Sport

Britisch in Berlin

Wenn im Deutschland der Kaiserzeit ein wichtiges Fußballspiel gewonnen wurde, war es üblich, Gott und die Welt davon per Telegramm in Kenntnis zu setzen. Am 15. Juli 1893 tat das Walther Bensemann. Gerade hatte er in einer Auswahl der Südwestdeutschen Fußball-Union das Tor des Tages gegen Frankfurt geschossen. Bensemann schickte Telegramme an den deutschen Kaiser, den badischen Großherzog – und an den englischen Juden John Bloch.

Der deutschstämmige Bloch lebte damals in Berlin und war dort eine prägende Figur in der Fußballszene. Als Vorsitzender des English Football Club und zweiter Vorsitzender des Berliner Cricket Club 1883 stand er Vereinen vor, in denen die in Berlin lebenden Engländer Sport trieben. Zudem war Bloch Vorsitzender des 1891 gegründeten Deutschen Fußball- und Cricket-Bundes. Der Verband gilt als wichtigster Vorläufer des DFB. Und Bloch war seit 1891 Herausgeber und Chefredakteur der Wochenzeitschrift »Spiel und Sport«.

teilhabe Dass gerade Juden wie Bensemann und Bloch in der Frühzeit des deutschen Fußballs eine bedeutende Rolle spielten, ist kein Zufall. Wo viele Turnvereine und Studentenverbindungen Juden keinen Zutritt gewährten, bot der Fußball die Möglichkeit gesellschaftlicher Teilhabe. Bensemann gründete 1920 den »Kicker«. Zu den jüdischen Pionieren gehören auch die Brüder Fred und Gus Manning, die in Blochs »English FC« kickten. Mit Bensemann spielten die beiden auch eine wichtige Rolle bei der DFB-Gründung 1900 in Leipzig.

Bloch war zudem in einer der Keimzellen der deutschen Leichtathletik engagiert. Weil der Berliner Cricket Club 1883 mit dem Hamburger SC Germania um die Veranstaltung von Leichtathletik-Meisterschaften konkurrierte, ging man ab 1893 mit drei weiteren Vereinen im Deutschen Athletischen Amateur Verband gemeinsame Wege. Vorsitzender war Arthur Levy vom Hamburger SC Konkurrent, Bloch fungierte im Vorstand als Beisitzer.

schlechte verlierer Allerdings spiegelt sich in der Figur John Bloch nicht nur die enorme Bedeutung der deutschen und englischen Juden in der Frühzeit des deutschen Sports, sondern auch das anti-englische und antisemitische Ressentiment, das ihnen entgegengebracht wurde. Es begann damit, dass der älteste Berliner Fußballverein BFC Frankfurt im November 1893 ein Meisterschaftsspiel des Deutschen Fußball- und Cricket-Bundes 1:5 gegen den English FC verlor. Der Klub suchte die Schuld beim Schiedsrichter und verlangte ein Wiederholungsspiel.

Der Vorstand um Bloch wies den Protest des BFC Frankfurt zurück. Daraufhin beschloss der Verein, seine Mannschaft aus der Meisterschaft zurückzuziehen. Die Folge war ein Ausschlussverfahren aus dem Deutschen Fußball- und Cricket-Bund. Wie aus einem von sieben Klubs unterzeichneten Schreiben hervorgeht, in dem diese sich mit dem Vorstand solidarisierten, versuchte der BFC Frankfurt, Stimmung gegen den English FC und Bloch zu machen, weil er und einige Spieler Juden waren. »Da Frankfurt die durchaus correcte Handlungsweise des Vorstandes nicht die geringste oder vielmehr eine nicht genügende Handhabe bot, so mussten Nationalität und Religion einiger Bundesmitglieder den Grund zur Verhetzung bilden«, hieß es in dem Solidaritätsschreiben.

John Bloch beschloss deshalb, auf dem nächsten Bundestag nicht mehr als Vorsitzender zu kandidieren. Der English FC erklärte seinen Austritt. »Der gute alte Club, der so viel für den Verband getan hat, begegnete stets einem unvernünftigen Hass der anti-englischen Elemente innerhalb der Liga«, hieß es im »English Chat«, einer englischen »Spiel und Sport«-Beilage. Trotzdem bestätigte der Bundestag 1894 den Ausschluss von BFC Frankfurt mit großer Mehrheit. »Nach all den schmutzigen Machenschaften, zu denen der Club sich in den vergangenen sechs Monaten herabgelassen hat, war das höchst unerwartet«, kommentierte »Spiel und Sport«. Bloch stellte sich dennoch nicht zur Wahl, obwohl er erneut vorgeschlagen wurde.

verschollen Seine Zeitschrift hat er gleichwohl bis 1900 weitergeführt. Dann verliert sich John Blochs Spur. Anders als Neville B. Bloch, der »Spiel und Sport« übernommen hatte, ist er nicht unter den 4.000 Engländern gewesen, die im Krieg in Ruhleben bei Berlin interniert waren. Wahrscheinlich ist er schon vor dem Ersten Weltkrieg nach England zurückgekehrt.

Bensemanns Telegramm nahm man bei »Spiel und Sport« übrigens mit viel Humor. »In solch exzellenter Gesellschaft platziert zu sein, hat die Selbsteinschätzung unseres Herausgebers einige Meter in die Höhe schießen lassen«, kommentierte der »English Chat«. »Wenn er nicht sehr bald wieder herunterkommt, wird die talentierte Belegschaft den Dienst quittieren oder für eine fünfzigprozentige Lohnerhöhung streiken.«

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