Literatur

Vor 75 Jahren starb Franz Werfel

In seiner Kindheit erlebte er ein friedliches Miteinander der Religionen. Diese Themen blieben prägend für sein Werk

 27.08.2020 09:23 Uhr Aktualisiert

Franz Werfel (1890–1945) Foto: imago

In seiner Kindheit erlebte er ein friedliches Miteinander der Religionen. Diese Themen blieben prägend für sein Werk

 27.08.2020 09:23 Uhr Aktualisiert

»Mein einziger Wunsch ist, dir, o Mensch, verwandt zu sein«: Zu Beginn einer Gedichtsammlung, die im Jahr 1910 erscheint, bringt ein junger Dichter das Programm des Expressionismus auf den Punkt. Lyrik soll ein Seismograph sein - und zugleich offensiv und dynamisch daherkommen, Visionen bieten statt flüchtiger Beschreibungen.

»An den Leser« ist nicht das erste Gedicht von Franz Werfel, aber eines der bekanntesten. Vor 75 Jahren, wenige Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, starb der Schriftsteller im Exil.

Geboren 1890 in Prag, prägte ihn seine deutsch-böhmisch-jüdische Familie ebenso wie seine Kinderfrau, eine fromme Katholikin und der Besuch einer Volksschule des Piaristen-Ordens. Nach dem Abschluss arbeitete er zunächst bei einer Speditionsfirma, später als Lektor. Und er schloss in Jugendjahren Freundschaft mit Franz Kafka, später mit Rainer Maria Rilke.

Trotz ihrer krisenanfälligen Beziehung blieb Alma bis zu seinem Tod an seiner Seite.

Im Ersten Weltkrieg diente Werfel an der ostgalizischen Front. Nach zwei Jahren wurde er ins Kriegspressequartier des k.u.k.-Regimes in Wien versetzt, wo er zeitgenössischen Denkern wie Egon Erwin Kisch und Robert Musil begegnete, auch seiner großen Liebe Alma Mahler-Gropius. Sie war die Witwe des Komponisten Gustav Mahler und inzwischen mit dem Architekten Walter Gropius verheiratet, von dem sie sich 1920 scheiden ließ.

1929 heirateten Alma und Franz Werfel. Trotz einer krisenanfälligen Beziehung blieb sie bis zu seinem Tod an seiner Seite. Der Dichter beschrieb sie einmal als »Hüterin des Feuers«, die ihn zu kreativen Höchstleistungen anspornte. Und der Schriftsteller-Kollege Carl Zuckmayr hielt 1940 über eine gemeinsame Wanderung fest, ohne Alma wäre Werfel »einfach liegen geblieben und zu Grunde gegangen«.

In den 1920er- und 30er-Jahren veröffentlichte Werfel mehrere Bücher, die sich zu Bestsellern entwickelten. »Verdi. Roman der Oper« (1924) trug zur Wiederentdeckung des italienischen Komponisten in Deutschland bei. 1933 erschien sein historischer Roman »Die vierzig Tage des Musa Dagh«, der zu einer Art Wendepunkt in seinem Leben werden sollte.

Für Werfel gab es einen entscheidenden Anstoß, »das unfaßbare Schicksal des armenischen Volkes« zu beschreiben und auf diese Weise »dem Totenreich zu entreißen«.

Die Idee dazu entstand auf einer Reise in den Nahen Osten. In Damaskus notierte Werfel, wie sehr in das »Jammerbild verstümmelter und verhungerter Flüchtlingskinder« berührt hatte. Für ihn der entscheidende Anstoß, das »unfaßbare Schicksal des armenischen Volkes« zu beschreiben und auf diese Weise »dem Totenreich zu entreißen«.

Erst 2016 verurteilte der Deutsche Bundestag den Völkermord an den Armeniern in einer Resolution, die die Taten zwischen 1915 und 1918 klar benannte. Insofern waren die Recherchen und Zeugnisse, die Werfel für den Roman aufarbeitete, ihrer Zeit weit voraus. Er schildert das Schicksal einer armenischen Familie, die allmählich ausgegrenzt und schließlich mit Waffengewalt vertrieben wird.

Die Armenier feierten ihn dafür. »Franz Werfel hat uns eine Seele gegeben«, sagte der Priester einer armenischen Kirche während einer USA-Reise des Dichters 1936. Auch viele Juden würdigten das Buch, weil sie darin Anspielungen auf das Judentum und Israel sahen. Den Nationalsozialisten wiederum war dies ein Dorn im Auge.

Werfel, der jüdische Autor, galt den Nazis zudem als Pazifist, seine Schriften wurden als »Gefährdung öffentlicher Sicherheit und Ordnung« eingestuft. 1933 wurde er aus der Preußischen Akademie ausgeschlossen, und Werke von ihm fielen der Bücherverbrennung zum Opfer.

1940 setzten die Nazis den Dichter an die Spitze ihrer Auslieferungsliste; er floh in die USA.

So ließ sich der Dichter 1938 nach einer Auslandsreise in Südfrankreich nieder. Zwei Jahre später, als die Wehrmacht große Teile des Landes besetzte, fand er Zuflucht in Lourdes - und gelobte, er werde, falls er gerettet würde, ein Buch über die heilige Bernadette schreiben.

Im selben Jahr setzten die Nazis den Dichter an die Spitze ihrer Auslieferungsliste, und er floh in die USA. Dort verfasste er tatsächlich den Roman »Das Lied von Bernadette«, der 1943 verfilmt wurde.

Zugleich verschlechterte sich Werfels gesundheitlicher Zustand. Am 26. August 1945 starb er nach einem Herzinfarkt in Beverly Hills. Nach dem Schriftsteller, der seine lyrischen Werke für seine wertvollsten hielt, ist heute unter anderem der Menschenrechtspreis des Zentrums gegen Vertreibungen benannt. pkm

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  28.03.2024

Sachbuch

Persönliches Manifest

Michel Friedman richtet sich mit seinem neuen Buch »Judenhass« bewusst an die allgemeine Öffentlichkeit, er appelliert aber auch an den innerjüdischen Zusammenhalt

von Eugen El  28.03.2024

USA

Daniel Kahneman ist tot

Der Wissenschaftler Daniel Kahneman kombinierte Erkenntnisse aus Psychologie und Ökonomie

 28.03.2024

Bildung

Kinderbuch gegen Antisemitismus für Bremer und Berliner Schulen

»Das Mädchen aus Harrys Straße« ist erstmals 1978 im Kinderbuchverlag Berlin (DDR) erschienen

 27.03.2024

Bundesregierung

Charlotte Knobloch fordert Rauswurf von Kulturstaatsministerin Roth

IKG-Chefin und Schoa-Überlebende: »Was passiert ist, war einfach zu viel«

 26.03.2024

Kultur

Über die Strahlkraft von Europa

Doku-Essay über die Theater-Tour von Autor Bernard-Henri Levy

von Arne Koltermann  26.03.2024

Projekt

Kafka auf Friesisch

Schüler der »Eilun Feer Skuul« in Wyk auf Föhr haben ihre friesische Version des Romans »Der Verschollene« vorgestellt

 25.03.2024

Berlin

Hetty Berg als Direktorin des Jüdischen Museums bestätigt

Ihr sei es gelungen, die Institution »als Leuchtturm für jüdisches Leben« weiterzuentwickeln, heißt es

 25.03.2024

Judenhass

Wie der Historikerstreit 2.0 die Schoa relativiert

Stephan Grigat: Der Angriff auf die »Singularität von Auschwitz« kommt nun von links

 25.03.2024