Debatte

Guter Schnitt

Ein älterer Junge oder Erwachsener wird durch die Beschneidung eher traumatisiert als ein Säugling. Foto: getty

Das Foto zeigt einen etwa vierjährigen Jungen mit schmerzverzerrtem Gesicht während einer muslimischen Beschneidung, umringt von freudig erregten, feiernden Erwachsenen. Das Bild ging in der Presse vorige Woche mit der Berichterstattung über das Kölner Beschneidungsurteil einher. Damit bediente man sich, ganz im Sinn der Beschneidungsgegner, bekannter Klischees, die in der Bevölkerung weit verbreitet sind.

Zu diesen Klischees gehört auch, dass die rituelle Beschneidung von Jungen mit der Genitalverstümmelung von Mädchen auf die gleiche Stufe gestellt wird. Doch das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Die – möglichst frühzeitige – Beschneidung bei Jungen hat für diese wissenschaftlich nachweisbaren medizinischen Nutzen. Deshalb ist diese Operation in den USA auch unter Nichtjuden und Nichtmuslimen weit verbreitet.

Vorteile Eine Zirkumzision hilft, die Gefahr fieberhafter Harnwegsinfekte und Entzündungen des Penis beim Säugling und Kleinkind zu vermindern. Im Erwachsenenalter verringert sich das Infektionsrisiko durch Geschlechtskrankheiten ebenso wie die Gefahr eines Peniskarzinoms. Auch die Partnerin eines beschnittenen Mannes profitiert gesundheitlich von dem Eingriff, mit einem deutlich verminderten Risiko von Gebärmutterhalskrebs, für den eine durch Verkehr übertragbare entzündliche Komponente nachgewiesen ist.

Es handelt sich bei der Beschneidung also nicht um eine »Verstümmelung«, sondern im Gegenteil um eine gesundheitsfördernde Maßnahme. Väter und Mütter, ob jüdisch oder nicht, die sich aus hygienischen Gründen zu dieser kleinen Operation für ihre Söhne entschließen, handeln fürsorglich im Kindeswohl. Das ist das genaue Gegenteil des auch im Kölner Urteil unterstellten Missbrauchs des Elternrechts.

Mizwa Nun gilt dem gläubigen Juden als entscheidend für die Brit Mila zwar nicht der gesundheitliche Nutzen, sondern die Befolgung einer grundlegenden, für das Judentum entscheidenden Mizwa. Zum Kern des jüdischen Glaubens gehört aber auch, dass uns die Gebote nicht gegeben wurden, damit wir durch sie Schaden erleiden, sondern dass wir durch sie leben. Das ist auch der Grund dafür, dass die Tora den Eltern als Pflicht auferlegt, ihre Söhne im Säuglingsalter, acht Tage nach der Geburt, beschneiden zu lassen. Warum gerade dann? Auch hier zeigt sich die ethische Komponente des Gebots: Ein später, im Kleinkind- oder Jugendlichenalter beschnittener Junge wird durch den Eingriff ungleich mehr traumatisiert als ein Säugling, da er physische und psychische Aspekte in ganz anderer Weise wahrnimmt.

Gerade eine solche Verschiebung der Beschneidung auf ein späteres Lebensalter, sei es das der Volljährigkeit mit 18 oder der Religionsmündigkeit mit 14 Jahren, ist aber die Forderung der Beschneidungsgegner. Sie begründen das nicht nur mit der mangelnden Einwilligungsfähigkeit des Säuglings in den Eingriff selbst; dem Neugeborenen fehlten zu diesem Zeitpunkt auch die Voraussetzungen, frei über seine Zugehörigkeit zur Religion seine Eltern überhaupt zu entscheiden.

Recht Es ist ja nicht nur die Beschneidung an sich, gegen die die Kritiker angehen, sondern gerade das damit verbundene religiöse Element. Geht man davon aus, dass die Brit Mila eben keinen barbarischen Akt mit Verstümmelungscharakter darstellt, dann fällt sie unter das gesetzlich verbriefte Recht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder in ihrer – in diesem Fall jüdischen – Religion und Tradition. Dieses Recht wird hier in einer derart elementaren Art und Weise angegriffen, wie es bei christlichen Eltern wohl niemand tun würde.

