Mitarbeit

Bebauen und bewachen

Nachhaltig: Israelische Grenzpolizisten pflanzen an Tu Bischwat ein Bäumchen in der Wüste. Foto: Flash 90

Wenn wir von der Erschaffung der Welt lesen, fragen wir uns: Sollen wir die erschaffene Welt weiterentwickeln oder uns mit den gegebenen Bedingungen abfinden? Sollen wir das Korn nach seiner Ernte so verzehren, wie es wächst oder einen Kuchen daraus backen? Wäre dies eine Handlung gegen G’tt? Müssen wir uns mit dem von Ihm Erschaffenen zufriedengeben?

Stellenwert Der Midrasch Tanchuma berichtet von einem Dialog zwischen dem bösen Turnus Rufus und Rabbi Akiwa. Rufus fragt: »Welche Taten haben einen höheren Stellenwert: G’ttes Taten oder die des Menschen?« Rabbi Akiwa antwortet: »Die des Menschen.« »Kann der Mensch Himmel und Erde erschaffen, was ist das für eine Antwort?«, fragt Turnus Rufus. »Dein Beispiel ist nicht relevant, wir wissen, dass der Mensch nicht mit G’ttes Maß gemessen werden kann.« Darauf fragt Turnus Rufus: »Warum machen Juden eine Beschneidung?« Rabbi Akiwa sagt: »Ich wusste, dass du mich das fragen würdest, aber trotzdem habe ich dir gesagt, das die Taten des Menschen einen höheren Stellenwert besitzen.«

Da brachte Rabbi Akiwa ihm Korn und einen gebackenen Teig und fragte: »Ist dieser Kuchen nicht schöner als das Korn?« Turnus Rufus antwortet mit einer Gegenfrage: »Wenn G’tt eine Beschneidung wünscht, warum kommt der Junge dann nicht schon beschnitten auf die Welt?« Da erwidert Rabbi Akiwa: »Und warum muss nach seiner Geburt noch die Nabelschnur getrennt werden? Und zur Antwort auf deine Frage, warum er nicht beschnitten geboren wird, antworte ich dir: Dafür haben wir die Pflichten der Tora, die Mizwot, bekommen, um uns durch unsere Taten selbst zu heiligen.«

Die von G’tt gegebenen Mizwot verlangen von uns Menschen ein uneigennütziges Handeln. Im Gegensatz dazu sucht Rufus in dieser Welt nur seinen eigenen Nutzen, da sie seiner Ansicht nach bereits vollkommen ist. Rabbi Akiwa dagegen zeigt, dass G’tt den Menschen darum bittet, Teilhaber seiner Arbeit zu sein. Er hat den Menschen so erschaffen, dass er in der Lage ist, moralische Entscheidungen zu treffen.

Teilhabe G’tt verlangt von uns, dass wir aktiv an der Gestaltung der Welt teilnehmen. Das Bestreben, die Welt besser zu machen, sieht das Judentum als heilige Tat an. Die Welt wird nur unter der Bedingung vollkommen sein, dass der Mensch die religiösen, geistigen und uneigennützigen Werte erkennt. Wenn wir in der Lage sind, so zu handeln, werden wir eine Vollkommenheit erreichen.

Wir verstehen nun, dass wir diese Welt weiterentwickeln sollen und müssen – das ist die Voraussetzung der Schöpfung G’ttes, Er hat es so gewollt. Doch die Frage ist, um welchen Preis? Inwieweit dürfen wir Veränderungen vornehmen? Uns ist allen bekannt, dass viele Entwicklungen der Zivilisation zur Zerstörung der Menschheit und Umwelt führen könnten. Also: Welche Formel gibt uns die Religion, wie weit dürfen wir gehen?

Dafür gibt es einen Schlüssel im Wochenabschnitt Bereschit, 1. Buch Moses 2, 15: »Und G’tt, der Ewige, nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaue und bewache.« Der Mensch soll diese Welt nutzen, aber er ist auch verpflichtet, sie zu behüten. Im 5. Buch Moses 20,19 steht: »Wenn du eine Stadt lange Zeit einschließt und bekriegst, um sie einzunehmen, so sollst du die Bäume um sie herum nicht zerstören, indem du die Axt gegen sie schwingst, sondern sollst nur von ihnen essen, sie selbst aber nicht umhauen. Denn sind etwa die Bäume des Feldes Menschen, dass sie von dir in die Belagerung hineingezogen werden sollten?«

Rambam (um 1138–1204) leitet ab, dass die Worte »lo taschchit« (auf deutsch: zerstöre nicht) sich nicht nur auf einen Baum (hier einen, der Früchte trägt), beziehen, sondern auch auf anderes wie Häuser zu zerstören, Kleidung zu zerreißen, Brunnen zu verschließen, Lebensmittel zu vernichten – alle diese zerstörerischen Dinge sind selbstverständlich auch verboten (Hilchot Melachim, 6. Kapitel, Halacha 10).

Balance Warum zeigt uns die Tora in Bezug auf die Baumzerstörung gerade ein Beispiel aus Kriegszeiten auf? Sie will uns verdeutlichen, dass es auch in Notsituationen, in denen mancher vielleicht dafür Verständnis hätte, strikt verboten ist. Lo taschchit bedeutet, nicht zu zerstören. Das sind Inhalte von Gesetzen, die uns den Umgang mit den Mitmenschen und der Welt aufzeigen.

Ein zentraler Punkt ist die Balance untereinander. »Le owda u le schomra«, also zu bearbeiten und zu schützen. So steht im Midrasch Kohelet Rabbati 7,28: »In der Stunde der Schöpfung, als G’tt den ersten Menschen schuf, nahm er ihn und zeigte ihm alle Bäume im Garten Eden, im Paradies. Er sagte dem Menschen: Siehe wie schön und angenehm meine Schöpfung ist. Und alles, was ich erschaffen habe, habe ich für dich getan. Denk daran, meine Welt nicht zu verderben und zu zerstören. Wenn du es aber tust, wird es keinen geben, der sie nach dir reparieren kann.«

Mögen wir diese Worte G’ttes auch für uns verinnerlichen und unsere Welt bearbeiten, sie nicht ausnutzen, sondern achten. Denn wenn sie zerstört ist, gibt es kein Zurück mehr.

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Duisburg – Mülheim – Oberhausen.

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