Mizwa

Sauber bleiben

Wie sich die Hygiene aus der Heiligkeit des Menschen ableitet

von Marcus Schroll  16.08.2010 19:17 Uhr

Innerliche und äußerliche Hygiene sind Teil der menschlichen Pflege. Foto: imago

Wie sich die Hygiene aus der Heiligkeit des Menschen ableitet

von Marcus Schroll  16.08.2010 19:17 Uhr

In unserer Parascha finden wir zahlreiche Mizwot, die das gesellschaftliche Leben sowie die Familie zum Inhalt haben. So geht es zum Beispiel um die Rechte der Erstgeborenen, die Entschädigungen für verschiedene Formen von Gewalttaten und ungesetzliche Bereicherung, Bedingungen für Übertritte, Ehescheidung, Schwagerehe und Schadenersatz. Eine gern übergangene Mizwa aber, die in unserem Wochenabschnitt erwähnt wird, die der Gesundheitspflege, soll an dieser Stelle näher betrachtet werden. Über sie lesen wir: »Eine Stelle soll außerhalb des Lagers sein, dorthin gehst du hinaus. Und einen Spaten sollst du bei deinem Rüstzeug haben, sodass, wenn du dich außerhalb niederlässt, du damit gräbst und das, was du zurücklässt, wieder zudeckst. Denn G’tt, dein G’tt, wandelt in der Mitte des Lagers, dich zu retten und deine Feinde vor dich hinzugeben. So seien deine Lager ein Heiliges, dass er an dir keine Blöße sieht und sich zurückhalte, dich zu begleiten« (5. Buch Moses 23, 13-15).

gesundheit Hier wird uns die Bedeutung der Gesundheitspflege insbesondere in Ausnahmesituationen vor Augen geführt. Es ist ein lohnendes Unterfangen, diesem Thema in den Werken unserer Gelehrten nachzuspüren. Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808–1888) schreibt zu diesen Versen aus der Tora: »Wenn du aus den Umschränkungen des gewöhnlichen Familien- und bürgerlichen Lebens hinausgetreten bist, (…) selbst wenn du dich im Kriegslager befindest, wo so leicht die Bande der Zucht und Sitte sich lösen und der Kriegszweck selbst ungebundener Rohheit Vorschub leisten könnte, (…) sollst du den selbstbeherrschenden Blick nicht verlieren, und dich vor jeglichem Schlechten hüten.«

Ziel dieser Mizwa ist es also, dass wir uns des von G’tt gegebenen Auftrags – dem Streben nach Heiligkeit im Sinne von Vervollkommnung und der Übernahme von Verantwortung für dieses große Projekt durch den Menschen – auch durch die Gesundheitspflege bewusst werden. So betont Abraham Ibn Esra (um 1092-1167) den schlechten Einfluss alles Widerwärtigen und Ekelhaften auf die menschliche Seele.

umweltschutz Und in seinem Essay »Das Judentum und der Umweltschutz«, 1980 in der Festschrift zum 25-jährigen Bestehen der jüdischen Schule Zürich veröffentlicht, verweist Rabbiner Arijeh Carmell (1917-2006) in Zusammenhang mit der oben angeführten Stelle unseres Wochenabschnitts auf die dem Vorhof des Tempels ähnelnde Heiligkeit des Lagers und betont, dass jeder Platz, wo gebetet oder Tora gelernt wird, durch die Rabbiner mit der Heiligkeit des »Lagers Israels« ausgestattet ist.

Gesundheitspflege beinhaltet nicht nur den Aspekt der Eigenverantwortung des Menschen gegenüber sich selbst, sondern vor allen Dingen gegenüber seinen Mitmenschen und der Umwelt, wie sie im Midrasch Rabba zu Bereschit ihren Ausdruck findet: »Als der Ewige Adam erschuf, führte er ihn durch den Garten Eden und sagte zu ihm: ›Betrachte meine Werke, wie wunderschön und großartig sie sind! Ich habe sie für dich erschaffen. Pass auf, dass du meine Welt nicht verdirbst und zerstörst. Falls du dies tun solltest, kann sie niemand wieder in Ordnung bringen.‹«

Schönheit Nach Rabbiner Carmell können wir aus diesem Midrasch drei Aspekte der Gesundheitspflege lernen, die für unsere menschliche Existenz unabdingbar sind: Erstens den Aspekt der Gesundheit, die auch, wie in unserem Toraabschnitt der Fall, den Schutz der Gemeinschaft verfolgt. Zweitens die Schönheit, deren Wert von unseren Gelehrten immer wieder hervorgehoben wird, so zum Beispiel durch Avraham ben Maimon, den Sohn des Maimonides, der in seinem Werk »Was wir für den Dienst an G’tt benötigen« den Genuss der Schönheit der Natur als wesentlichen Faktor für die geistige Entwicklung des Menschen hervorhebt. Auch der Gründer der Telser Jeschiwa, Rabbi Joseph Leib Bloch, betont die Wichtigkeit der Entwicklung des ästhetischen Sinnes.

Drittens die Ökologie und mit ihr verbunden die Landverschmutzung sowie das kulturelle Verunreinigen, das die ökologische Verschmutzung fortsetzt. In seinem Werk »Halacha aktuell« schreibt der frühere Gemeinderabbiner der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main, Ahron Daum, über unsere Pflicht, die Natur zu erhalten und beleuchtet die große Verantwortung des Menschen, der im Widerschein des Ewigen geschaffen wurde und über Vernunft und Verstand verfügt.

