). Ihm zufolge müsste man das Wort mit »Enthaltung« übertragen. Er schreibt (zu 4. Buch Mose 29,35): »Enthaltet euch an diesem Tag, von da wegzugehen, man musste in Jeruschalajim übernachten.« Warum man das seiner Meinung nach tun musste, schreibt er auch: »Eine Erklärung hierzu gibt der Midrasch. G’tt spricht: An diesen Festtagen brachtet ihr Opfer nach Zahl der 70 heidnischen Nationen, nun wollt ihr heimkehren; bereitet auch jetzt mir zu Ehren ein kleines Gastmahl, das ich mit Befriedigung annehmen werde.«

Samson Raphael Hirsch (1808–1888), der Schemini Azeret als eigenständiges Fest sieht, nimmt den Faden auf und übersetzt »Fest des Verharrens«. Er interpretiert es als Fest, das den Festzyklus beendet und sieht es als Übergang von der »lauten öffentlichen Freude« von Sukkot zur »stillen Sammlung vor G’tt«, bevor man in die »raue, noch unvollkommene Wirklichkeit der Gegenwart« zurückkehrt. Er entscheidet sich also für eine Option und erklärt sie. Weil die Übersetzung mehrere Deutungen zulässt, ist die Diskussion bis heute lebendig.