Leipzig

Noch vier Wochen zur Smicha

Die jüdischen Gemeinden in Deutschland brauchen Rabbiner – und diese lieber heute als morgen. Das Dilemma ist erkannt, auf liberaler Seite vom Abraham Geiger Kolleg Potsdam und auf orthodoxer Seite vom Hildesheimerschen Rabbinerseminar zu Berlin. »Unser Ziel ist es, permanent zwei Studenten pro Jahr zur Ordination zu bringen«, betont Joshua Spinner, Vizepräsident der Ronald S. Lauder Foundation und Vorstandsmitglied im Rabbinerseminar.

Tür an Tür mit der Yeshiva Beis Zion hat das Rabbinerseminar in der Brunnenstraße in Berlin-Mitte sein Domizil. Es ist die erste derartige Ausbildungsstätte in Deutschland seit der Schoa. Die Anforderungen sind hoch, das Curriculum fordert Kraft und Konzentration. Obwohl ein Großteil der Studenten aus Zuwandererfamilien kommt, müssen alle Rabbinerstudenten ausgezeichnete deutsche Sprachkenntnisse vorweisen, Bildungserfahrungen in Deutschland gesammelt haben und motiviert sein, sich später ins deutsch-jüdische Gemeindeleben einzubringen.

Ziel Szolt Balla aus Ungarn und Avraham Radbil aus der Ukraine wurden im Juni 2009 in der Münchner Ohel Jakob Synagoge ordiniert. Shlomo Afanasev und Moshe Baumel werden den Freudentag Ende August in Leipzig erleben.

Als Shlomo Afanasev, 1981 in Taschkent geboren, vor acht Jahren mit seiner Familie nach Sachsen kam, war er bereits Finanzmanager und Buchhalter. »Mitteleuropa hatte einen besonderen Reiz, vor allem wegen der guten Bildungschancen«, erzählt Afanasev. Dann kam es jedoch zu einer überraschenden biografischen Wende. Noch in Leipzig kam der junge Mann in Kontakt mit der Lauder Foundation, begann ein Religionsstudium an der Berliner Yeshiva Beis Zion und entschloss sich schließlich für den Rabbinerberuf.

Seine Motivation klingt so emotional wie spirituell: »Der Gaon von Vilna sieht den Sinn des Lebens in der Charakterentwicklung und -verbesserung: ›Wenn heute so ist wie gestern, wofür wäre dann morgen?‹« Nach der Ordination wird Shlomo Afanasev im Land Brandenburg arbeiten. Die dortigen Gemeinden sind bisher nur mit dem Nötigsten ausgestattet, kämpfen gegen Mitgliederschwund und Fluktuation. Doch Afanasev, mittlerweile verheiratet mit der Juristin Ita und Vater von Lea (3) und und Eli (1), ist optimistisch: »Wir beginnen mit der Gemeinde in Potsdam und schauen, wie es läuft. Man kann einiges schaffen, wenn man motiviert und gut ausgebildet ist.«

engagement 22 Jahre jung ist Moshe Baumel, der zweite Absolvent in diesem Jahr. Seine Eltern emigrierten aus der litauischen Hauptstadt Vilnius an die Spree, als er noch ein Kleinkind war. In Berlin besuchte Baumel das Jüdische Gymnasium, begann später – wie Shlomo Afanasev – an der Yeshiva Beis Zion zu lernen und hängte dann das Rabbinerstudium an. Zeitgleich schaffte es der talentierte junge Mann, Kunstgeschichte und Antiquitätenkunde an der Fern-Uni Darmstadt zu studieren. Mit seiner Frau Chana engagierte er sich bald in der Kinder- und Jugendarbeit des Lauder Yeshurun Bildungszentrums. Nach seiner Ordination wird Moshe Baumel, inzwischen stolzer Vater eines kleinen Sohnes Pinchas, als Schulrabbiner und Leiter der jüdischen Fächer an der Zwi-Peres-Chajes-Schule der Israelitischen Kultusgemeinde Wien arbeiten.