Rabbiner Daum sieht in den Geboten der Ruhe – Schabbat, Schmita und Jowel – kraftvolle Formen einer praktischen Umwelterziehung im Sinne göttlicher Gesetzgebung, die ihren Bogen über alle anderen Mizwot spannt und den Menschen als Bewusstwerdung des Tikkun Olam dienen soll. Rabbiner Joseph Carlebach (1883-1942) sieht die Hygiene als Folgeerscheinung der Heiligkeit. Wer sein Leben heiligt, so Carlebach, der gibt ihm zugleich die natürlichste Festigung und Stärkung. Wie wir aus dem bisher Erfahrenen lernen können, ist es zu eng gefasst, Gesundheitspflege nur als Körperlehre zu sehen. Denn der Mensch ist mehr als Körper und Hygiene! Der Mensch ist mehr als Natur, er ist Bürger zweier Welten. Ohne hohes Ideal gibt es ebenso wenig eine echte Hygiene des ganzen Menschen wie es ohne die Inspiration g’tterfüllten Lebens kein Wohlbefinden geben kann.

Tradition Wir lernen über den tiefgreifenden Erziehungscharakter unserer jüdischen Tradition, die auch als Konzentration aller Äußerungen des Menschen auf eine höhere Aufgabe, »die Einheit« des Menschen und seine Einigung, interpretiert wird. In diesem einzigen Sinne haben unsere Gelehrten alle Mizwot der Tora verstanden und fortgebildet. Sie haben vor dem Brotgenuss das Waschen der Hände vorgeschrieben in Erinnerung an das Händewaschen der Kohanim im Bejt ha Mikdasch, weil der Tisch der Opfertisch des Menschen ist. Sie ordneten das Händewaschen am Morgen sowie nach der Verrichtung körperlicher Bedürfnise an, damit sich der Mensch stets seiner großen Aufgabe bewusst wird.

Wir beachten Speise-, Ehe- und Genussgebote als Mizwot der Heiligung und freuen uns, dass sie auch eine Schutzfunktion für unsere leiblichen Bedürfnisse bilden. Wir achten auf Hygiene, weil wir Schmirat ha Guf, die Bewahrung des menschlichen Körpers, als heilige Pflicht gegenüber unserem von G’tt geschaffenen Körper sehen. Und wir erinnern uns stets an die Heiligkeit des Lebens und die Erhaltung dieses von G’tt gegebenen Lebens. Nehmen wir diese Aufgabe stets aufs Neue wahr!

Der Autor ist Leiter des religiösen Erziehungswesens der IKG München.

Paraschat KI TEZE
Im Wochenabschnitt Ki Teze werden einige Verordnungen wiederholt, die vor allem die Familie, Tiere und Besitz betreffen. Dann folgen Verordnungen zum Zusammenleben in einer Gesellschaft, wie etwa Gesetze zu verbotenen sexuellen Beziehungen, das Verhalten gegenüber Nicht-Israeliten, Schwüre oder auch die Ehescheidung. Es schließen sich Details zu Darlehen sowie dem korrekten Umgang mit Maßen und Gewichten an. Die Parascha endet mit dem Gebot, nicht zu vergessen, was Amalek den Israeliten angetan hat, als er sie in der Wüste angriff.
5. Buch Moses 21,10 – 25,19

Mezora

Die Reinheit zurückerlangen

Die Tora beschreibt, was zu tun ist, wenn Menschen oder Häuser von Aussatz befallen sind

von Rabbinerin Yael Deusel  18.04.2024

Tasria

Ein neuer Mensch

Die Tora lehrt, dass sich Krankheiten heilsam auf den Charakter auswirken können

von Yonatan Amrani  12.04.2024

Talmudisches

Der Gecko

Was die Weisen der Antike über das schuppige Kriechtier lehrten

von Chajm Guski  12.04.2024

Meinung

Pessach im Schatten des Krieges

Gedanken zum Fest der Freiheit von Rabbiner Noam Hertig

von Rabbiner Noam Hertig  11.04.2024

Pessach-Putz

Bis auf den letzten Krümel

Das Entfernen von Chametz wird für viele Familien zur Belastungsprobe. Dabei sollte man es sich nicht zu schwer machen

von Rabbiner Avraham Radbil  11.04.2024

Halacha

Die Aguna der Titanic

Am 14. April 1912 versanken mit dem berühmten Schiff auch jüdische Passagiere im eisigen Meer. Das Schicksal einer hinterbliebenen Frau bewegte einen Rabbiner zu einem außergewöhnlichen Psak

von Rabbiner Dovid Gernetz  11.04.2024

Berlin

Koscher Foodfestival bei Chabad

»Gerade jetzt ist es wichtig, das kulturelle Miteinander zu stärken«, betont Rabbiner Yehuda Teichtal

 07.04.2024

Schemini

Äußerst gespalten

Was die vier unkoscheren Tiere Kamel, Kaninchen, Hase und Schwein mit dem Exil des jüdischen Volkes zu tun haben

von Gabriel Rubinshteyn  05.04.2024

Talmudisches

Die Kraft der Natur

Was unsere Weisen über Heilkräuter lehren

von Rabbinerin Yael Deusel  05.04.2024