Glossar

Modeh Ani

Religiöse Begriffe aus der Welt des Judentums

von Chajm Guski  28.01.2013 17:40 Uhr

Das Erste am Morgen noch vor dem Aufstehen: »Modeh ani« (»Ich danke Dir ...«) Foto: Thinkstock

Religiöse Begriffe aus der Welt des Judentums

von Chajm Guski  28.01.2013 17:40 Uhr

Wenn man am Morgen die Augen aufschlägt, dann könnte man mit einem fröhlichen »Boker tow, Olam!« (Guten Morgen, Welt!) in den Tag starten. Oder man kann dem nachkommen, was Rabbi Mosche Isserles, der Rema (1525–1572), in seinem Kommentar zum Schulchan Aruch formuliert (Orach Chajim 1,1): »Die Schrift sagt: ›Ich habe den Ewigen stets vor Augen‹ – dies ist eine wichtige Regel in der Tora und (gehört zu) den Eigenschaften der Zaddikim, die den Weg vor G’tt gehen.«

Erwachen Das bedeutet, man soll sich direkt nach dem Erwachen klarmachen, vor wem man auf der Welt steht. Der Schulchan Aruch und Isserles’ Kommentar gehen aber nicht näher darauf ein, wie das geschehen soll.

Vorschläge dazu liefern zahlreiche Siddurim, die heute in Umlauf sind. Häufig ist dort sinngemäß zu lesen, dass man sich nach dem Erwachen der Präsenz G’ttes Gewahr werden und das »Modeh ani« sprechen soll: »Ich danke Dir, ewig lebendiger König, dass Du mir in Liebe meine Seele wiedergegeben hast, groß ist Deine Treue.« In zahlreichen Familien wird dieser kurze Text schon den Kleinsten beigebracht, als erster Satz des Tages sozusagen. Erwachsene sprechen ihn natürlich auch.

Tatsächlich ist der Text heute weit verbreitet, sodass man sich wundern kann, warum der Schulchan Aruch an dieser Stelle den Text nicht praktischerweise zitiert. Erst viel später, in Orach Chajim 46,1, heißt es, dass man direkt nach dem Aufstehen sprechen soll: »Elohaj neschama ...« (Mein G’tt, die Seele, die Du mir gegeben hast, ist rein). Man merkt schnell: Das ist nicht unser Text! Aber der Schulchan Aruch stützt sich auf eine sichere Quelle, geht doch dieses Zitat auf den Talmud zurück (Berachot 60b). Dort wird »Elohaj neschama« als erster Text des Tages wiedergegeben (»Nach dem Aufstehen sagt man …«). Heute findet man das Gebet einige Seiten später im Siddur.

Bett Bei der Beliebtheit des »Modeh ani« hätte man es vielleicht auch an dieser Stelle erwartet. Aber es steht nicht im Talmud und in den folgenden gängigen halachischen Büchern ebenfalls nicht. Erst der Kizzur Schulchan Aruch von Rabbiner Schlomo Ganzfried (1804–1886) schreibt, man soll noch im Bett »Modeh ani« sprechen (1,2). Offensichtlich war das Gebet zur Zeit von Rabbiner Ganzfried schon recht gut eingeführt.

Die tatsächlich erste Erwähnung unseres Textes finden wir in einem Buch, das 1599 in Venedig gedruckt wurde und viele Male neu aufgelegt wurde. Es stammt von Rabbiner Mosche ben Machir, der ein Schüler des Kabbalisten Jitzchak Luria (1534–1572) war und in der Nähe von Safed lebte. In seinem Buch Seder haJom (Die Ordnung des Tages) bringt er das »Modeh Ani« gleich im zweiten Absatz und fordert den Leser auf, es sofort nach dem Aufstehen zu sprechen.

Beliebt Ob Mosche ben Machir einen bestehenden Brauch aufgegriffen hat oder er aus dem kabbalistischen Umfeld kommt, lässt sich heute nicht mehr mit Bestimmtheit sagen. Ben Machir ist jedenfalls der Erste, der diesen Brauch notiert hat, und durch die Beliebtheit seines Buches wurde offenbar auch das »Modeh ani« populär.

Warum er aber in seiner Beschreibung das ältere »Elohaj neschama« an eine andere Stelle verschob, könnte vielleicht Rabbiner Ganzfried begründen, wenn er anfügt, dass man das »Modeh ani« noch im Bett sprechen darf, weil der Name G’ttes in dem Gebet nicht vorkommt. Man muss sich deshalb also nicht zuvor die Hände waschen – eine Voraussetzung dafür, wenn man den Namen G’ttes verwenden möchte.