Dies sei keine Abkehr von Deutschland, betont der junge Mann, ganz im Gegenteil. »Schulen und überhaupt pädagogische Einrichtungen sind ganz wichtig für das jüdische Gemeindeleben. In Deutschland gibt es noch wenige Erfahrungen, wie man die Infrastruktur dafür aufbaut. Genau dafür kann ich in Wien eine Menge lernen«, sagt Baumel.

Vorbild Er, der tief beeindruckt ist von historischen Persönlichkeiten wie Esriel Hildesheimer, dem Begründer der modernen Orthodoxie, David Zwi Hoffman, Hildesheimers Nachfolger am Berliner Rabbinerseminar 1899 und Jechiel Jakov Weinberg, dem letzten Rektor des Seminars vor der Schoa, stellt selbst hohe Ansprüche an seinen Beruf: »Ein Rabbiner soll nicht nur vorbeten und Beerdigungen durchführen können. Er soll befähigt sein, sich um die Menschen in jeder Hinsicht zu kümmern. Dazu gehört Voraussicht, Mitgefühl und Liebe zum Volk. Natürlich ist das ein Ideal, und man kann dem erst über jahrelanges Studium und vielfältige Begegnungen mit den Menschen näherkommen.«

Dass die Ordination in Leipzig stattfindet, ist kein Zufall. Seit Jahren senden die Yeshiva Beis Zion und das Hildesheimersche Seminar Studenten zur geistlichen Begleitung und Gottesdienstgestaltung in kleinere Gemeinden der neuen Bundesländer, deren Mitglieder zu 98 Prozent osteuropäische Immigranten sind – so wie die meisten Rabbinerstudenten auch. Moshe Baumel und Shlomo Afanasev werden am 30. August in der historischen Synagoge der Israelitischen Religionsgemeinde Leipzig ordiniert. Zwei Hoffnungsträger mehr für Deutschlands Gemeinden.

Friedrichshain-Kreuzberg

Antisemitische Slogans in israelischem Restaurant

In einen Tisch im »DoDa«-Deli wurde »Fuck Israel« und »Free Gaza« eingeritzt

 19.04.2024

Pessach

Auf die Freiheit!

Wir werden uns nicht verkriechen. Wir wollen uns nicht verstecken. Wir sind stolze Juden. Ein Leitartikel zu Pessach von Zentralratspräsident Josef Schuster

von Josef Schuster  19.04.2024

Sportcamp

Tage ohne Sorge

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin und Makkabi luden traumatisierte Kinder aus Israel ein

von Christine Schmitt  18.04.2024

Thüringen

»Wie ein Fadenkreuz im Rücken«

Die Beratungsstelle Ezra stellt ihre bedrückende Jahresstatistik zu rechter Gewalt vor

von Pascal Beck  18.04.2024

Berlin

Pulled Ochsenbacke und Kokos-Malabi

Das kulturelle Miteinander stärken: Zu Besuch bei Deutschlands größtem koscheren Foodfestival

von Florentine Lippmann  17.04.2024

Essay

Steinchen für Steinchen

Wir müssen dem Tsunami des Hasses nach dem 7. Oktober ein Miteinander entgegensetzen

von Barbara Bišický-Ehrlich  16.04.2024

München

Die rappende Rebbetzin

Lea Kalisch gastierte mit ihrer Band »Šenster Gob« im Jüdischen Gemeindezentrum

von Nora Niemann  16.04.2024

Jewrovision

»Ein Quäntchen Glück ist nötig«

Igal Shamailov über den Sieg des Stuttgarter Jugendzentrums und Pläne für die Zukunft

von Christine Schmitt  16.04.2024

Porträt der Woche

Heimat in der Gemeinschaft

Rachel Bendavid-Korsten wuchs in Marokko auf und wurde in Berlin Religionslehrerin

von Gerhard Haase-Hindenberg  16.04.2024