Zudem verfängt die Argumentation nicht wirklich. Die Beschneidung allein macht ein Kind nicht automatisch jüdisch. Juden sind beschnitten, aber nicht alle Beschnittenen sind Juden. Die Brit Mila wird keinen daran hindern können, sich später vom Judentum zu lösen, wenn er das will. Die eventuelle Möglichkeit einer solchen späteren Ablehnung des elterlichen Glaubens kann nicht als legitime Begründung dienen, a priori auf eine Brit Mila zu verzichten – gerade weil sie einer der Kernbestandteile des Judentums ist. Schließlich existiert nicht nur das Recht des Kindes auf spätere Selbstbestimmung im Erwachsenenalter, verbunden mit freier Religionswahl. Hat es nicht ebenso ein Anrecht darauf, in das religiöse Erbe seiner Eltern hineinzuwachsen?

Deshalb müssen sich die Beschneidungsgegner fragen lassen, was genau sie mit dem Verbot im Sinn haben. Sie greifen damit einen Kern des Judentums als solches an. In Deutschland wird in offiziellen Reden immer ein Wiederaufblühen jüdischen Lebens begrüßt; auf der anderen Seite werden durch das Kölner Urteil die existenziellen Grundlagen jüdischen Glaubens diskriminiert und im Nebeneffekt antijüdische Klischees gestärkt. Eine rasche Schaffung von Rechtssicherheit zur Legalität der Brit Mila ist daher unumgänglich, um ein künftiges Überleben des Judentums in Deutschland zu sichern.

Die Autorin ist Urologin, Mohelet und Rabbinerin in Bamberg.

Georg M. Hafner

Auslöschen? Kein Problem!

Die Konsequenz des Frankfurter Urteils ist eine verheerende Verschiebung von roten Linien

von Georg M. Hafner  29.03.2024

Berlin

»UNRWA ist Teil des Problems«

Israels Botschafter Ron Prosor präsentiert Informationen zur engen Verbindung der Terrororganisation Hamas mit dem UN-Palästinenserhilfswerk

 28.03.2024

Halle / Frankfurt

DFB lässt proisraelisches Plakat bei Länderspiel abhängen

Plakat mit der Aufschrift »Bring them Home now« sei nicht genehmigt und entgegen UEFA-Regularien gewesen

 28.03.2024

Sachsen

Trotz antisemitischer Vorfälle: Leipziger Friedenspreis geht an »Handala«-Gruppierung

Die »pro-palästinensische Gruppierung« steht immer wieder wegen antisemitischer Vorfälle in der Kritik

 27.03.2024

Analyse

Allein

Der Jude unter den Staaten: Wie Israel von der Weltgemeinschaft verleumdet und im Stich gelassen wird

von Maria Ossowski  27.03.2024

Manchester Airport

Überlebende des 7. Oktober bei Einreise beschimpft

»Wir müssen sicherstellen, dass Sie hier nicht dasselbe tun wie in Gaza«, sagt ein Grenzbeamter zu den Israelis

von Imanuel Marcus  27.03.2024 Aktualisiert

USA/Israel

US-Verteidigungsminister empfängt israelischen Amtskollegen

»Wir den Kampf in Gaza nicht beenden, bevor wir alle Verschleppten nach Hause bringen«, erklärt Joav Gallant

 27.03.2024

Bundesregierung

Charlotte Knobloch fordert Rauswurf von Kulturstaatsministerin Roth

IKG-Chefin und Schoa-Überlebende: »Was passiert ist, war einfach zu viel«

 26.03.2024

Berlin

Nach Angriff auf jüdischen Studenten: Hochschulgesetz wird verschärft

Möglichkeit der Exmatrikulation wurde zuvor von Rot-Grün-Rot abgeschafft

 26.03.2024